Log Line

Allzu lange hat sich die Wissenschaft auf negativ gefärbten Vermutungen über Richard III ausgeruht. 500 Jahre nach seinem Tod rüttelt eine historische Laiin die Fachwelt wach und veranlasst die Suche nach den verschollenen Gebeinen des Monarchen. Stephen Frears setzt ihr ein filmisches Denkmal.

The Lost King (2022)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Die Frau, die Richard III findet

Philippa Langley (Sally Hawkins) sitzt befremdet in einer Theateraufführung von Shakespeares’ Richard III. Im Büro hat der Chef Jüngere an ihr vorbeiziehen lassen. Von chronischer Erschöpfung geplagt und frustriert, sträubt sie sich gegen die Worte, die Shakespeare dem britischen König des 15. Jahrhunderts in den Mund legt. In seinem Stück beschließt der Monarch, wegen seiner buckligen Hässlichkeit ein mordlustiger Bösewicht zu werden. Philippa findet, Shakespeare tue Richard III. unrecht mit dem Stück, das er erst 100 Jahre nach dessen Tod schrieb. Aber die Wissenschaft weiß nicht allzu viel über den Monarchen, nicht einmal, wo seine sterblichen Überreste liegen. Philippa beginnt sich einzulesen, folgt einer Spur nach Leicester, wo sie auf einem Parkplatz das Gefühl überkommt, dass Richard III. genau dort unter der Erde liegt. Nun muss sie allerdings noch die Universität und die Stadt überzeugen, da zu graben – und das Geld dafür auftreiben.

Als im Jahr 2012 die Gebeine des 1485 verstorbenen Königs Richard III. unter dem Parkplatz des Sozialamts Leicester gefunden werden, ist die Weltsensation perfekt. Auf dem Podium der Pressekonferenz sieht man im Film Angehörige der Universität, die sich den Fund auf die Fahnen schreiben, aber nicht die Initiatorin und Leiterin der Ausgrabungen selbst, die historisch interessierte Bürgerin Philippa Langley aus Edinburgh. Ihre Geschichte scheint wie geschaffen für das Kino und den erfahrenen Regisseur Stephen Frears, der sich schon oft (Die Queen, High Fidelity) sehr unterschiedlichen britischen Persönlichkeiten und Milieus gewidmet hat. Frears, der mit Steve Coogan und Jeff Pope das auf einem Buch von Langley und Michael Jones basierende Drehbuch verfasste, hätte die Bedeutung des ominösen Gefühls dieser Frau für die Entdeckung herunterspielen können. Er schildert ja auch, wie die Wissenschaftler lange an Philippas Argumenten zweifeln und sie als nicht von Fakten geleitet abzuwimmeln versuchen.

Frears jedoch würdigt die Eingebung Philippas im Gegenteil mit einem stilistischen Kunstgriff, der dem Film eine erfrischend märchenhafte Leichtigkeit verleiht. Er lässt ihr den König (Harry Lloyd) selbst erscheinen – ein ansehnlicher junger Mann, mit Krone und im Purpurmantel. Wenn sie aus dem Schlafzimmer blickt, sitzt er wartend draußen auf der Bank. Unvermittelt kann er ihr überall begegnen. Als ihr heimlicher Verbündeter hört er ihr zu, lächelt manchmal oder richtet ein paar Worte an sie. Philippa weiß, dass die Erscheinung imaginiert ist, aber sie glaubt, dass Richard III. an ihre Hilfe appelliert. Sie will nicht nur seine Überreste finden, sondern auch das negative, blutrünstige Image, das ihm anheftet, korrigieren. Sie trifft Hobbyhistoriker der Richard III Society und hängt der Auffassung an, dass die Herrscher des Hauses Tudor, die Richard als letzten Monarchen des Hauses Plantagenet ablösten, ihn der Nachwelt als hässlich und böse präsentieren wollten. Die Macht der Propaganda und der medialen Darstellung ist für Philippa und ihre Mitstreiter ein Thema von zeitloser Aktualität.

Der wissenschaftliche Betrieb kommt im Film nicht allzu gut weg. Es ist aber kein Geheimnis, dass sich etablierte Institutionen gerne dagegen sträuben, außeruniversitäre Forscher*innen zu beachten und zu würdigen. In Ammonite aus dem Jahr 2020 spielte Kate Winslet die britische Paläontologin Mary Anning, der im 19. Jahrhundert bedeutende Saurierfunde gelangen, der die Türen der Geologischen Gesellschaft aber verschlossen blieben. Die Universität von Leicester wird im Film zu Philippas Antagonistin und Projektpartnerin zugleich. Der Archäologe Richard Buckley (Mark Addy) stellt sich anfangs nur auf ihre Seite, weil sie neue Forschungsgelder zu beschaffen verspricht, während der arrogante Richard Taylor (Lee Ingleby) zunächst gegen das Projekt ist und dann früh anfängt, sich und die Uni ins Rampenlicht zu schieben.

Sally Hawkins spielt Philippa als fragile Person, die aber nicht lockerlässt, sobald sie ein Thema einmal packt. Sie hat keine Scheu, Wissenschaftler mit ihrem Halbwissen zu Richard III. zu konfrontieren, Lehrmeinungen eloquent als schlecht belegt zu zerpflücken. Der unterhaltsame und kurzweilige Film ist durchzogen von trockenem britischem Humor. Den steuert wiederholt Philippas Ex-Mann John (Steve Coogan) bei, der immer noch an ihr hängt, sich mit ihr um die beiden Söhne kümmert, aber ihrem Interesse für den mittelalterlichen König erst einmal äußerst skeptisch begegnet. John dämpft mit seiner gelassenen Nüchternheit den inneren Aufruhr Philippas und stärkt ihr den Rücken, wenn sie aufgrund der vielen Widerstände den Mut zu verlieren droht. Dass sich in Frears’ schönem Film schließlich Richard III. persönlich bei Philippa Langley bedankt, ist keine geringere Würdigung ihrer Leistung als der Orden, den ihr die Queen 2015 verlieh.

The Lost King (2022)

Der Film erzählt die wahre Geschichte der britischen Historikerin Philippa Langley, die 2012 maßgeblich am Auffinden der sterblichen Überreste von König Richard III., die für mehr als 500 Jahre verschwunden waren, beteiligt war. Zuvor hatte sie jahrelang leidenschaftlich danach gesucht gehabt und dafür nicht nur das Unverständnis von Freunden und Familie, sondern auch den Spott von Experten und Wissenschaftlern geerntet.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen