Detachment (2011)

Eine Filmkritik von Martin Beck

Wir brauchen Erziehung. Dringend.

„Detachment“, das bedeutet Loslösung, Trennung. Der Begriff steht hier sowohl für eine emotionale Abschottung als auch Einsamkeit und den Verlust des eigenen Antriebs – alles Merkmale von Henry Barthes (Adrien Brody), einem Aushilfslehrer an einer städtischen High School. Bedingt durch private Probleme, wie z.B. den dementen Großvater, und seine Arbeit, bei der Stress und Ärger wesentlich häufiger passieren als Lernerfolge, hat er sich weit zurückgezogen, doch ganz egal ist ihm seine Umwelt noch nicht. Henry freundet sich mit einer Kollegin (Christina Hendricks) an, nimmt eine junge Straßenprostituierte (Sami Gayle) bei sich auf und möchte eine unsichere Schülerin (Betty Kaye) für ihre Begabung begeistern.

Detachment nimmt sich eines wichtigen Themas an, nämlich des maroden amerikanischen Schulsystems, und schwenkt die Kamera nach allen möglichen Seiten: zu den aufsässigen Kindern, den desillusionierten oder bereits gescheiterten Lehrern, den finanziellen Problemen der Schule und auch den Eltern – nach dem Film die wahren Schuldigen der ganzen Misere. Drehbuchautor Carl Lund, der selbst als Lehrer gearbeitet hat, legt großen Wert auf eine umfassende Betrachtung des Stoffes und nimmt dabei in Kauf, dass einige Punkte nicht vollständig ausformuliert werden. Der Film macht deswegen den Eindruck einer „worst of“-Kompilation, immer geschäftig, immer mit dem Finger in der jeweils nächsten Wunde.

Es hätte Detachment gut getan, zumindest einige der Subplots auszulagern und sich dafür stärker auf die verbleibenden Themen zu konzentrieren. Gerade die inhaltliche Anhäufung um Henry, mit dem dementen Opa, der per Selbstmord verschiedenen Mutter, seinen Poesie-Aspirationen, der Freundschaft zu einer Kollegin, der Straßenprostituierten UND der Förderung der gehänselten Außenseiterin, ist ein wahrer Overkill an emotionalen Kinnhaken, die kaum angemessen aufgenommen werden können. Alles hier ist wichtig, es gibt keinerlei Stimmungswechsel, jeder Moment verlangt nach Ausrufezeichen. Statt einen klaren narrativen Strang zu entwickeln, muss der Film deswegen auf eine Episodenstruktur ausweichen, anders wäre das alles gar nicht zu bewältigen.

Regisseur Tony Kaye, der zuvor unter anderem American History X inszeniert hat, jongliert die Elemente des Films mit erstaunlicher Energie, die im günstigsten Fall eine rohe Intensität erreichen kann. In seinen besten Szenen ist Detachment wirklich erschütternd und bewegend…und schneidet dann aber gleich wieder zum nächsten Schauplatz, der natürlich auch wirklich erschütternd und bewegend ist. Kaye, der ebenfalls hinter der Kamera stand, kreiert hier ein ständig in Bewegung befindliches Mosaik, das dann noch mit einer ganzen Reihe von Gimmicks, wie z.B. Animationen, „Home Movies“, Interviews, Fantasy-Momenten oder direkter Zuschauer-Ansprache, angereichert wird. Wahrscheinlich wäre es leichter aufzuzählen, was Detachment nicht in seiner Laufzeit unterbringt.

Dass die Überinszenierung und das inhaltliche Stapelverfahren trotzdem noch die noblen Absichten des Films durchscheinen lassen, ist zum einen ein Verdienst des mitunter kraftvollen Drehbuchs, und zum anderen ein Verdienst von Adrien Brody, der hier eine komplexe, nahegehende Figur verkörpert und in einem anderen, fokussierteren Film wohl ein, zwei Gedanken an einen weiteren Oscar verschwenden dürfte. Detachment ist zuallererst ein Schauspielerfilm, inklusive melodramatischer Untiefen, und hat wohl auch deswegen eine ganze Reihe hochkarätiger Mimen, wie z.B. James Caan, Bryan Cranston, William Petersen oder Marcia Gay Harden angezogen. Es passiert ja nicht alle Tage, seinen Kopf für eine wichtige Sache einsetzen und dabei vielleicht sogar Preise abräumen zu können.

Dass Detachment letztendlich kaum die gewünschte Beachtung fand, darf den genannten Holpersteinen zur Last gelegt werden, die einfach zu viel wollen und dem Film ein aufdringliches Sendungsbewusstsein aufzwingen, das dem Zuschauer eher früher als später zu viel wird. Vielleicht gibt es ja einfach Themen, die nur im Rahmen einer Dokumentation ihre volle Wirkung entfalten können.
 

Detachment (2011)

„Detachment“, das bedeutet Loslösung, Trennung. Der Begriff steht hier sowohl für eine emotionale Abschottung als auch Einsamkeit und den Verlust des eigenen Antriebs – alles Merkmale von Henry Barthes (Adrien Brody), einem Aushilfslehrer an einer städtischen High School. Bedingt durch private Probleme, wie z.B. den dementen Großvater, und seine Arbeit, bei der Stress und Ärger wesentlich häufiger passieren als Lernerfolge, hat er sich weit zurückgezogen, doch ganz egal ist ihm seine Umwelt noch nicht.

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