Der Gott des Gemetzels (2011)

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Polanskis Beichte

„Why is it so hard for some people to forgive?“, diesen Satz brüllt Jodie Foster in Roman Polanskis neuestem Film Der Gott des Gemetzels in den Raum. Es ist die entscheidende Frage dieses Films, der sich nicht nur als ein exzellenter Schauspieler-Film im Kostüm einer herrlich bösartigen Komödie entpuppt, sondern auch einmal mehr unter Beweis stellt, dass Roman Polanski weiterhin ein Autorenfilmer ersten Ranges ist.

Die Grundkonstellation des Films, eine Adaptation des Theaterstücks Carnage von Yasmina Reza, ist denkbar simpel: Während der Vorspann noch läuft, sehen wir in der Ferne eine Gruppe Jugendlicher spielen. Eine Gruppe bildet sich, einer wird ausgeschlossen, dann folgt ein Streit, der damit endet, dass der ausgeschlossene Junge einen anderen mit einem Ast ins Gesicht schlägt. Eine Schlägerei, wie sie häufig unter Jugendlichen vorkommt. Doch den wahren Mist müssen natürlich die Eltern ausbaden. Deshalb treffen sich die Eltern des „Täters“, Nancy (Kate Winslet) und Alan Cowen (Christoph Waltz), bei den Eltern des „Opfers“, Penelope (Jodie Foster) und Michael (John C. Reilly) Longstreet. Der unangenehme Besuch, bei dem der Vorfall protokolliert werden soll (schließlich wurden dem Longstreet-Sohn zwei Zähne rausgeschlagen) gerät allerdings zum absurden Kammerspiel von vier Erwachsenen, die schon sehr bald alle Masken fallen lassen und ihre eigenen Lebensansichten in Frage stellen.

Welch großartigen Film Polanski mit Der Gott des Gemetzels abliefert, lässt sich vielleicht am besten daran erkennen, dass dieses 79-Minuten Werk auf drei völlig verschiedenen Ebenen funktioniert. Es ist oberflächlich betrachtet zunächst einfach eine extrem lustige Komödie. Dabei zeigt sich, wie gut Polanski Dialogwitz inszeniert, den er aus der Vorlage äußerst genau und penibel herausdestilliert hat. Er hat ein wundervolles Gespür für Timing und Tempo und zeigt, dass er als Regisseur in jedem Genre arbeiten kann, ohne etwas von seiner Kunstfertigkeit zu verlieren. Die wenigen Slapstick-Momente inszeniert Polanski sehr lakonisch, was dazu führt, dass Der Gott des Gemetzels sicherlich die lustigste Kotz-Szene des Kinojahres zu bieten hat. Außerdem wird eine Vase mit gelben Tulpen fast schon auf eine chaplineske Art als heimlicher Protagonist inszeniert.

Polanski weiß, dass er sich mit solchen Regieeinfällen von der wortstarken Vorlage lösen muss. Der Gott des Gemetzels gelingt es dadurch beeindruckend, eine kammerspielartige Theaterstruktur zu überwinden und in die Welt des Kinos zu überführen. Denn die vier Figuren kommen nicht für einen Moment aus der Wohnung der Longstreets heraus. Somit werden nicht nur die Handlungsabläufe der Charaktere untereinander entscheidend für die Erzählung, sondern auch das Interieur um sie herum.

Es führt aber auch kein Weg daran vorbei, die grandiosen Darsteller zu erwähnen, die hier wunderbar locker und sichtlich unverkrampft aufspielen und dabei doch niemals ins Chargieren verfallen. Die vier werden wie in einem Boxring auf einander losgelassen. Jodie Foster gibt die politisch-korrekte Mutter, die es nicht lassen kann, neben ihrem Mann auch noch die beiden anderen Erwachsenen zu erziehen und ihnen Lektionen über Richtig und Falsch zu erteilen. John C. Reilly entwickelt im Laufe des Films eine unvergessliche Wandlung vom lieblichen Trottelchen, das es jedem Recht machen will, zu einem Macho á la John Wayne. Kate Winslet wirkt zwar immer etwas abseits der Szenerie, doch auch sie dreht im Laufe des Films an ihrer neurotischer Schraube. Aber die Bühne gehört eigentlich dem Österreicher Christoph Waltz, der hier seinen besten Leinwandauftritt nach Inglourious Basterds verzeichnen darf. Seine Verkörperung des ständig telefonierenden, zynischen und egozentrischen Alan Cowen, zeugt von seiner atemberaubenden Wandlungsfähigkeit. Waltz ist ein Darsteller allererster Güte und wer dies bisher noch nicht zu schätzen wusste, wird es spätestens nach diesem Film tun müssen.

Und was ist mit Polanski? Wenn wir uns an Jodie Fosters Aufschrei erinnern, der hier zu Beginn der Rezension zitiert wurde, so erleben wir in Der Gott des Gemetzels wieder einmal die Beichte eines Mannes und Regisseurs, der sich seiner eigenen hoch problematischen Vergangenheit und Gegenwart mehr als bewusst ist. Die Idee, Carnage zu verfilmen, wurde in der Zeit geboren, als Polanski in der Schweiz festsaß und nicht wusste, ob ihn die Behörden an die USA ausliefern. Der Hausarrest spiegelt sich selbstverständlich in diesem Kammerspiel. Und alle vier Figuren könnten die verschiedenen Gemütszustände des Regisseurs darstellen, der ähnliches im Schweizer Chalet erlebt haben muss. Auf diesen Gedanken verweist übrigens auch das schöne Filmplakat.

