Mr. Morgan's Last Love

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Amerikaner in Paris

Sandra Nettelbecks neuer Film beginnt dort, wo Michael Hanekes Liebe endete – mit dem Tod einer alten Frau, die von ihrem Leiden erlöst wurde. Anders als bei dem Cannes-Gewinner hört die Geschichte von Mr. Morgan’s Last Love aber hier nicht auf, sondern es geht darum, wie jemand weiterlebt, ja weiterleben muss ohne den geliebten Partner. Matthew Morgan (Sir Michael Caine) war früher einmal Philosophieprofessor und als solcher natürlich entsprechend lebensfremd. Das merkt man schon alleine daran, dass der Mann nach wie vor kein Französisch spricht, obwohl er schon einige Jahre in Paris lebt. Selbst drei Jahre nach dem Tod seiner Frau, als die eigentliche Handlung des Filmes einsetzt, stolpert dieser Mann noch mehr oder minder unbeholfen durch die Stadt, in der er einfach nicht so richtig heimisch werden will, was unter anderem dazu führt, dass er wegen seiner mangelnden Französischkenntnisse an einem Imbissstand von den Verkäuferinnen aufgezogen wird. Auch sonst ist Matthew weitgehend sprachlos und in sich verschlossen – mit seinen Kindern, die in den USA leben, hegt er nur noch gelegentlichen telefonischen Kontakt und interessiert sich herzlich wenig für deren Belange.
Das alles ändert sich erst, als er zufällig in einem Bus der um viele Jahre jüngeren Tanzlehrerin Pauline (entzückend: Clémence Poésy) begegnet. Und ausgerechnet mit ihr, die wahrscheinlich viel eher seine Enkelin als seine Tochter sein könnte, entdeckt er ganz zaghaft, dass das Leben noch sehr viel mehr zu bieten hat als Einsamkeit und Trauer, während sie, die früh ihre Eltern verlor, in ihm offensichtlich eine Kompensation für ein nie gekanntes familiäres Glück findet. Das alles ändert sich allerdings jäh, als Matthews Kinder Miles (Justin Kirk) und Karen (Gillian Anderson) auftauchen und mehr als irritiert sind über die junge Frau, die es bestimmt (so die Meinung der Kinder) auf das Erbe des alten Mannes abgesehen haben muss…

Trotz des Erfolgs von Bella Martha aus dem Jahre 2001 (oder gerade wegen der damit verknüpften hohen Erwartungen an die späteren Filme), der sogar zu der Ehre eines Hollywood-Remakes kam, ist die Karriere von Sandra Nettelbeck seitdem nicht wieder so richtig in Fahrt gekommen. Ihr Film Helen über eine Frau mit Depressionen erhielt zwar überwiegend positive Kritiken, konnte sich aber an den Kinokassen wohl auch aufgrund der Thematik nicht durchsetzen. Mit Mr. Morgan’s Last Love könnte und sollte die Rückkehr in die Erfolgsspur für die Filmemacherin nun gelingen. Ihr sehenswertes Drama über einen alten Mann und den Umgang mit der Trauer nach einem schweren Verlust, über die Wunden der Vergangenheit, über Familienzerwürfnisse und die Chance auf eine späte Versöhnung geht auch dank der beiden exzellenten Darsteller Michael Caine und Clémence Poésy ans Herz und umschifft dennoch gekonnt die allermeisten Untiefen des allzu Gefühligen und Kitschigen. Allein ein unerwarteter dramaturgischer Bruch, der dazu dient, die Kinder von Mr. Morgan auf der Bildfläche auftauchen zu lassen, sorgt zumindest anfangs für eine kleine Irritation, die man im Verlauf der weiteren Handlung dann aber wieder schnell vergessen hat.

Immer wieder findet Sandra Nettelbeck wunderschöne Einstellungen, die die Einsamkeit und Lebensmüdigkeit ihrer Hauptfigur auf subtile Weise erfahrbar machen, immer wieder lässt sie in der eher dunklen Thematik kleine Glanzlichter voller Humor und Herzenswärme aufblitzen, die für die nötige Sympathie mit Mr. Morgan sorgen, der dennoch nie als moralisch einwandfreier Ersatzpapa verklärt wird, sondern immer zutiefst menschlich bleibt mit all seinen Fehlern und Schwächen.

Unterstützt wird diese zutiefst humanistische Erzählhaltung von Hans Zimmers Filmmusik, bei der es lediglich am Anfang ein wenig irritiert, dass sie für das Thema so sanft, so unerwartet heiter und licht klingt. Erst später realisiert man dann, wie viel Wärme und Milde in dem Blick liegt, den Sandra Nettelbeck auf ihre Figuren und deren Schicksal wirft und wie sehr Mr. Morgan’s Last Love gleich in mehrfacher Hinsicht ein Liebesfilm ist (obwohl der Titel dies ja durchaus impliziert). Spätestens dann ist man endgültig gefangen von diesem Film, der sich heimlich, still und leise in die Herzen der Zuschauer schleicht und der sich daraus nicht mehr so schnell vertreiben lässt.

Mr. Morgan's Last Love

Sandra Nettelbecks neuer Film beginnt dort, wo Michael Hanekes „Liebe“ endete – mit dem Tod einer alten Frau, die von ihrem Leiden erlöst wurde. Anders als bei dem Cannes-Gewinner hört die Geschichte von „Mr. Morgan’s Last Love“ aber hier nicht auf, sondern es geht darum, wie jemand weiterlebt, ja weiterleben muss ohne den geliebten Partner. Matthew Morgan (Sir Michael Caine) war früher einmal Philosophieprofessor und als solcher natürlich entsprechend lebensfremd.
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Meinungen

Julia · 08.09.2013

Sehr geehrter Herr Kurz,

gleich im ersten Satz Ihrer Rezension verraten Sie das Ende von Michael Hanekes Film "Liebe" - für alle, die diesen Film wie ich noch nicht gesehen haben, finde ich das sehr bedauerlich.

Ich würde mich freuen, wenn Sie bei Ihrer nächsten Rezension auf solche Spoiler verzichten würden oder diese dem Leser wenigstens ankündigen.

Vielen Dank!