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Joe Wright verfilmt den Bestseller „The Woman in the Window“ mit Amy Adams, Julianne Moore, Anthony Mackie und Gary Oldman. Was kann da noch schiefgehen? Spoiler: So ziemlich alles!

The Woman in the Window (2021)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Das Fenster zur Straßenseite

Was ihre Nachbarn denn derzeit so treiben, fragt der Psychologe (Tracy Letts) seine Patientin Anna Fox (Amy Adams), als er sie zur wöchentlichen Therapiesitzung in ihrem Haus aufsucht. Sichtlich irritiert versucht sie, seine Frage einzuordnen. Aber er steht stoisch weiterhin am Fenster und beobachtet seinerseits die Nachbarn. Anna wittert einen Test, ein Ablenkungsmanöver, will nicht antworten. Tatsächlich beobachtet Anna ihre Nachbarn durch ihr Fenster, es sind ihre wenigen „Kontakte“ zur Außenwelt, seit sie ihr Haus nicht mehr verlässt. Agoraphobie hat sie: Sie bekommt Panikattacken, sobald sie im Freien ist, sie kann ihr Haus nicht mehr verlassen. Aber da ist noch mehr: Sie nimmt zu viele Tabletten, trinkt zu viel Alkohol und hat regelmäßige Filmrisse, vielleicht sogar Halluzinationen. Dann ist sie eines Abends überzeugt, dass sie beobachtet hat, wie der neue Nachbar Alistair (Gary Oldman) seine Ehefrau ermordet hat. Doch niemand glaubt ihr. Noch nicht einmal Alistairs Sohn Ethan (Fred Hechinger) will zugeben, dass seine Mutter tot ist. 

Schon A.J. Finns gleichnamige Beststeller-Vorlage zu Joe Wrights The Woman in the Window ist durchzogen von Verweisen auf Alfred Hitchcock, insbesondere Das Fenster zum Hof ist eine deutliche Referenz. Aus diesem Aspekt aber macht die Verfilmung nun wenig. Gleich am Anfang ist ein ikonisches Bild aus dem Fenster zum Hof zu sehen, danach schläft Anna regelmäßig vorm Fernseher ein, in dem Schwarzweiß-Filme zu sehen sind. Dabei belässt es Wright dann aber auch, obwohl sich ein Spiel mit filmhistorischen Motiven regelrecht anbieten würde. 

Ohnehin ist kaum zu erkennen, wohn dieser Film steuert. Er hätte Annas Psyche zum Ausgangspunkt nehmen können, er hätte ein interessanter Beitrag zum Gaslighting werden können; er hätte Trauer und Schuld erforschen können. Alleine Annas Agoraphobie ist ein exzellenter Ausgangspunkt für einen Thriller, daraus bezieht die Buchvorlage fast ihre gesamte Spannung: Anna kann (!) das Haus nicht verlassen, das zunehmend zu einem klaustrophobischen Gefängnis für sie wird. Aber in der Adaption zeigt sich nur in ganz wenigen Momenten, was hätte sein können, was möglich gewesen wäre, wenn man mutiger, innovativer gewesen wäre. Oder wenigstens sicher, in welche Richtung dieser Film gehen soll. Noch nicht einmal die Musik von Danny Elfman vermag es, ein bisschen Spannung zu erzeugen oder dem Film etwas hinzuzufügen. Stattdessen wird nach einigen faden Wendungen im Film der Killer „enthüllt“, der über kein Charisma oder wenigstens Glaubwürdigkeit verfügt; erschreckend ist im Finale allenfalls die plumpe Inszenierung. Dabei ist es immer wieder auch das Theaterhafte, das dieses Mal – ganz im Gegensatz zu Wrights sehr gelungener Verfilmung von Anna Karenina – nicht funktioniert. 

Sicherlich ist nicht alles dem Film anzulasten, viele der haarsträubenden Wendungen gab es bereits in der Buchvorlage. Diese Adaption bestätigt abermals, dass man einem Buch mit sehr subjektiver Erzählperspektive mehr zu verzeihen bereit ist. Da es diese Perspektive in diesem Film nicht gibt, funktionieren die Wendungen nicht – und sie sind auch beileibe nicht überraschend. Dazu bleiben die Figuren trotz der namhaften Besetzung eher hölzern agierende Schemen, die ihre Dialoge mitunter regelrecht aufsagen. Einer der Tiefpunkte – ein spätes Gespräch zwischen Anna und ihrem Untermieter – führt das klar vor Augen. 

Auch ist keine:r der Schauspieler:innen überzeugend: Adams spielt routiniert eine weitere psychisch labile Frau, die in ein Geheimnis verwickelt ist, ist aber meilenweit von ihrer Leistung in Sharp Objects entfernt. Erschwerend kommt hinzu, dass über Anna kaum mehr zu erfahren ist als dass sie ein Wrack ist. Im Buch gibt es eine Online-Gruppe, mit der sie sich austauscht, durch die sehr klar wird, was für ein Mensch Anna über ihre Krankheit hinaus ist. Und so ein Gegengewicht fehlt in diesem Film völlig. Gary Oldman und Julianna Moore ziehen sich ins Overacting zurück, Jennifer Jason Leigh und Anthony Mackie sind sichtlich unterfordert. Daher wünscht man sich fast sehnlichst, der Film wäre ein konventioneller Ermittlerkrimi mit Brian Tyree Henrys Detective Little als Hauptfigur. Denn er ist einer der wenigen Lichtblicke in dieser misslungenen Adaption.

The Woman in the Window (2021)

Eine alleinstehende und unter Agoraphobie leidende Frau beginnt ihre neuen Nachbarn auszuspähen und beobachtet dabei eine verstörende Gewalttat.

 

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