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Agnieszka Holland erzählt die wahre Geschichte von Gareth Jones, einem mutigen Waliser Journalisten, der 1933 in die Sowjetunion gereist ist, um die Wahrheit über Stalins „Utopia“ herausfinden. 

Mr. Jones (2019)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Das höchste Gut

Das genüssliche Schmatzen von Schweinen erklingt satt auf der Tonspur, die Kamera verweilt auf ihren Nasen, zeigt ihr Fressen, um dann über dichte, gelbe Kornfelder in ein Haus zu gleiten. Dort sitzt ein Mann, der sich – so erklingt es aus dem Off – nicht erklären will. Und tatsächlich wird lange Zeit nicht erklärt, wer dieser Mann ist, womöglich erkennt manche es anhand der Sätze, die er in denkt oder auf der Schreibmaschine tippt. 

Danach wechselt Mr. Jones von Agnieszka Holland den Schauplatz, es geht nach London. Dort sitzt der junge Gareth Jones (James Norton) in seinem Büro, eine Mitarbeiterin informiert ihn, dass er erwartet wird. Gareth Jones ist außenpolitischer Berater von Lloyd George, aber seinen Warnungen, dass der Reichtstagsbrand ein Vorwand für Hitler sein wird, um die Opposition stillzulegen, und von ihm eine große Gefahr ausgeht, werden ignoriert. Vielleicht ist er den anwesenden gesetzten Herren zu jung, zu klar in seinen Aussagen, zu forsch oder zu walisisch. Aber eine deutliche Parallele ins Jetzt ist hier bereits zu ziehen: Es ist gar nicht so schwer, Faschisten zu erkennen – wenn man das, was sie sagen, wörtlich nimmt und nicht versucht, es aufgrund eigener Vorstellungen oder moralischer Vorbehalte zu relativieren. 

Für Gareth Jones endet die politische Karriere indes vorerst: Die Weltwirtschaftskrise bestimmt auch die Politik in Großbritannien, es gibt kein Geld mehr für seine Stelle. Das ist jedenfalls die offizielle Begründung, vielleicht aber hat er zu viele Menschen mit seiner Klarheit irritiert. Doch Jones hat etwas vor. Nachdem er vor einiger Zeit Hitler interviewt hat, will er nun Stalin interviewen. Er verschafft sich ein Visum und reist nach Moskau. 

Nachdem er vor Ort erfährt, dass sein Kontaktmann bei einem Raubüberfall gestorben ist, hält er sich an Walter Durantly (Peter Sarsgaard), Journalist für die New York Times und Pulitzerpreisträger. Durch ihn bekommt er Kontakte, begegnet vor allem Ada Brooks (Vanessa Kirby), die für Durantly schreibt, aber auch Jones‘ verstorbenen Freund kannte. Beide beschäftigt eine ähnliche Frage: Wie kann es sein, dass die gesamte Welt unter der Wirtschaftskrise leidet, aber die UdSSR einen Aufschwung erlebt – nach offizieller Darstellung? Wie finanziert Stalin die Fabriken, die kostenlosen Krankenhäuser? 

Schon vor seiner Abreise nach Moskau wurde deutlich, dass sich Jones nicht frei in dem Land bewegen kann – und auch vor Ort sind die Spitzel und die Agenten präsent. Sie verweisen auf das Klima der beginnenden Angst, zugleich aber gelingt es dem Film auch, die Hoffnungen deutlich zu machen, die viele mit dem Kommunismus und mit Stalin zu dieser Zeit verbanden: Eine Gesellschaft, in der alle gleich sind, ist ein Traum, den er verwirklichen will. Oder wie Ada Brooks es einmal formuliert: Manches gibt es etwas, das größer sei als wir. Doch Jones hält dementgegen, dass es nur eine Wahrheit gibt – und die gilt es herauszufinden. 

Er ist ein forscher, ein mutiger junger Mann, der sich nicht beirren lässt, überzeugend gespielt von James Norton. Höflich und bestimmt tritt er auf, er wurde noch nicht korrumpiert oder desillusioniert, deshalb zögert er nicht, es als seine Verpflichtung anzusehen, die Wahrheit herauszufinden. 

Diese Wahrheit wird ihn letztlich in die Ukraine führen, er wird Zeuge des Holodomor. Kameramann Tomasz Naumiuk findet eindrückliche Bilder für die schwere Hungersnot, ohne sie auszuschlachten. Vielmehr fügen sie sich in die Bildsprache des Films ein, der sehr viel mit Spiegelungen und Raffungen arbeitet. Dadurch werden Wahrnehmungen deutlich, große Distanzen überbrückt, dadurch wird aber auch die Bedeutung der Wahrheit herausgestellt. Beispielsweise muss Jones um sein Leben rennen durch die eiskalten winterlichen Wälder der Ukraine. Später wird er abermals um sein Leben rennen, aber in einem übertragenden Sinn: Er will den einzigen Mann aufsuchen, der ihm noch helfen könnte, die Wahrheit zu berichten und fährt mit dem Fahrrad zu dessen Sommerresidenz. Dazwischen geschnitten sind die Bilder aus dem Wald der Ukraine, sie verdeutlichen die existentiellen Nöte. Denn niemand will wissen, was Jones gesehen und erlebt hat. Niemand will ihm glauben. Der Westen entscheidet sich wegzusehen. Einzelne Menschen entscheiden sich wegzusehen. Aber Jones ist ein unerschrockener Verfechter der Wahrheit – auch wenn das bedeutet, einen Traum zu begraben. Manchmal ist die Wahrheit schwer zu ertragen, manchmal muss man genau hinsehen, um sie zu erkennen. Vor allem aber muss die Bereitschaft haben, sie sehen zu wollen. Macht korrumpiert alle — und deshalb ist es manchmal unmöglich zu sagen, wer das Schwein und wer der Mensch ist. 

Mr. Jones (2019)

Auf wahren Ereignissen beruhend erzählt , „Mr. Jones“ von einem britischen Investigativ-Journalisten, der tief ins Herz der damaligen Sowjetunion reiste, um eine Verschwörung internationalen Ausmaßes aufzudecken. Seine Geschichte wurde unter anderem zum Vorbild für George Orwells Animal Farm

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