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In „Ferrari“ widmet sich Michael Mann einer Episode im Leben von Enzo Ferrari. Die Rennwagen sind dabei ebenso hochtourig unterwegs wie Adam Driver und Penélope Cruz.

Ferrari (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Tränen und Benzin

„Ferrari“ ist ein Passionsprojekt des Regisseurs Michael Mann. Schon vor drei Dekaden gab es erste Meldungen dazu. Es folgte eine lange und zähe Fahrt durch die Entwicklungshölle; immer wieder klemmte offenbar das Gaspedal. Troy Kennedy-Martin, der Autor des Drehbuchs, verstarb bereits 2009. Für die Rolle des italienischen Rennfahrers und Unternehmensgründers Enzo Ferrari (1898-1988) waren bereits Robert De Niro, Christian Bale und Hugh Jackman im Gespräch.

Nun endlich geht Ferrari ins Rennen. Und das viele Herzblut des Filmemachers für diesen Stoff ist auch nach 30 Jahren ganz spürbar noch nicht versickert, sondern strömt wuchtig über die Kinoleinwand, in den Szenen der gewagten Automobilrennen ebenso wie in den Momenten der privaten Kämpfe.

Zu Beginn sehen wir alte Archivaufnahmen in Schwarz-Weiß, in die Hauptdarsteller Adam Driver als titelgebender Protagonist in jungen Lebensjahren als aktiver Rennfahrer hineinmontiert wurde. Die mit beschwingter Musik unterlegte Sequenz hat Charme – es ist indes erfreulich, dass der Film nicht den Weg beschreitet, den diese ersten Bilder vermuten lassen könnten: Ferrari ist kein konventionelles Biopic, das eine Auf- und Abstiegsgeschichte erzählt, kein Abhaken biografischer Stationen – sondern ein sehr verdichteter Blick auf einen Menschen in der Krise, mit einer klaren Regiehandschrift.

So kombiniert Michael Mann etwa einen Gottesdient mit einer Rekordfahrt auf der Rennstrecke. Motorengeheul, das Ticken von Stoppuhren, salbungsvolle Worte und ein Choral vereinen sich. An einer anderen Stelle wird eine Opernaufführung mit echtem Drama und artifiziell-sentimentalen Erinnerungsfetzen gemixt. Wie kaum ein Zweiter vermag der 1943 in Chicago geborene Regisseur einen so selbstbewussten Stilwillen zu präsentieren, ohne in die Manieriertheit zu verfallen – weil er bei aller Ästhetisierung tatsächlich etwas zu erzählen hat, von Traumatisierung, Trauer und Ehrgefühl.

Der Plot ist im Jahre 1957 angesiedelt. Wir lernen Enzo kennen, eng umschlungen mit einer Frau im Bett liegend. Er steht auf, deckt liebevoll den kleinen Jungen im Nebenzimmer zu, verlässt das Haus und bemüht sich dabei, keinen Lärm zu machen. Bald erfahren wir, dass es sich bei der Frau um Lina Lardi (Shailene Woodley) handelt – und bei dem Jungen um den gemeinsamen Sohn. Seit zwölf Jahren führt er mit Lina ein (mehr oder weniger) heimliches Verhältnis.

Mit seiner Gattin Laura (Penélope Cruz) hat Enzo derweil eine Vereinbarung getroffen: Er kann vögeln, wen er will – aber er muss daheim sein, bevor die Hausangestellte morgens den Kaffee serviert. Von der Innigkeit der Beziehung zu Lina und von dem Kind, das die beiden zusammen haben, ahnt sie allerdings nichts. Als sie dahinterkommt, ist der Schmerz groß. Und es ist höchst bemerkenswert, wie Cruz uns zeigt, wie viel Wut eine Person einem Füllfederhalter oder dem frisch gekauften Gemüse entgegenbringen kann – und wie viele Kraftausdrücke sich in eine Auseinandersetzung einbauen lassen.

Die Interaktionen zwischen Enzo und Laura im permanenten Ehe- und Business-Zwist zählen zu den stärksten Passagen des Werks. Driver als weißhaariger Rennsportmanager im Maßanzug und Cruz als dessen impulsive Frau, die das Finanzielle regelt – darin liegt zum einen viel Humor, der zuweilen die Grenzen zur unfreiwilligen Komik touchiert. Wenn ein US-Amerikaner und eine Spanierin ein italienisches Hassliebespaar verkörpern, zwischen spontanem Revolverschuss in die Zimmerwand und zornigem Sex auf dem Esstisch, ist das ein ziemlich wilder Tanz der (Fantasie-)Akzente und der ausladenden Gesten.

Und doch hat das Ganze nie die knallchargige Anmutung, an der etwa House of Gucci (2021) krankte. Denn zum anderen lässt der Film ein aufrichtiges Interesse an seinen Figuren erkennen, das über soapige Eskapaden weit hinausgeht. Am Grab des früh verstorbenen Sohnes, den er mit Laura hatte, spricht Enzo über die Liebe, die er einst für seine Ehefrau empfunden hat. Wenn Laura wiederum den Friedhof besucht, verharrt die Kamera lange auf ihrem Gesicht. Cruz muss kein einziges Wort sagen, um der Szene eine immense Wirkung zu verleihen.

Und dann sind da natürlich die spektakulär eingefangenen Rennfahrten, insbesondere im letzten Drittel, wenn es um die Mille Miglia, ein populäres Autorennen über öffentliche Straßen in Norditalien, geht: mal durch die regennasse Dunkelheit, mal mitten durch die enge Stadt, mal auf kurvigen Chausseen in der Provinz. Die energische Kameraarbeit von Erik Messerschmidt und die Tongestaltung sind hervorragend, wie es bei Manns Filmen üblich ist. Dass die Rennen eine irrwitzige Gefahr für die Teilnehmenden (und im schlimmsten Falle auch für die Zuschauenden) sind, wird greifbar. Der Unfall, den der spanische Ferrari-Fahrer Alfonso de Portago (Gabriel Leone) erleidet und der noch zum Tod weiterer Menschen führt, wird in überaus drastischen Bildern vermittelt, die gar nicht nötig gewesen wären.

Ein makelloser Film ist Ferrari nicht. Aber ein paar Unebenheiten gehören zu einer derart langen Strecke, die dieses Werk zurückgelegt hat, vermutlich einfach dazu. An Intensität und Tiefe, an hingebungsvollem, oft explosivem Schauspiel und an brillanten Aufnahmen mangelt es hier jedenfalls nicht.

Gesehen bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig.

Ferrari (2023)

Im Sommer 1957 befindet sich der ehemalige Rennfahrer Enzo Ferrari in einer schweren Krise: Seine Firma Ferrari, die er und seine Frau Laura zehn Jahre zuvor aus dem Nichts aufgebaut hatten, steht kurz vor dem Bankrott. Seine turbulente Ehe befindet sich zwischen der Trauer um einen Sohn und der Anerkennung des anderen. Enzo beschliesst, seine grossen finanziellen Verluste zu bremsen, indem er all seine Kräfte auf ein Rennen ausrichtet: 1.000 Meilen durch Italien, die berühmte Mille Miglia

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