Polanski teilt seine leidvolle Erfahrung mit uns, so wie er es schon in seinen letzten Filmen wie Oliver Twist und Der Ghostwriter getan hat. Der Gott des Gemetzels ist aber viel direkter als seine Vorgängerfilme eine Abbitte, eine Art Beichte oder ein Versuch der Absolution. Man muss nur einmal hinter die Dialogwitze gucken und darauf achten, welch existenzielle Verzweiflung durchscheint.

Zunächst verteilen die vier Figuren noch ganz subtil ihre verbalen Spitzen, die die gegenseitige Abneigung zum Ausdruck bringen sollen. Doch wird die Situation immer verworrener und schon bald geht es nicht mehr allein um die Schuld oder Unschuld ihrer Kinder, sondern vor allem um die eigene Integrität als Elternteil, Erwachsener oder als Mann bzw. Frau. Und schließlich müssen sich alle nach diesem schmerzhaften Seelenstriptease fragen, ob sie nicht einfach nur als Menschen — und das schon vor langer Zeit — versagt haben.

Hier spricht Polanski. Und im Gegensatz zu Autorenkollegen wie von Trier ist sein Kino eine Einladung zum Dialog. Polanski teilt sich uns in einer Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit mit, wie man es von Autorenfilmer dieses Ranges erwartet. Das ist sicherlich die wichtigste Qualität dieses Films.
 

Der Gott des Gemetzels (2011)

„Why is it so hard for some people to forgive?“, diesen Satz brüllt Jodie Foster in Roman Polanskis neuestem Film „Der Gott des Gemetzels“ in den Raum. Es ist die entscheidende Frage dieses Films, der sich nicht nur als ein exzellenter Schauspieler-Film im Kostüm einer herrlich bösartigen Komödie entpuppt, sondern auch einmal mehr unter Beweis stellt, dass Roman Polanski weiterhin ein Autorenfilmer allerersten Ranges ist.

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Meinungen

Gernot Hofmann · 21.02.2012

Polanskis Film ist ein Meisterwerk von shakespearscher Größe bestückt mit einzigartigen Schauspielerinnen und Schauspielern. Was in keinem Fall übersehen werden darf ist jedoch der Epilog, der Abspann des Filmes in dem sich Vertreter der erwachsenen Gesellschaft gerade eben vernichtet haben. Hier sieht man zuerst den Hamster der fröhlich vor sich hin nuffelt und dann die beiden Buben, die sich schon längst wieder vertragen. Das gibt Hoffnung und ist nach soviel Bosheit und Tücke der Hinweis darauf wer am Ende überleben wird.

Luftschlange · 12.02.2012

Habe den Film mit meinem Mann und Freunden gesehen. Wir haben selbst Kinder, allerdings schon etwas älter und konnten uns so in diese Kommödie herrlich einleben. Wir haben uns köstlich amüsiert. Gut gefallen haben mir die Darsteller, die ihre Rollen wirklich überzeugend gespielt haben. Und irgendwie spiegelt es uns alle wieder - mit unseren kleinen Macken und Kanten.

Stephanie Schmidt · 09.01.2012

Der Film hat mich sehr enttäuscht. War brechend langweilig... Kann ich nicht empfehlen! Für kein Geld der Welt schaue ich den Film nochmal.

tony thompsen · 27.12.2011

Der film ist soo genial und soo witzig. jeder schaupieler hat seinen speziellen charakter und spielt in einzigartig. jede mege schwarzer humor! das bei diesem film als genre, drama geschrieben steht, stimmt hinten und vorne nicht. der film ist ein muss!

Lilaclove · 03.12.2011

Meine Güte, die Art und Weise wie dieser Artikel geschrieben ist lässt jede Seriosität vermissen. Hier wird ein Regisseur abgefeiert und der Komödie christliche Suche nach Erlösung heraufbeschwört. Ich dachte dieses Portal hält so in etwa das Kritikfähigkeitsniveau der hier vorgestellten Filme. Schade dass sich heutzutage jeder Kritiker nennen kann, der im Netz publiziert.

Micha · 24.11.2011

Ist das nur im Trailer so oder ist die Synchron-Stimme
von Christoph Waltz in der Kino-Version auch nicht von ihm selbst?
Wenn ja, dann kann ich die deutsche Version nur als kastriert bezeichnen.
Denn wo Waltz drauf steht, sollte meiner Meinung nach auch 100% Waltz drin sein.

oha · 08.10.2011

Pauschalverurteilung von Menschen die nur vom Hörensagen sich ein Urteil erlauben.
Was soll's? Freie Meinungsäußerung. Gut, dass es Justitia gibt.

Unglaublich · 03.09.2011

Och, Roman Polanski wünscht sich Vergebung und teilt seine leidvolle Erfahrung mit uns. Hat er sich ja auch redlich verdient er ist schließlich ein reicher Regisseur und hat seine Strafe abgesessen - ach nein, stimmt ja nicht, er ist ja feige aus den USA geflüchtet um seiner Strafe zu entgehen und versteckt sich nun in Europa. Gibt ein schönes Vorbild für andere Verbrecher - einfach aus dem Land verschwinden und dann kann man unbehelligt weiter seiner Arbeit nachgehen.
Das muß ja wirklich eine sehr leidvolle Erfahrung gewesen sein - mein Gott Hausarrest und die Angst, daß er endlich mal für sein Verbrechen bestraft wird! Unglaublich! Abgesehen davon war ja sowieso klar, daß er nicht ausgeliefert wird, als reicher berühmter Mann ist sowas äußerst unwahrscheinlich.
Ich kann mich richtig in seine Verzweilfung reinversetzen und seinen lächerlichen Versuch Abbitte zu leisten - mit einem Film - nachvollziehen! Das ist wie ein Schlag ins Gesicht für jedes Opfer eines Sexualverbrechens.
Bin einmal gespannt, ob dieser Kommentar hier überlebt...