Shadow Dancer

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

20 Jahre in der IRA

Der britische Regisseur James Marsh ist ein Mann mit vielen Talenten. Scheinbar mühelos und auf erstaunlich hohem Niveau wechselt er zwischen Dokumentarfilmen (Man On Wire) und Spielfilmen wie seinem neuen Werk Shadow Dancer, der im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale außer Konkurrenz gezeigt wurde – was eigentlich angesichts der Qualitäten dieses Filmes schade ist. Ganz nebenbei schreibt der Mann noch seine Drehbücher selbst, produziert, schneidet und führt die Kamera – er ist eben wie gesagt ein echtes Multitalent.
Seit sie den Tod ihres kleinen Bruders im Jahre 1973 miterleben musste und sich hierfür eine Mitschuld gibt, ist Collette McVeigh (Andrea Riseborough) ein aktives Mitglied der nordirischen Terrorgruppe IRA. Zwanzig Jahre nach dem Vorfall, der sie prägte, sehen wir die junge Frau und Mutter eines kleinen Sohnes mit einer geräumigen Handtasche durch London laufen und die U-Bahn betreten. Weil die Kamera sich dabei immer wieder auf die Tasche konzentriert und von diesem unscheinbaren Gegenstand scheinbar magisch angezogen wird, ahnt man schnell, dass damit etwas nicht stimmt, dass sie womöglich eine Bombe enthält, die Collette irgendwo in der Bahn oder in einer Station platzieren soll. Doch ebenso schnell wird klar, dass die junge Frau unter Beobachtung steht, dass ihr jemand folgt und jeder ihrer Schritte überwacht wird. In Panik versucht sie die Tasche mit dem verräterischen Inhalt loszuwerden und flüchtet durch die Arbeitsschächte und Notausgänge des labyrinthischen U-Bahn-Systems direkt in die Arme zweier Agenten des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5. Die bringen Collette zu einem Agenten, der sich selbst Mac nennt (dargestellt von Clive Owen) und der Collette ein Angebot macht, das ihr eine Inhaftierung und damit die Trennung von ihrem Sohn erspart: Da der Friedensprozess in Nordirland gerade in Gang gekommen ist, soll sie Informationen über die Pläne der Gruppen sammeln, die das Friedensabkommen nicht akzeptieren wollen. Gemeint ist damit vor allem ihre eigene Terrorzelle, der auch ihre beiden Brüder Connor (Domhnall Gleeson) und Gerry (Aidan Gillen) angehören. Doch ihre Rückkehr nach der Festnahme weckt Misstrauen innerhalb der Gruppe, vor allem bei Kevin Mulville (David Wilmot), der hier das Sagen hat. Der hat schon seit langem den Verdacht, dass es einen Informanten innerhalb der Gruppe geben muss – und alle Hinweise deuten auf Collette hin. Nur mit äußerster Mühe gelingt es ihr, den Verdacht von sich abzulenken – ohne zu wissen, dass es tatsächlich (und zwar schon viel länger) noch einen zweiten Maulwurf mit dem Decknamen „Shadow Dancer“ gibt.

Auch Mac, der sich bei seinen Zusagen für die Sicherheit seiner Informantin weit aus dem Fenster gelehnt hat, kommt nur durch Täuschung auf diesen zweiten Informanten, den ihm seine Vorgesetzte Kate Fletcher (Gillian Anderson) bislang vorenthalten hat. Bald schon ist klar, dass die Sicherheit Collettes keinen Pfifferling mehr wert ist, da man lieber den ersten Informanten schützt und deshalb bereit ist, die junge Frau zu opfern. Mac aber, der Gefallen an Collette gefunden hat, unternimmt alles, um sie zu schützen. Es beginnt ein mörderischer Wettlauf…

Stilsicher und mit entsättigter Farbpalette, in die Marsh immer wieder Akzente und Kontrastierungen einstreut, erzählt Shadow Dancer neben der politischen Geschichte vor allem von den Rissen, die die Arbeit für die IRA den Familienbeziehungen zugefügt haben. In seiner überwiegend leisen, sehr stimmungsvollen und gnadenlos finsteren Parabel über Loyalität und Verrat sind Collette und Mac Getriebene, die sich anscheinend auf niemanden verlassen können – nur auf sich selbst und auf den anderen, als ihnen die Unwahrscheinlichkeit der Liebe zum Feind widerfährt. Doch auch die Liebe erweist sich letzten Endes zumindest für einen von ihnen als trügerisches Fundament, wie der Film in einer großartigen letzten Volte enthüllt. Denn im Krieg ist ebenso wie in der Liebe jedes Mittel erlaubt. Und wer überlebt, der behält in einem Konflikt, der so grausam und unbarmherzig ist wie der Bürgerkrieg in Nordirland, schlussendlich Recht. Gefühle, seien es nun solche aufgrund familiärer Bindungen oder jene, die auf Liebe beruhen, haben in der pessimistischen Weltsicht James Marshs jegliche Berechtigung verloren. Und so ist die einzig stabile Beziehung, die Liebe Collettes zu ihrem Sohn, wahrlich nur ein schwacher Trost in einer Welt, die auf den Prinzipien von Verrat, Betrug und Rache aufgebaut ist. Was das über den Zustand der heutigen nordirischen Gesellschaft aussagt, darüber darf man dann nicht allzu lange nachdenken.

Shadow Dancer

Der britische Regisseur James Marsh ist ein Mann mit vielen Talenten. Scheinbar mühelos und auf erstaunlich hohem Niveau wechselt er zwischen Dokumentarfilmen („Man On Wire“) und Spielfilmen wie seinem neuen Werk „Shadow Dancer“, der im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale außer Konkurrenz gezeigt wurde – was eigentlich angesichts der Qualitäten dieses Filmes schade ist.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen