Leb wohl, meine Königin!

Rascheln, Raunen, Revolution

Die Gewänder rascheln, die Dienerschaft raunt, die Revolution steht vor der Tür. Besser gesagt: sie findet vor den Toren statt. Während das Volk schon die Bastille stürmt, geht das Leben am Hofe von Versailles noch seinen gewohnten Gang. Das ist hier durchaus wörtlich zu verstehen, denn Benoît Jacquots Historiendrama Leb wohl, meine Königin! (basierend auf dem gleichnamigen Roman von Chantal Thomas) spielt sich förmlich in den Gängen von Versailles ab: die Dienerschaft wuselt durch enge Flure der Wirtschaftsgebäude, der Hofadel schreitet durch endlose Saalfluchten. Der ganze Hofstaat ist in Bewegung und die Kamera mit ihm.
Gleich zu Beginn heftet sie sich in den Nacken von Sidonie Laborde (Léa Seydoux). Die junge Frau eilt zu Marie Antoinette (Diane Kruger), um ihre Pflicht als Vorleserin der Königin zu erfüllen. In ihrem Gefolge treibt die Kamera den Zuschauer mit hinein in ein komplexes Gefüge von Herrschaft und Dienerschaft, bestimmt von starren Hierarchien und ritualisierten Verhaltensregeln. Die Revolution, die all das innerhalb der nächsten Tage umstürzen und das Ancien Régime zu Fall bringen wird, findet dabei jenseits des filmischen Blickes statt. Was da im Juli 1789 historisch Bedeutsames im Gange ist, muss sich der Zuschauer dazudenken. Das wichtigste Ereignis der französischen Geschichte wird nur in Form von Gerüchten und Andeutungen in den Hofstaat und damit den Film getragen.

Regisseur Benoît Jacquot, routiniert im Kostümfilm-Metier, wagt mit dieser Beschränkung des Erzählhorizontes einen ungewöhnlichen Ansatz. Die Idee, durch einen subjektiven Blick in einen geschlossenen Mikrokosmos von den Auswirkungen großer Ereignisse zu erzählen, hat zunächst etwas bestechendes. Auch die Figurenkonstellation im Zentrum dieses Mikrokosmos bietet ausreichend Potential für Konflikt, Emotion und eine Prise Erotik. Die Vorleserin bringt ihrer Königin bewundernde Hingabe entgegen. Für diese ist sie jedoch nur ein kleiner Spielball ihrer Launen. Sidonie wird in ihrer stolzen Naivität erst spät begreifen, was wirklich auf dem Spiel und auf welcher Seite sie eigentlich steht. Die Königin ist ihrerseits der Herzogin Gabrielle de Polignac (Virginie Ledoyen) verfallen, sich aber deren wahrer Zuneigung nicht sicher. Während also die durch die Revolutions-Gerüchte aufgeschreckte Dienerschaft die entrückt-nervöse Königin in ihren Gemächern umschwärmt, schmiedet diese für ihre Favoritin Fluchtpläne, in denen auch Sidonie eine Rolle spielen wird. Schließlich sitzt Marie-Antoinette in ihren Gemächern wie erschüttert auf dem Präsentierteller, ständig den Blicken der eilfertigen Bediensteten ausgesetzt.

Leb wohl, meine Königin! lebt von diesen Blicken. Ständig wird gelugt, belauert, abgeschätzt, weggesehen. Die Geschichte erzählt sich aus den Augen der Dienerschaft, die einen Blick erhascht auf die inneren Vorgänge eines in Auflösung begriffenen Hofes. Diese Perspektive hat viel zu bieten, es eröffnen sich dabei (auch mithilfe des angedeuteten homoerotischen Dreiecks im Zentrum) interessante Blickwinkel auf universelle Themen: Macht und ihre erotische Komponente, zu Diensten und zu Gunsten sein, Ambitionen und Eifersucht, Bewunderung und Verachtung, Liebesbeweise und Instrumentalisierung. Der Film könnte so viel erzählen über Machtverhältnisse – institutionalisierte und zwischenmenschliche Abhängigkeiten – er tut es nur in Ansätzen.

Zu unfokussiert ist Jacquots Blick durch das Brennglas, der Funke will nur selten wirklich überspringen wie in der Szene, wenn die Königin Sidonies juckenden Mückenstiche salbt und damit in Sidonie eine erotische Sehsucht weckt. Wenn Sidonie später auf Geheiß der Königin schließlich ihre Gewänder abstreift, dann sind das die intensivsten Momente eines ambitionierten Films, der den Zuschauer viel zu selten emotional mitnimmt. Stattdessen treibt die Handkamera ihn mitsamt der Dienerschaft die meiste Zeit durch die Gänge von Versailles. Ein Übermaß an serviler Hektik und eine breite Orchesteruntermalung auf Schritt und Tritt tragen auf Dauer dazu bei, dass die Wahrnehmung immer wieder vom Machtgefüge abgleitet und sich auf das allgegenwärtige Gewändergeraschel verlagert. Die Kostüme sind dabei durchaus oscarverdächtig. Auch die Hauptdarstellerinnen sind sehenswert: Diane Kruger verleiht der Königin in ihrer selbstbezogenen Sprunghaftigkeit eine grandiose Melodramatik und ist damit endlich einmal auf den Punkt besetzt. Léa Seydoux besitzt auch hier eine traumwandlerische Intensität, allein ihr ausdrucksstarkes Gesicht könnte den Film über die ganze Länge tragen – würde man sie eben nur nicht so oft lediglich von hinten in Hektik zu sehen bekommen.

