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Streaming-Tipp des Tages: Körper und Seele

Ein Beitrag von Mathis Raabe

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Körper und Seele von Ildikó Enyedi
Körper und Seele von Ildikó Enyedi

Der Song „What He Wrote“ der britischen Folk-Musikerin Laura Marling behandelt auf gleich mehreren Ebenen eine Liebe mit Hindernissen: Er ist inspiriert von Liebesbriefen, die zu Kriegszeiten an die Front geschickt wurden, und außerdem gerichtet an einen Liebhaber, der nicht der feste Partner zu sein scheint. Dieser Song spielt eine besondere Rolle im ungarischen Film Körper und Seele, der 2017 unter dem internationalen Titel On Body and Soul den Berlinale-Wettbewerb gewann.

Regisseurin Ildikó Enyedi lief bereits 1989 mit ihrem Debütfilm Mein 20. Jahrhundert in Cannes. Dann flog sie aber außerhalb Ungarns lange unter dem Radar der Arthouse-Szene, keiner ihrer Filme schaffte es in Deutschland ins Kino – bis zum Goldenen Bären, was von der Presse 2017 dann auch vielfach als Comeback bezeichnet wurde.

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Die Liebe mit Hindernissen, von der Körper und Seele erzählt, entwickelt sich zwischen einer autistischen Frau namens Mária und einem älteren Mann mit verletztem und gelähmtem linken Arm namens Endre. Sie bemerken, dass sie sich die selbe Traumwelt teilen. In diesen Träumen sind sie Rehe, die einander in einer Winterlandschaft begegnen. Darüber entwickelt sich zwischen den beiden introvertierten Figuren eine Liebesbeziehung. Der Ort, an dem sie sich im Wachzustand begegnen, ist ihr Arbeitsplatz: ein Schlachthof. Damit schafft der Film kontrastierende Bilder: Schocksequenzen von den Rindern, die getötet und verarbeitet werden, im Gegensatz zu Rehen in einer Winterlandschaft und den beiden ruhigen, sensiblen Hauptfiguren.

Die Idee, autistische Menschen seien relativ unfähig, romantische Beziehungen zu führen, ist weit verbreitet und falsch und problematisch. Hier muss man aber nicht mit dem ideologiekritischen Holzhammer kommen. Schließlich sind Einzelschicksale zu sehen, und vieles an Alexandra Borbélys Darstellung einer Autistin wirkt authentisch. Mit geradezu wissenschaftlicher Methode versucht sie, die Körpersprache von Menschen richtig zu lesen.

Körper und Seele ist kühl und langsam erzählt, die Montage linear, aber elliptisch. Viele Zwischenmomente werden gezeigt: das Einschlafen, das Aufwachen, das Warten auf etwas, Blicke aus dem Fenster. Viele interessante Themen werden beiläufig angeschnitten: Einmal sagt Endre zu einem sich toxisch männlich gerierenden neuen Angestellten, Mitgefühl mit den Tieren sei notwendig, damit man den Job im Schlachthof gut machen kann. Derselbe Angestellte macht Mária gegenüber Kommentare, die klar als sexuelle Belästigung einzuordnen sind.

Was Arthouse-tümelig klingen mag, macht die Filmfiguren und ihre Welt tatsächlich umso faszinierender und ballt sich schließlich zu tief erschütternden Momenten. Auf den Goldenen Bären folgte für Körper und Seele noch eine Oscar-Nominierung als Bester fremdsprachiger Film. Die Berlinale-Jury hat Ildikó Enyedi 2017 zu Recht zurück auf die Weltbühne gehoben; auf der Bühne des deutschen Kinos war der Erfolg eher überschaubar.

Körper und Seele ist neu im Programm von Filmfriend und somit mit dem Bibliotheksausweis kostenlos streambar. Außerdem ist der Film bei gängigen VoD-Anbietern zur Leihe verfügbar.

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