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Die französische Dirigentin Zahia Ziouani zählt zu den wenigen Frauen in ihrem Beruf. Sie gründete das titelgebende Orchester, das Musizierende verschiedener sozialer Schichten vereint. Der Spielfilm von Marie-Castille Mention-Schaar erzählt, wie sie als begabte Schülerin nach den Sternen griff.

Divertimento - Ein Orchester für alle (2022)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Auf dem steilen Weg zur Dirigentin

In den großen Sinfonieorchestern der Welt haben sich Musikerinnen längst ihren Platz erobert. Wer dirigieren darf, ist hingegen nach wie vor meistens eine Frage des Geschlechts. Denn nur sechs Prozent der Dirigent*innen weltweit sind Frauen, wie eine Texteinblendung am Ende dieses Spielfilms verrät. Die französische Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar („Die Schüler der Madame Anne“) erzählt darin die fiktionalisierte und dennoch realitätsnahe Geschichte von Zahia Ziouani (Oulaya Amamra), die Mitte der 1990er Jahre das Pariser Musiklyzeum Racine besucht und beschließt, Dirigentin zu werden. Sie stößt dabei nicht nur auf Widerstände, weil sie eine junge Frau ist, sondern auch weil sie als Tochter algerischer Einwanderer in der Pariser Banlieue lebt. Zahia aber gibt nicht auf – ihre Liebe zur klassischen Musik, ihr Talent und ihre Tatkraft sind stärker. 

Die Abiturientin Zahia erweist sich aber noch in weiterer Hinsicht als interessante Persönlichkeit. Sie hätte wohl gleich mehrere Spielfilme inspirieren können, und Mention-Schaar stand offenbar vor der schwierigen Aufgabe, die vielen Themen aus diesem jungen Leben in ein einziges Werk zu packen. Der Stardirigent Sergiu Celibidache (Niels Arestrup) nimmt Zahia in seine Dirigentenkurse auf, nachdem er ihr erst einmal seine Überzeugung, dass Frauen für das Dirigieren nicht geschaffen seien, an den Kopf wirft. Und Zahia wird noch während ihrer Ausbildung das Sinfonieorchester Divertimento gründen. Damit verwirklicht sie auch ein soziales Anliegen: Im Orchester spielen musikalische Talente verschiedener Ausbildungsgrade und sozialer Schichten, aus Paris und der Banlieue. Sogar eine Cellistin mit Down-Syndrom gehört, ebenso wie ihre Lehrerin Fettouma Ziouani (Lina El Arabi), dazu. 

Im Grunde erzählt der Film die Geschichte zweier Schwestern, denn Zahia und ihre Zwillingsschwester Fettouma gehen auf dieselbe Schule und bestärken sich gegenseitig in ihren musikalischen Ambitionen. Die Cellospielerin Fettouma und die dirigierende Zahia haben am Pariser Musikgymnasium mit Diskriminierung zu kämpfen. Die anderen Schüler*innen aus privilegiertem Hause spötteln anfangs, und die Lehrkräfte entmutigen sie oft. Mention-Schaar erwähnt zwar einige solcher Vorfälle, ist aber sichtlich nicht daran interessiert, auf ihnen herumzureiten. Ihr liegt mehr daran, so rasch wie möglich wieder die optimistische, von der Musik beflügelte Haltung der beiden Schwestern in den Vordergrund zu rücken. Der Schuldirektor verweigert Zahia schlicht und ergreifend das Dirigieren des Schulorchesters. Aber auch er kann sie letztlich nicht an der Selbstentfaltung hindern.

Es geht in Divertimento viel um Musik, die auch zu hören ist, um Proben und um die Musik im Kopf. Wenn Zahia durch die Straßen geht, verwandelt sie Verkehrsgeräusche im Geiste in Musik. Mit den vielen Passagen aus Musikstücken von Saint-Saëns, Prokofjew, Ravel und anderen unterscheidet sich Divertimento auch wohltuend von Tár, wo die Liebe zur Musik irgendwie doch mehr behauptet als zelebriert wurde. Die musizierenden Nebendarsteller sind allesamt praktizierende Instrumentalisten, die Regisseurin fand das wichtiger als eine schauspielerische Ausbildung. Man hat den Eindruck, die Arbeit des Musizierens, das Feilen an der Kunst der Interpretation organisch mitzuerleben. Zahia und Fettouma wirken sehr von den realen Personen inspiriert, die dem Film und besonders ihren Darstellerinnen beratend zur Seite standen.

Eine für das Drama und seine emotionale Würze zentrale Rolle spielt die Beziehung von Zahia zu ihrem Mentor Celibidache. Dem alten Maestro verleiht Niels Arestrup, wenn er seine Schülerin beim Dirigieren betrachtet, einen Ausdruck gütiger Bewunderung. Aber er kann urplötzlich cholerisch werden und in seiner Kritik schier vernichtend. Celibidache spricht hier detailliert über die Kunst des Dirigierens, erwähnt andere Musiker und Komponisten. Das beschert dem Film viel Authentizität. 

Die Fähigkeit Zahias, sich für Musik zu begeistern und nach den Sternen zu greifen, ihre Kollegialität auch unter schwierigen Bedingungen, der Zusammenhalt in ihrem Elternhaus – all das kommt zum Vorschein. Aber die Darstellung beider Schwestern bleibt überwiegend auf ihre vorwärtsstrebende Kraft reduziert. Auf diese Weise werden sie als Charaktere emotional nicht besonders tief ausgelotet. Die vielfältigen Aktivitäten Zahias spiegeln sich im schnellen Wechsel kurzer Szenen an verschiedenen Schauplätzen. Es fällt nicht immer leicht, zu begreifen, an welchem Ort sich Zahia aus welchem Anlass gerade befindet. Die hohe Schnittintensität des Films passt aber wiederum zur Aufbruchstimmung, die er erzeugt. Dieses Porträt einer leidenschaftlichen jungen Musikerin ist von dynamischer Energie erfüllt. 

Divertimento - Ein Orchester für alle (2022)

Seit frühester Kindheit träumt Zahia Ziouani davon, einmal Dirigentin zu werden. Die hochbegabte Musikerin begeistert sich leidenschaftlich für die großen Orchesterklänge. Aber wie als junge Frau aus der Banlieu dieses ehrgeizige Ziel erreichen? Männerdominiert sowieso, nicht selten versnobt zeigt sich die Welt klassischer Musik. Um sich am Dirigentenpult zu behaupten, braucht es neben herausragender Begabung mindestens genau so viel Mut und Ausdauer. Vor allem hat sie eine außergewöhnliche Idee: Divertimento – ein Orchester für alle. 

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