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Der etwas in der Versenkung verschwundene Schauspieler Edward Norton meldet sich auf der großen Leinwand zurück und liefert mit einer atmosphärischen Romanverfilmung seine zweite Regiearbeit ab. Vor allem Noir-Liebhaber dürften hier auf ihre Kosten kommen.

Motherless Brooklyn (2019)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Auf den Spuren von „Chinatown“

Fast zwei Dekaden hat Edward Norton, um den es in letzter Zeit etwas still geworden ist, für sein Herzensprojekt gekämpft. Seit der Veröffentlichung des Romans „Motherless Brooklyn“ im Jahr 1999 stand für den drei Mal mit einer Oscar-Nominierung bedachten Schauspieler fest, dass er die von Jonathan Lethem verfasste Noir-Hommage unbedingt ins Kino bringen müsse. Als Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Hauptdarsteller in Personalunion dürfte er dabei einen echten Kraftakt vollbracht haben. Seine mit zahlreichen Abwandlungen gespickte Literaturadaption ist sicherlich nicht frei von Macken, versprüht aber einen angenehm klassischen Charme und schlägt überdies auch einige hochaktuelle politische Untertöne an.

War die Handlung im Roman noch im Jahr des Erscheinens angesiedelt, verlegt Norton seinen stark abweichenden Plot in das Jahr 1957 und beschwört dadurch allein optisch die Bilderwelten des Film noir, dessen düstere Kriminalgeschichten während des Zweiten Weltkriegs und danach eine auffallend pessimistische Weltsicht mit ambivalenten Figuren verbanden.

Dreh- und Angelpunkt von Motherless Brooklyn ist der zwischendurch auch als Voiceover-Erzähler auftretende, unter dem Tourette-Syndrom leidende Detektivgehilfe Lionel Essrog (Edward Norton), dem gleich zu Beginn Schlimmes widerfährt. Sein Chef und Mentor Frank Minna (Bruce Willis) wird bei einem konspirativen Treffen entführt und kurz darauf ermordet. Da der Tote mehr als ein Vorgesetzter für ihn war, will Lionel um jeden Preis herausfinden, warum Minna sterben musste. Bei seinen Recherchen stößt er auf unlautere Pläne im New Yorker Stadtapparat und lernt die engagierte Gemeindeaktivistin Laura Rose (Gugu Mbatha-Raw) kennen, die offenbar eine Schlüsselrolle spielt.

Tief ins Gesicht gezogene Hüte, lange Mäntel, schummrige Jazz-Lokale, dreckige Hinterhöfe, eine Verschwörung auf hoher Ebene, übergeordnete Kommentare des Protagonisten und eine melancholische Atmosphäre. Nortons Detektivstory verneigt sich tief vor dem Noir-Kino und weckt mit ihren politischen und familiären Verstrickungen unweigerlich Erinnerungen an Roman Polanskis Meisterwerk Chinatown von 1974, das seinerseits den grimmigen, unheilvollen Kriminalerzählungen der 1940er und 1950er Jahre huldigte.

Auch wenn Motherless Brooklyn nicht die Tragik und Tiefe dieses Klassikers erreicht, hat die Romanverfilmung mit Lionel Essrog einen aufregenden Helden zu bieten. Seine durch die Nervenkrankheit ausgelösten Tics und Ausrufe machen ihn zu einem Außenseiter, der sich im sozialen Miteinander häufig unwohl fühlt und vor festen Beziehungen zurückscheut. Gleichzeitig verfügt er über eine außergewöhnliche Erinnerungsgabe, die auch nach dem Mord an Minna wichtig sein wird. Erfreulicherweise degradiert Norton den Ermittler nicht zu einem Freak oder einer Witzfigur, sondern balanciert behutsam zwischen skurriler Komik und starkem Mitgefühl für Essrogs besondere Verfassung. Mehr als einmal hebt das Drehbuch darauf ab, welche Stürme in Lionels Kopf toben. Und trotz der regelmäßigen Ausbrüche wirkt das Spiel des regieführenden Hauptdarstellers nie effekthascherisch oder selbstzweckhaft.

Dem Film gelingt es nicht nur, die innige Bindung zwischen dem Assistenten und seinem Boss Minna greifbar zu machen. Wiederholt nimmt er sich auch Zeit, um das Verhältnis von Lionel und Laura zu ergründen. In Erinnerung bleiben vor allem eine Tanzszene, in der sie seine Unsicherheit liebevoll zu lindern versucht, und ein emotionales Gespräch nach einem Schicksalsschlag. Eingeflochten sind derartige Stimmungsmomente in einen gebührend vertrackten Fall, der systemimmanenten Rassismus, rücksichtslose Gentrifizierung und das bizarre Feudalherrengehabe einflussreicher weißer Männer geißelt. Nach einem nervenaufreibenden Einstieg läuft die erste Stunde vielleicht etwas schleppend ab. Manche Nebencharaktere wirken leicht unterentwickelt. Und das Ende fühlt sich ein wenig gehetzt an. Insgesamt weiß Nortons akribisch ausgestattetes Detektivdrama aber zu unterhalten und lehrt den Zuschauer, den Wert altmodischer, unaufgeregter Kriminalerzählungen zu schätzen.

Motherless Brooklyn (2019)

Im New York der 1950er Jahre versucht der einsame, vom Tourette-Syndrom geplagte Privatdetektiv Lionel Essrog den Mord an seinem Mentoren und einzigen Freund Frank Minna aufzuklären.

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