Chinatown

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Der Titel dieses ebenso elegant ausgestatteten wie packend inszenierten Thrillers von Roman Polánski aus dem Jahre 1974 bezeichnet nicht nur ein Stadtviertel von Los Angeles mit großer Präsenz chinesischer Immigranten, sondern stellt darüber hinaus ein Synonym für eine ganz spezifische Atmosphäre der unterschwelligen Verruchtheit, der Doppelbödigkeit, der Korruption dar. Chinatown als Detektiv-Geschichte mit einem großartigen Jack Nicholson in der Hauptrolle und als düster-melancholischer Film Noir in Farbe repräsentiert das Kino New Hollywoods jener Zeiten auf derart eindrucksvolle Weise, dass die Faszination dieses widerborstigen Genres in jeder Szene deutlich spürbar ist.

Der Privatdetektiv J. J. Gittes (Jack Nicholson) ist ein Mann, den sein früheres Leben als Cop in Chinatown mit einer ganz eigenen, dezidierten Moral gegerbt hat. Beruflich erfolgreich ermittelt er nicht selten untreuen Ehegatten hinterher, und so ist es auch zunächst kein ungewöhnlicher Auftrag, mit dem sich eines Tages eine gewisse Evelyn Mulwray (Faye Dunaway) an ihn wendet, um ihren Mann Hollis (Darrell Zwerling) des Seitensprungs zu überführen – wobei es sich bei dieser Klientin allerdings um eine atemberaubend charismatische Person handelt. Nachdem es Gittes gelingt, den derart Verdächtigten in Gesellschaft einer jungen Frau zu fotografieren, erscheint darüber ein Artikel in der Presse, doch bald stellt sich heraus, dass die vorgebliche Mrs. Mulwray gar nicht die Gattin des beschatteten Ingenierus war. Nach einigen Turbulenzen mit der tatsächlichen Evelyn Mulwray könnte der Fall für Gittes erledigt sein, doch als Hollis Mulwray tot aufgefunden wird und sich Zusammenhänge mit der problematischen urbanen Wasserversorgung andeuten, ermittelt Gittes auf eigene Faust weiter, und schon bald muss er ernsthaft um seine Gesundheit und sein Leben fürchten …

Regisseur Roman Polánski selbst spielt den Mann mit dem Messer, der Jack Nicholson als J. J. Gittes ganz derbe die Nase ramponiert, und diese beiden wie auch die anderen Figuren des Films bestechen durch ein Maß an Intensität, das den Zuschauer unwiderstehlich in einen Bann um Leidenschaft, Korruption und eine schwelende Familientragödie reißt. In elf Kategorien für den Academy Award nominiert wurde Chinatown seinerzeit letztlich mit dem Oscar für das Beste Drehbuch von Robert Towne ausgezeichnet, dessen hochgradig filigran angelegte Geschichte inhaltlich wie künstlerisch auf der ganzen Linie überzeugt. Macht und Ohnmacht, rohe Gewalt und die feinen menschlichen Zwischentöne liegen hier auf spektakuläre Weise eng beieinander, und diese Gegensätze auf jeder Ebene des Films lassen ein kraftvolles Meisterwerk mit soziopolitischem Hintergrund entstehen, das auf historische Begebenheiten des Los Angeles’ der 1930er Jahre referiert – ein zutiefst bewegender Film mit großer filmhistorischer Bedeutung, der auch bei heutiger Betrachtung nichts an seiner ambivalenten Wucht eingebüßt hat.
 

Chinatown

Der Titel dieses ebenso elegant ausgestatteten wie packend inszenierten Thrillers von Roman Polánski aus dem Jahre 1974 bezeichnet nicht nur ein Stadtviertel von Los Angeles mit großer Präsenz chinesischer Immigranten, sondern stellt darüber hinaus ein Synonym für eine ganz spezifische Atmosphäre der unterschwelligen Verruchtheit, der Doppelbödigkeit, der Korruption dar.

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Meinungen

Martin Zopick · 18.11.2022

Polanskis Klassiker kommt aus der Ecke Hammett, Chandler, Marlowe und Co. Der Drehbuchautor Robert Towne ist zwar von der schwarzen Serie ausgegangen (Detektivbüro erhält Überwachungsauftrag) hat die Handlung aber weiter gefächert und einen politischen Skandal draufgesetzt. Mitten in der Dürreperiode ertrinkt der Chef der Wasserbehörde in einem ausgetrockneten Flussbett. Privatdetektiv Gittes (Jack Nicholson) und die Witwe Evelyn (Faye Dunaway) versuchen teils gemeinsam teils gegeneinander den Fall aufzuklären. Was anfangs noch ein Paradebeispiel für Politik und Kapitalismus ist mit Vertuschungsversuchen und Korruption, entwickelt sich nicht zuletzt durch das Auftreten von Evelyn Vater (John Huston) zu einem Inzest und Vergewaltigungsdrama. Unglaublich eindrucksvoll wie Gittes dies aus Evelyn durch Ohrfeigen – Antworten herausprügelt.
Am Ende wird es wegen der familiären Verwicklungen (Vater ist gleich Großvater, Mutter ist gleich Schwester) etwas unübersichtlich. In einer ringförmigen Handlungsgestaltung geht es am Ende wieder zum ersten Fall zurück. Es ist Curly (Burt Young), Gittes erster Auftraggeber.
Das Oscar prämierte Drehbuch ist wirklich gut, wie z.B. im Dialog Gittes – Evelyn: ‘Sie gehen nicht zur Polizei, wenn ich ihnen die Wahrheit sage?‘
Gittes: ‘Ich gehe zur Polizei, wenn sie es nicht tun.‘
Die Optik überzeugt ebenso, wenn z.B. die Reflexion der Fotolinse das Gegenüber zeigt. Und nie zeigt sich Jack Nicholson so rauflustig wie hier. Das bleibende Bild des Films aber ist das leuchtend weiße Pflaster auf Gittes Nasenflügel. Es wurde ihm vom ‘Zwerg‘ verabreicht. Es ist Polanskis Cameo.
Zeitlose Qualität, gediegene Filmkunst. Immer wieder toll.