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Die Produktionsfirma heißt „Von Oma gefördert“, gedreht wurde nach Axel Ranischs „Sehr gutem Manifest“. Doch Rückenwind von vorn ist nicht die typische German Mumblecore-mit-Wackelkamera-Komödie. Philipp Eichholtz inszeniert ernsthaft eine 80-Minuten-Momentaufnahme aus dem Leben einer jungen Frau.

Rückenwind von vorn (2018)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Lehrerin leer im Leben

Seine vorherigen Filme drehten sich um überdrehte, extreme Frauen: In Liebe mich! fliegt erstmal ein Laptop aus dem Fenster, in Luca tanzt leise erwacht die Titel-„Heldin“ langsam aus einer jahrelangen depressiven Lethargie. Charlie (Victoria Schulz) in Rückenwind von vorn ist nicht extrem: Das macht den Film im eigentlichen Sinn alltäglich.

Und auch Luca aus dem vorherigen Film scheint inzwischen geerdet: Sie hat einen kleinen Cameoauftritt, zusammen mit ihrer Oma – gespielt von Axel Ranischs Oma Ruth Bickelhaupt –; Eichholtz‘ Filme spielen alle im selben Universum, aber sie gleichen sich nicht. Weil sich die Protagonisten nicht gleichen, weil sich die Menschen nicht gleichen.

Charlie ist Lehrerin, sie hat einen Freund und das Leben könnte wunderbar sein. Wenn es nicht alles so normal wäre; so routiniert. Sie geht auf in ihrem Beruf – wunderbare Szenen im Klassenzimmer erleben wir, wie sie den Kindern der Klasse 5a der Ruppin-Grundschule Unterricht erteilt, sie ebenso eifrig wie die Kinder. Eichholtz inszeniert seinen Film echt, das ist ja die Essenz der Mumblecore-Manifeste: Er hat eine spürbar klare Vorstellung, wer, wie und was seine Protagonisten sind, und lässt sie dieses innere Wesen ausdrücken. Und das ist die große Stärke seiner Inszenierungskunst: Das Leben einfangen, verdichtet im Film.

Charlie ist zunehmend unglücklich. Ihr Freund Marco (Aleksandar Radenkovic) will ein Baby; auch der Kollege und die Schwägerin deuten gerne auf ihre Familienplanung an. Heimlich aber nimmt sie die Pille. Sie will niemanden vor den Kopf stoßen; aber auch nicht sich selbst völlig aufgeben. Ihre beste Freundin ist auf Backpacker-Trip durch Asien, sie selbst will eigentlich nach Südkorea in den Urlaub. Doch wie kann sie so frei sein? Kollege Gerry (Daniel Zillmann), beleibter Freund kulinarischer Genüsse, macht eine Kochrezept-Reise durch die Balkanstaaten im Wohnmobil …

Wäre dies ein „normaler“ Film, dann würde sich der Frust entladen. Dann würde sich irgendwann, klick, eine Handlung entwickeln, die beispielsweise in Fremdgehen, Ausbruch oder beidem kulminieren würde. Eichholtz deutet das alles an – aber so was geschieht eben vor allem im Film. Nicht im Leben. Im Leben geht alles langsam voran, mit viel innerem Fragen, Zweifeln und Zögern. Und es geht vor allem alles nicht einfach. Charlie ist nicht „die Gefangene im goldenen Käfig“, sie ist nicht „die Unterdrückte unter den Zwängen der Gesellschaft“, sie ist nicht „die Verzweifelte mit unerfüllten Wünschen“. Charlie spürt einfach ein leises Unbehagen am Leben. Ja, vielleicht ist sie neidisch auf Gerrys scheinbare Freiheit. Vielleicht ist sie genervt von Marcos Familienwunsch, der sie überfährt. Und überfordert mit ihrer Oma, die im Krankenhaus liegt.

Eine tolle Sequenz macht ihre innere Problematik deutlich: Fröhlich auf einem Straßenfest hat Marco den Wunsch nach einem ganz besonderen Burger. Nicht weit, zwei, drei Stationen mit der U-Bahn. Also weg vom Fest. Vom Burger muss er kotzen. Fährt heim. Was soll sie nun tun? Das ist unheimlich gut gespielt, toll konzentriert, wie sie verloren ist durch den blöden Zufall dieses schlechten Burgers; und gleichzeitig sehen wir seine Perspektive, der was machen will, was Schönes, und feststellen muss, dass dieses Schöne, das er sich vorstellt, sich nicht mit dem Schönen, was sie will, deckt … In einer anderen Szene ist Charlie mit Marco und ihrer Oma beim Paintball-Spiel im Wald; die Oma hat die Teilnahme gewonnen, Charlie will nicht wirklich, und in einer tollen Filmmontage kommen ihre unerfüllten Wünsche hoch – wie sie koreanisch lernt, wie sie spielerisch ihren Freund beim Gamen stört; und wie die Oma auf eine wacklige Leiter steigt – alles quasi symbolische Vorschau auf das Unglück, das auf sie zurollt.

Irgendwann kommt es zu einem so spontanen wie bizarren Roadtrip nach Tschechien; und irgendwie löst sich da ein Knoten. Immerhin lacht Charlie sehr, sehr herzlich. Und Eichholtz bereitet den Boden für eine dieser hochemotionalen Szenen, die er so beiläufig wie effektiv zu inszenieren vermag: Ja, Ranischs Manifest fordert Improvisation ein; aber klug geplant – und mit sorgfältig kadrierten Bildern versehen – kann ein German Mumblecore-Film eben auch sein.

Rückenwind von vorn (2018)

Charlie, die junge Berliner Lehrerin, will ihren eingeschlagenen Weg so nicht weitergehen und fragt sich, was sie wirklich will und braucht.

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Meinungen

Max · 12.06.2018

Sehr schöner Artikel, sehr schöner Film!