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Zu Beginn sehen wir verschwommene, rätselhafte Bilder. Zu hören ist ein virtuoses Spiel, welches schließlich mit Applaus bedacht wird. Es ist das Spiel des inzwischen vergessenen Wiener Wunderkinds Maria Theresia Paradis, die „Licht“ hier neu entdeckt. 

Licht (2017)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Der Wert eines Menschen

Zu Beginn sehen wir verschwommene, rätselhafte Bilder. Auf diese folgt die Nahaufnahme einer jungen, grell geschminkten Frau mit turmhoher Perücke in Rokoko-Garderobe, die am Klavier sitzt; die Augen der Frau sind verdreht und entzündet. Zu hören ist ein virtuoses Spiel, welches schließlich mit Applaus bedacht wird. Mit dem Beifall gehen jedoch ermahnende Worte aus dem Hintergrund einher: „Nicht so wackeln! Du wackelst schon wieder so!“ Zugleich werden die Reaktionen des Publikums erfasst; sie reichen von Faszination über Mitleid bis hin zu Häme.

Was wir hier gezeigt bekommen, ist die Präsentation eines musikalischen Wunderkindes in einem Wiener Salon des späten 18. Jahrhunderts: Die seit früher Kindheit blinde Pianistin Maria Theresia, genannt Resi (Maria Dragus), wird von ihrer Mutter (Katja Kolm) und ihrem Vater (Lukas Miko) der Gesellschaft vorgeführt. Dabei widmet sich die in der österreichischen Hauptstadt geborene Filmemacherin Barbara Albert (Fallen, Die Lebenden) in Licht auf Basis eines Drehbuchs von Kathrin Resetarits – frei nach dem Roman Am Anfang war die Nacht Musik (2010) von Alissa Walser – einer Episode im Leben von Maria Theresia von Paradis (1759-1824). Ehe die Zeitgenossin von Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart von 1783 bis 1786 auf Europatournee ging und als Komponistin sowie als Musikpädagogin aktiv wurde, hielt sie sich im Jahre 1777 für einige Monate zur Kur im Palais von Franz Anton Mesmer (verkörpert von Devid Striesow) und dessen wohlhabender Gattin Maria von Posch (Johanna Orsini-Rosenberg) auf.

Mit einer neuen, umstrittenen Methode, bei welcher ein magnetisches Fluidum – eine unsichtbare Flüssigkeit – zum Einsatz kommen soll, nimmt sich der Mediziner der jungen Erwachsenen an, die bereits diverse Torturen, etwa völlig erfolglose Behandlungen mit Quecksilber und Schwefel oder mit elektrischen Stößen, hinter sich hat. Skript und Regie fokussieren sich dabei mehr als die literarische Vorlage auf das Empfinden von Resi. Wir erleben mit ihr, wie sie mit Mesmers unorthodoxer Vorgehensweise konfrontiert wird, wie sie in der ungefähr gleichaltrigen Kammerzofe Agnes (Maresi Riegner) eine gute Freundin findet, wie sie plötzlich ganz unverhofft beginnt, Gegenstände und Farben wahrzunehmen – und wie sie feststellen muss, dass mit der zurückkehrenden Sehkraft ihre musikalische Virtuosität zu schwinden droht.

Licht ist in vieler Hinsicht ein äußerst bemerkenswerter Film. Zum einen ist die österreichisch-deutsche Koproduktion ein gelungenes Historiendrama: Kostüm und Maske sowie die Ausstattung der Räume fangen die Epoche des Wiener Rokoko treffend ein; das Werk schwelgt dabei nicht in dem übertriebenen Pomp jener Zeit, sondern arbeitet klug die darin innewohnende Beengung und Unterdrückung heraus, die der Protagonistin widerfahren. Die Gruppentherapiesitzungen auf Mesmers Anwesen an einem kreisrunden Tisch bei Kerzenschein und abendlichem Gewitter sowie zu eigenartigen Glasharmonika-Klängen haben etwas leicht Surreales; die Passagen, die durch die Figur der jungen Kammerzofe und deren Umfeld Einblick in die Klassenverhältnisse geben, sind hingegen durchweg realistisch. Zum anderen ist Licht eine Geschichte von aktueller Relevanz. Wer nicht sehen könne, der werde auch nicht gesehen – und wer nicht gesehen werde, der werde auch nicht gehört, der lebe nicht, meint Resi an einer Stelle. Immer wieder wird über die anwesende Resi gesprochen, als sei sie gar nicht da beziehungsweise als sei sie kein Mensch. Dem Vater geht es in erster Linie um die Gnadenpension von der Kaiserin; der groben, gar brutalen Mutter lediglich um das Ansehen der Leute. Inhumanes Nutz- und Leistungsdenken ist, leider, etwas Zeitloses. Wenn der kleine Sohn der Köchin (Steffi Reinsperger) aufgrund seiner Behinderung von Resis Eltern als „Krüppel“ oder „Idiot“ bezeichnet wird, kann man einerseits froh sein, dass derartige Begriffe heute in ihrer Grausamkeit und Menschenverachtung erkannt werden; dass sich andererseits das Denken in Teilen der Gesellschaft nicht grundsätzlich gewandelt hat und dass eine Person immer noch vor allem nach dem (vermeintlichen) Nutzen beurteilt wird, den sie für die Gesellschaft hat, lässt sich indes bedauerlicherweise kaum von der Hand weisen.

Auch in puncto Schauspiel ist Licht hervorragend. Devid Striesow bleibt als Mesmer ein ambivalenter Charakter: Ob dessen Magnetkur, wie die Wiener Ärzteschaft vermutet, Scharlatanerie und Resis zurückkehrende Sehfähigkeit nur Einbildung ist, lässt der Film im Unklaren. Mesmer wirkt empathisch und baut eine enge Bindung zu seiner Patientin auf, wenn er etwa in einer Szene mit dieser musiziert; gleichwohl strebt er zugleich nach akademischer Anerkennung und nutzt Resi ebenfalls aus, indem er sie und ihre Genesungsfortschritte vorführt. Maria Dragus, die sich unter anderem schon in Das weiße Band (2009) oder in Tiger Girl (2017) als großes Talent erwiesen hat, interpretiert Resi wiederum als sensible Frau, die erneut lernen muss, die Welt zu erfassen und die Dinge „zusammenzubringen“, wie sie selbst sagt. Nicht zuletzt dank Dragus‘ Stärke wird Licht zu einer beeindruckenden Emanzipationsgeschichte über eine Frau, die sich mit ganzer Kraft von einschnürenden Normen zu befreien versucht.

Licht (2017)

Zu Beginn sehen wir verschwommene, rätselhafte Bilder. Auf diese folgt die Nahaufnahme einer jungen, grell geschminkten Frau mit turmhoher Perücke in Rokoko-Garderobe, die am Klavier sitzt; die Augen der Frau sind verdreht und entzündet. Zu hören ist ein virtuoses Spiel, welches schließlich mit Applaus bedacht wird.

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Meinungen

wignanek-hp · 29.05.2018

Ein phänomenaler Film. Ich kann nicht verstehen, dass er nur so kurz in den Kinos gelaufen ist, und dann auch nur in wenigen ausgewählten.