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In ihrem Drama »Vamos a la Playa« will Bettina Blümner auf dokumentarische Natürlichkeit setzen – was jedoch nur bedingt funktioniert.

Vamos a la playa (2022)

Eine Filmkritik von Jens Balkenborg

Der eurozentristische Blick

»Machen wir jetzt doch ne Gruppenreise?« Die Handkamera wackelt, als sich der verdutzte Benjamin (Leonard Scheicher), Katharina (Victoria Schulz) und Judith (Maya Unger), die unverhoffte Dritte im Bunde, vor dem Flughafen ihr Gepäck schnappen. Das Ziel: Kuba. Dort soll Katharinas Bruder Wanja abgetaucht sein, den das Trio, angeführt von dem des Spanischen mächtigen Benjamin, finden soll. Gleich darauf sitzen die Drei im Flieger, in verwackelten Handybildern stellen die jungen Frauen sich Fragen wie »One-Night-Stand oder kein Sex in der Beziehung«?

Gleich in den ersten Minuten steckt Bettina Blümner ab, was sie mit ihrem Drama Vamos a la Playa im Sinn hat: einen auf dokumentarische Natürlichkeit setzenden Film, in dem der Roadtrip dreier junger Studierender den Rahmen bildet für Coming-of-Age-Fragen in unserer digitalen Gegenwart. Und der – auch das wird auf Kuba schnell klar durch Katharinas vor allem sextouristisches Interesse an kubanischen Männern – obendrein Diskurse über soziale Ungleichheit, über Tourismus und unseren eurozentristischen Blick auf die Welt verhandelt.

Dass sie sich auf empathische Auseinandersetzungen mit jungen Menschen, auf ein authentisches Eintauchen in Lebenswirklichkeiten, versteht, hat die Regisseurin bereits in Prinzessinnenbad unter Beweis gestellt. Ihr Debüt wurde mit dem deutschen Filmpreis für den besten Dokumentarfilm und auf der Berlinale 2007 mit dem Preis Dialogue en Perspective ausgezeichnet.

Trotz des Erfolgs und weiterer Kinofilme, die national und international auf Festivals und im Kino liefen, musste Blümner Vamos a la Playa mit einem Minibudget drehen. Das muss nichts heißen, nur wird leider schnell klar, dass der Transfer jenes dokumentarischen Authentizitätsmodus aus dem Debüt auf das Spielfilmformat, so viel Improvisation es dabei auch gegeben haben mag, nicht recht funktioniert. Daran ändert auch nicht, dass Blümner, die selbst ein Semester an einer Filmhochschule nahe Havanna studiert hat, eigene Erfahrungen einbringen konnte.

Schon die Grundkonstellation hat trotz des natürlichen und guten Spiels des jungen Ensembles etwas arg Formelhaftes. Ausgestattet mit der Kreditkarte von Katharinas stinkreichem Papa, dem Auftraggeber für die Suche nach dem verschollenen Sohn, gehen die Drei zu Werk: Benjamin, der Obermoralist, will nichts anderes als nach Wanya suchen und zählt jeden Abend akribisch die Ausgaben, Judith flirtet mit Benjamin und ist zugleich beziehungsscheu und Katharina rennt blind vor Sexverlangen durch die Straßen und hält Ausschau nach Männern. »Ich will nur seinen schönen Körper und sonst nichts!« Sie ist die Ausgeburt der wohlstandsblinden Westlerin, die einmal sogar einen Mann dafür bezahlt, dass der im Restaurant verdorbenen Salat isst. Auch wenn Prostitution auf Kuba offiziell verboten ist, boomt das Sex-Geschäft.

Die Absicht dieses Beziehungskonstrukts ist klar: Blümner wirft hier junge Menschen ins Unbekannte, auf der Suche nach sich selbst, und lässt sie alle, quasi in einem filmisch kondensierten Wirklichkeitssplitter, anderes als das Erwartete finden. Wie ernst (später auch absurd ernst) es die Regisseurin damit meint, wird klar, nachdem Ignacio (Eugenio Torroella Ramos), ein kubanischer Tanzlehrer aus sehr armen Verhältnissen, das Beziehungsgeflecht des Trios komplett auf den Kopf stellt. »Wir Kubaner ändern ständig unsere Pläne. Wir sind nicht wie ihr Deutschen« hatte der noch am Strand gesagt.

Doch weder wirken die Figuren mit ihren Ängsten und Lüsten wirklich glaubhaft, noch fügen sich die eingangs erwähnten Handy-Tagebucheinträge oder Interviews mit Fragen wie »Was ist für dich ein guter Orgasmus?« stimmig in die Erzählung ein. Sie wirken vielmehr wie ein gekünstelter Fremdkörper bei dem nicht gelingen wollenden Versuch, ein Generationenporträt zu entwerfen.

Schwierig ist auch Verhältnis des Films zu seiner Umgebung. Einerseits gibt Vamos a la Playa vor, in die kubanische Lebenswirklichkeit einzutauchen, wenn Judith auf der Straße in einer schönen Szene spontan in das Ballspiel von ein paar Jungs einsteigt. Oder wenn sie gemeinsam mit Benjamin eine Professorin zu Hause besucht, um bei ihr Auskünfte über Wanya einzuholen, der seine Masterarbeit über Seekühe geschrieben hat und auf Kuba nach ihnen sucht. Die in Armut lebende Habilitierte schenkt Judith Tassen, quasi ihre einzigen, wie Benjamin seiner Mitreisenden später erklärt.

Doch beißt sich die Katze in den Schwanz, denn so sehr der tragikomisch gefärbte Film das Wohlstandsgefälle auch verhandeln mag, so sehr bleibt er selbst in der eurozentristischen Perspektive gefangen. Es ist wie Benjamins finaler Unterwassertanz mit der Seekuh, die ihm begegnet: Faszination anstatt wirklicher Empathie, wodurch das »Fremde« dann doch zur exotischen Tapete wird.

 

 

 

 

 

 

Vamos a la playa (2022)

Als die Student*innen Benjamin, Judith und Katharina nach Kuba reisen, um Katharinas vermissten Bruder Wanja zu finden, verstricken sie sich immer mehr in emotionalen Wiedersprüchen, aufrichtigen Gefühlen und sexuellen Begierden. Während Benjamin und Judith Wanja suchen, hat Katharina andere Pläne. Die tropischen Nächte sind heiß und sie ist scharf auf kubanische Männer – für den Sex zahlt sie natürlich auch gerne. Obwohl Judith und Katharina nach echter Leidenschaft und Liebe suchen, können sie der Realität der wirtschaftlichen Ungleichheit nicht entkommen. Dann taucht der Tanzlehrer Ignacio auf und wirbelt die Dreierkonstellation durcheinander. (Quelle: jip Film & Verleih)

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