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Er ist tatsächlich da: Der Nachfolger zum erfolgreichsten Kinofilm aller Zeiten. „Avatar: The Way of Water“ macht da weiter, wo der erste Teil aufhörte, sowohl technisch als auch inhaltlich, und erbt damit alle Stärken und Schwächen seines Vorgängers.

Avatar: The Way of Water (2022)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Wasser-Marsch

Geschlagene 13 Jahre nach dem Kinostart des jahrelangen und, dank mehrerer Wiederaufführungen, erneut finanziell erfolgreichsten Kinofilms aller Zeiten erscheint die erste von vier geplanten Fortsetzungen. In der Sequel-Maschine Hollywood kann ein derart langer Zeitraum sowohl ein fatales als auch ein hoffnungsvoll stimmendes Zeichen bedeuten: Entweder es gab massive Probleme in der Produktion, was dann in der Regel auf der Leinwand zu spüren ist; oder die Zuständigen konnten es sich tatsächlich leisten, sich Zeit für ihre Vision zu nehmen. „Avatar: The Way of Water“ fällt in die zweite Kategorie. Das Ergebnis kann sich – im wahrsten Sinne des Wortes – sehen lassen, wird es jedoch nicht schaffen, Kritiker*innen des ersten Teils zu überzeugen. Was er aber auch gar nicht für sich beansprucht.

Am Ende von Avatar: Aufbruch nach Pandora (2009) hat das im Einklang mit der Natur des Planeten Pandora lebende Volk der Na’vi gegen die Menschen gesiegt. Jake Sully (Sam Worthington) hat seinen menschlichen Körper aufgegeben und dafür seinen blauen Avatar angenommen. Die Invasoren werden zurückgeschickt, nur wenige Na’vi-Sympathisanten dürfen bleiben, und der Planet erholt sich. Die Eröffnungsmontage von The Way of Water lässt die Jahre dahinziehen: Jake und Neytiri (Zoe Saldana) bekommen ihr erstes Kind, wenige Einstellungen später sind es vier, die auch bereits – mit Menschenworten gesprochen – in der Pubertät stecken. Dann geschieht das Erwartete: Die Geschlagenen kehren zurück, mit noch mehr und noch größerer Ausrüstung, und hinterlassen schon bei ihrer Ankunft verbrannte Erde. Diesmal wollen sie Pandora zu einer neuen Heimat für ihre Spezies machen.

Schnitt: Ein Jahr später. Sullys Stamm steckt mitten im Krieg mit den Menschen. Mit Guerilla-Methoden attackieren sie die „Sky People“, die derweil eine Infiltrationsgruppe zusammenstellen: Mittels eines Gedächtnis-Backups werden Colonel Miles Quaritch (Stephan Lang) und seine engsten Untergebenen in Avatar-Körpern „wiederbelebt“ und sollen Sully ausschalten. Nach einem ersten Kontakt mit der Truppe beschließt der ehemalige Soldat, seinen Stamm zu verlassen, um ihn nicht zu gefährden, und ersucht zusammen mit Frau und Kindern Asyl beim Metkayina-Clan, der statt in bewaldeten Gebieten in Wassernähe lebt. Quaritchs Team nimmt die Spur auf.

Nach dem ersten Teil gönnte sich James Cameron eine längere Pause vom Regiestuhl. Mit Ausnahme einiger Dokus – eine führte den seit jeher vom Meer faszinierten Kanadier in den Marianengraben – beschränkte er sich aufs Drehbuchschreiben und Produzieren, etwa von Robert Rodriguez‘ Anime-Adaption Alita: Battle Angel (2019). Fast hätte er, wie der gern zu Anekdotenausschmückung neigende Mann in Interviews berichtet, mit dem Filmemachen aufgehört, war aufgrund persönlicher Begegnungen etwa mit indigenen Stämmen Brasiliens aber so sehr angespornt davon, mit seiner proökologischen Botschaft noch mehr Menschen zu erreichen, dass er beschloss, weitere Avatar-Filme zu drehen. 2017 begann die Produktion, Stand Ende 2022 sind zweieinhalb Fortsetzungen abgedreht, vier sollen es insgesamt werden.