(Kirsten Kieninger)

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Die Ausgangsidee ist durchaus reizvoll: Innerhalb von vier Tagen im Juli 1789 will Regisseur Benoît Jacquot die Untergangsstimmung am Vorabend der Französischen Revolution erfassen. Dabei geht es ihm weniger um die Massen auf den Straßen von Paris oder die Spitzen der Politik – sein Blick richtet sich auf die einfachen Dienstboten am Hofe von Versailles.

Im Mittelpunkt von Leb wohl, meine Königin! steht die königliche Vorleserin Sidonie Laborde (Léa Seydoux). Sie verbringt viel Zeit mit Marie Antoinette (Diane Kruger) und ist eine der ersten, die von den Pariser Unruhen erfährt. Aber auch sie ahnt nicht, dass mit den Protesten aus der Hauptstadt das ganze Leben am Hofe zu Ende gehen wird.

Leb wohl, meine Königin!, der Eröffnungsfilm der 62. Berlinale, ist ein Werk, das uns direkt in das Geschehen auf der Leinwand werfen möchte. Statt wohlkomponierter Scope-Aufnahmen, verwendet Jacquot für sein Kostümdrama daher auch eine sehr mobile Handkamera. Sie begibt sich ständig ins Gewühl, wandert entlang der Korridore und Flure des Palastes, verweilt mal in Marie Antoinettes Zimmer, mal in der Bibliothek, und manchmal gönnt sie sich einen kurzen Ausflug ins Freie. Aber die meiste Zeit beobachten wir die Dienstboten von Versailles und sehen, wie ihnen die drohende Gefahr schleichend bewusst wird.

In diesen Momenten gelingt Jacquot tatsächlich ein stimmungsvoller Versuch, die Panik des Untergangs zu vermitteln. Ein gutes Beispiel dafür ist die Szene, die sich mitten in der Nacht auf einem der vielen Flure abspielt. Die Diener sind panisch, weil die ersten Morddrohungen aus dem Volke den Palast erreichen. Ein Flugblatt mit Namen von Aristokraten wird herumgereicht. „Diese Köpfe sollen rollen“, sagt einer. Im fahlen Kerzenlicht wird das Ausmaß der bevorstehenden Tragödie deutlich.

Doch das sind nur Spurenelemente eines gelungenen Films. Die meiste Zeit konzentriert sich Leb wohl, meine Königin! auf das Verhältnis Marie Antoinettes zu ihrer Vorleserin und den anderen Frauen am Hofe. Die Figurenzeichnung ist aber derart grob und schlampig, dass selbst lesbische Kusseinlagen im Kinosaal mit lauten Lachern quittiert werden. Was soll das überhaupt? Die suggerierte Intimität, der Blick durch das königliche Schlüsselloch, ist hier mehr als peinlich, vor allem weil er nur behauptet wird. Diese Unausgewogenheit in der Dramaturgie können dann auch nicht die schönsten Jungschauspielerinnen Frankreichs beheben. Und man spürt deutlich, wie sehr der Film hilf- und einfallslos auf ihre Grazie setzt. Es hätte ihm sicherlich gutgetan, weitaus häufiger auf das betörende Gesicht einer Léa Seydoux zu zeigen.

Von der im Vorhinein behaupteten Ähnlichkeit zu Robert Altmans Meisterwerk Gosford Park hat Jacquots Film natürlich nichts. Dazu fehlt ihm die intellektuelle Feinfühligkeit, aber auch die Ruhe und Ordnung einer durchdachten Inszenierung. Eine wackelnde Handkamera reicht leider nicht, um von der Unmittelbarkeit einer Umbruchphase zu sprechen, vom Macht- und Geldverlust, und einer Revolution, die nicht nur Tod und Verderben bringt, sondern auch einen ganzen Kontinent verändern wird.

(Festivalkritik Berlinale 2012 von Patrick Wellinksi)

Leb wohl, meine Königin!

Die Gewänder rascheln, die Dienerschaft raunt, die Revolution steht vor der Tür. Besser gesagt: sie findet vor den Toren statt. Während das Volk schon die Bastille stürmt, geht das Leben am Hofe von Versailles noch seinen gewohnten Gang. Das ist hier durchaus wörtlich zu verstehen, denn Benoît Jacquots Historiendrama „Leb wohl, meine Königin!“ (basierend auf dem gleichnamigen Roman von Chantal Thomas) spielt sich förmlich in den Gängen von Versailles ab: die Dienerschaft wuselt durch enge Flure der Wirtschaftsgebäude, der Hofadel schreitet durch endlose Saalfluchten.
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