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In „Die Tribute von Panem: The Ballad of Songbirds and Snakes“ sehen wir, wie ein junger Mann zum Oberschurken wird – und wie sich ein Franchise stimmungsvoll wiederbeleben lässt.

Die Tribute von Panem - The Ballad of Songbirds & Snakes (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Evil Origin Story

„Die Tribute von Panem: The Ballad of Songbirds and Snakes“ ist die Adaption des 2020 erschienenen Jugendbuchs „Die Tribute von Panem X – Das Lied von Vogel und Schlange“ von Suzanne Collins – und ein Prequel der vier Verfilmungen, die wiederum auf Basis von Collins’ Romantrilogie aus den Jahren 2008 bis 2010 entstanden. Das neue Werk ist 64 Jahre vor der ursprünglichen Reihe angesiedelt und erzählt die Vorgeschichte des späteren Antagonisten Coriolanus Snow.

Ein Novum ist die Idee, sich intensiver mit der Vergangenheit eines zentralen Schurken zu befassen, selbstverständlich nicht. Das bekannteste Beispiel aus der Kino-Franchise-Welt ist gewiss die Prequel-Trilogie der Star-Wars-Reihe. Doch während Anakin Skywalker aka Darth Vader eine zwar ikonische, aber letztlich wenig interessante Figur ist und eher als Projektionsfläche funktioniert, ließ das Spiel von Donald Sutherland in der zugrundeliegenden Tribute-von-Panem-Quadrologie bereits erahnen, dass Coriolanus Snow durchaus ein spannender Kandidat für eine entsprechend düstere Origin Story sein könnte.

Und tatsächlich: The Ballad of Songbirds and Snakes kommt nicht als einfallslos-verzweifelter Versuch daher, den Erfolg der einstigen Blockbuster-Reihe zu wiederholen, sondern entwickelt seine ganz eigenen Stärken. Vorwerfen lässt sich dem dystopischen Epos eventuell, dass es ziemlich überfrachtet ist und durch seine Aktstruktur beinahe wie eine dreiteilige Miniserie wirkt, die wir erzwungenermaßen am Stück bingen müssen. Diverse Faktoren sorgen indes dafür, dass die Mischung aus Charakterdrama, Science-Fiction-Action, Romanze und Thriller erfreulich kurzweilig anmutet.

Zunächst einmal ist natürlich ein bisschen (Re-)Etablierungsarbeit nötig. Wir erinnern uns (vielleicht): In der Nation Panem – bestehend aus einem wohlhabend-dekadenten Machtzentrum (dem Kapitol) und zwölf versklavten Distrikten – finden alljährlich die live übertragenen Hungerspiele statt, in denen 24 adoleszente Teilnehmer:innen (ein Junge und ein Mädchen aus jedem Distrikt) als Tribute in einer Arena kämpfen müssen, bis nur noch eine siegreiche Person am Leben ist. Dies soll zum einen der Einschüchterung der Bevölkerung dienen, um abermalige Aufstände zu verhindern, und zum anderen dem Amüsement der herrschenden Elite.

In The Ballad of Songbirds and Snakes lernen wir nun Casca Highbottom, den (Mit-)Erfinder der Hungerspiele, und Volumnia Gaul, die Oberste Spielmacherin, kennen. Und dies ist schon der erste Grund, weshalb dieser Film richtig gute Unterhaltung bietet – denn die beiden werden von Peter Dinklage und Viola Davis verkörpert. Mit einer derart spürbaren Spielfreude und Lust an der Diabolie, die erforderlich ist, um Figuren mit den Namen Casca Highbottom und Volumnia Gaul nicht zu lächerlichen Funktionsträger:innen des Plots, sondern zu herrlich gierigen Szenendieb:innen zu machen. Das wurde erfreulicherweise auch von den Make-up- und Kostümabteilungen erkannt, die insbesondere Davis in eine wunderbare Diva des Garstigen verwandeln.

Im Tribute-von-Panem-Franchise geht es unter anderem um Politik und Ethik, um Celebrity-Kult und Manipulation durch Massenmedien. Der neue Film greift einiges davon auf. So gibt es auch hier einen flamboyanten Moderator (verkörpert von Jason Schwartzman), der die brutale Veranstaltung zynisch kommentiert. Die Hungerspiele selbst, die in den ersten zwei Teilen eine Slasher-Movie-artige Body-Count-Dramaturgie aufwiesen, werden von Francis Lawrence (der bereits die Teile zwei bis vier inszenierte) deutlich roher gezeigt, wodurch der Spektakel-Charakter etwas zurückgefahren wird.

Eine sehr positive Entscheidung ist zudem, dass Lucy Gray Baird, die hier im Mittelpunkt stehende Heldin der zehnten Hungerspiele, keine Kopie von Katniss Everdeen, der Protagonistin der bisherigen Filme, ist. Nicht zuletzt dank der Darstellerin Rachel Zegler ist Lucy weniger eine tapfere Kriegerin, sondern vielmehr ein eigensinniger Musical-Star, der in ein Survival-Abenteuer geworfen wird – und deshalb tut, was ein Musical-Star eben tun kann: singen. Und zwar wirklich einnehmend.

Und schließlich ist da Coriolanus Snow – eine Figur, deren Schicksal in dieser Erzählung von der ersten Sekunde an besiegelt ist. Das könnte reizlos sein. Hauptdarsteller Tom Blyth macht aus dem vorherbestimmten Fall ins Böse allerdings eine zuweilen faszinierende Anti-Heldenreise, gepflastert von unglücklichen Umständen, fatalen Fehlentscheidungen, Verrat und Leichen. The Ballad of Songbirds and Snakes ist finster und traurig – und zugleich ein versiert gemachtes Event-Movie, das die Seelenlosigkeit anderer Hollywood-Produktionen durch seine ambivalenten, hingebungsvoll interpretierten Figuren geschickt umgeht.

Die Tribute von Panem - The Ballad of Songbirds & Snakes (2023)

Im Mittelpunkt der Geschichte steht der junge Coriolanus (Tom Blyth), lange bevor er zum Präsidenten von Panem werden sollte. Er ist die letzte Hoffnung für seine einst stolze Familie Snow, die in Ungnade gefallen ist. Als er zum Mentor von Lucy (Rachel Zegler), einem Mädchen aus dem verarmten Distrikt 12, erwählt wird, sieht er die Chance, sein Schicksal zu ändern…

Wir sahen den Fall von Präsident Snow. Nun wird die Welt Zeuge seines Aufstiegs.

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