Ob und welche zeitverzögernden Probleme es währenddessen gab, das wird, wenn überhaupt, erst das Bonusmaterial zu The Way of Water zeigen. Allerdings ist der laut Hörensagen am Set recht diktatorisch auftretenden Regisseur dafür bekannt, selbst bei schwierigen Bedingungen einen guten Film aus der Taufe zu heben, wie sein Unterwasser-Erstkontakt-Thriller Abyss – Abgrund des Todes (1989) zeigt. Und in der Tat ist auch sein zweiter Avatar ein guter Film geworden, denn Cameron nahm sich die nötige Zeit, um die Motion-Capturing-Technik zu verbessern – im Trockenen, vor allem aber im Nassen.

Wie schon der Titel verspricht, ist Wasser das bestimmende Element von The Way of Water. Rund die Hälfte der drei Stunden spielt sich auf oder unter dem Wasser ab, denn das Asyl von Sullys Familie beim aquaphilen Metkayina-Clan geht mit einem Erlernen ihrer Lebensweise einher. Statt Flug- werden nun Delphin-ähnliche Echsen beritten, und auch eine an Buckelwale erinnernde, hochintelligente Spezies spielt im weiteren Verlauf eine große Rolle. Insbesondere Sullys Kinder – die beiden fast erwachsenen Brüder Neteyam (Jamie Flatters) und Lo’ak (Britain Dalton) sowie die kleine Tuk (Trinity Bliss) und die adoptierte Kiri (Sigourney Weaver) – lernen sich im Wasser zurechtzufinden, sich darin zu bewegen und die Luft länger anzuhalten. Und geraten freilich auch in einige typische Teenager-Konflikte. Die Geschichte hauptsächlich über diese mit Neugier, Tatendrang und Außenseiter-Dasein verbundene Coming-of-Age-Perspektive zu erzählen anstatt über die des eindimensionalen Ledernackens Jake Sully, funktioniert auf empathischer Ebene deutlich besser als im Erstling.

Der Plot von The Way of Water ist strukturell dennoch nahezu deckungsgleich mit dem des Vorgängers: Auf die Exposition folgt der Kontakt mit einem (neuen) Na’vi-Clan, dann wird gelernt, die Natur bewundert und bestaunt, es entstehen Freundschaften und kleinere Konflikte, bis der gemeinsame Feind die Bühne betritt, alle zusammenschweißt und es ins einstündige, actiongeladene Finale geht. Fühlt sich die Handlung bis dahin ob einer gewissen Ereignisarmut und semi-esoterischer Lebensphilosophie-Ausführungen (ebenfalls wie im Vorgänger) stellenweise etwas zäh und gestreckt an, ist das, was dann folgt, einfach nur Zucker für spektakelhungrige Gemüter. Kein Schnittgewitter, stattdessen starke Aufnahmen, klare Bewegungen, nachvollziehbare Orientierung und eine physische Wucht, die im Kinosessel mitreißt.

Der große Showdown fällt nicht derart gigantomanisch aus wie noch 2009, spielt sich auf und um ein größeres Schiff ab (Erinnerungen an Titanic (1997) werden wach), fühlt sich aber umso befriedigender an. Denn Cameron und seinen Co-Autor*innen gelingt es, die antagonistische Seite noch einen Hauch verachtenswerter zu zeichnen, da sich ihre (Misse-)Taten in viel konkreterem Leid an fühlenden Wesen äußern. Dennoch: Der grundlegende Konflikt – böse Menschen mit ihren Maschinen gegen naturliebende Einheimische – ist noch immer reichlich flach, und die Figuren sind wenig mehr als grobe (aber zumindest greifbare) Holzschnitte, was auch durchs Casting nicht besser wird. Sam Worthington etwa hat auch 13 Jahre später nur drei Gesichtsausdrücke zu bieten und bekommt mit Sätzen wie „A father protects his family, it’s what gives him meaning“ auch wenig mehr als Plattitüden in den Mund gelegt. Die große Ausnahme bildet Zoe Saldana, die zwar viel zu wenig Screentime erhält, aber mit ihrem beeindruckend starken Spiel für die emotional wuchtigsten Momente des Films sorgt.

Was dafür vom Beginn bis zum Ende für Staunen sorgt, ist die technische Brillanz von The Way of Water. Eine große Überraschung ist das angesichts von Camerons Werkbiografie (man denke nur an Terminator 2) nicht, doch wie wunderschön diese halb fremde, halb vertraute Welt in jedem einzelnen Moment ist, wie verzaubernd das Farbenspiel, wie makellos das Performance-Capturing (erst recht unter Wasser), wie greifbar Oberflächenstrukturen wirken, wie lebensecht all das scheint – das ist schlicht und ergreifend der Wahnsinn und lässt einen immer wieder kurzzeitig vergessen, dass dieser Film zum überwiegenden Teil aus dem Computer stammt. The Way of Water ist seit dem Vorgänger der erste wirklich legitime Grund, mal wieder freiwillig eine 3D-Brille aufzusetzen. Und sogar der Einsatz von HFR (High Frame Rate, was eine Bildrate von 48 Bildern pro Sekunde bedeutet, also doppelt so viel wie die im Kino üblichen 24 Bilder) ist gelungen und rehabilitiert die Technologie von dem verschmähten Seifernopern-Look, den sie noch in Peter Jacksons Hobbit-Trilogie erzeugte.

Dass die Handlung von The Way of Water mit sozial- oder vielmehr: institutionskritischem Anspruch daherkommt, ist nicht neu für Cameron. Dass das mit einer ordentlichen Portion Naivität, Pathos und nur wenigen Ambivalenzräumen geschieht, ebenso wenig. Insofern ließe sich mit böser Zunge behaupten, Avatar 2 sei wie sein Vorgänger nur eine teure und überlange Technikdemo fürs Kino, und dieser Vorwurf ließe sich auch schwer entkräften. Doch mit Way of Water setzt James Cameron eben einfach genau das fort, was James Cameron schon immer getan hat: großes, technisch herausragendes, gut bis sehr gut unterhaltendes Bombast-Blockbuster-Kino auf die Leinwand zu werfen, das zwar nicht sonderlich herausfordernd oder anspruchsvoll, aber auch keinesfalls anspruchslos ist.

War Avatar 1 noch eine Technikrevolution, ist sein Nachfolger dessen konsequente Evolution und erbt dabei alle Stärken und Schwächen des Vorgängers. Ob einem The Way of Water zusagt, lässt sich deshalb schon vorab mittels einer simplen Frage beantworten: Hat mir der erste Teil bereits gefallen?

Avatar: The Way of Water (2022)

Das Sequel spielt mehr als ein Jahrzehnt nach den Ereignissen des ersten Films und erzählt die spannende Geschichte der Familie Sully (Jake, Neytiri und ihre Kinder): von dem Ärger, der sie verfolgt und was sie auf sich nehmen, um einander zu beschützen; sowie die dramatischen Erlebnisse und die Kämpfe, die sie führen, um zu überleben.

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Meinungen

Werwie Wolfsteiner · 27.08.2023

@Hans im Glück - Ihre Kritik hat meiner Meinung nach genau ins schwarz getroffen!!

Abrar · 20.01.2023

Ich liebe Kino

Luise · 07.01.2023

Sinn entleerte bunte Bilder

Hans im Glück · 04.01.2023

Die Kritik trifft meiner Meinung nach genau ins Schwarze!
Die Systemkritik ist so einfach gehalten und wird so ausgeprägt gezeugt, dass es auch wirklich jeder versteht.
Wir alle sind unterschiedlich, aber können gut zusammenleben; Walfang ist schlecht; Man sollte sich nicht wehren, außer es geht nicht mehr anders.
Außerdem ist der Film so detailverliebt, dass er wirklich versucht, alles zu beschreiben. Hätte man also den Film an so mancher Stelle gekürzt, hätte er deutlich intensiver wirken können. So schaut man nach 2 Stunden schon mal auf die Uhr.
Die Bilder hingegen sind wirklich toll geraten und als Kinospektakel ist der Film wirklich sehr zu empfehlen, wenn man an die Story nicht allzu hohe Anforderungen hat.

Oliver Röhrlich · 03.01.2023

Alles super

Serbo · 14.12.2022

Ausgefeilte Kritik, danke dafür!