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Eine Pflanze, die glücklich macht, wenn man sich gut um sie kümmert – eigentlich eine reizende Idee. Oder stimmt mit ihr irgendetwas nicht? Jessica Hausners stetig eskalierender Sci-Fi-Horror-Hybrid irritiert und fasziniert.

Little Joe - Glück ist ein Geschäft (2019)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Antidepressiva aus der Hölle

Am Anfang mag man irritiert sein von dieser Welt, die Jessica Hausner in „Little Joe“ so detailgetreu konzipiert hat. Die Farben sind stets pastell und monochrom. Die Menschen irgendwie auch. In Häusern, Firmen, Laboren bewegt sich die Kamera, stets in expliziten, scharf choreographierten Kamerafahrten, die wie die Protagonisten immer ein wenig anders, ein wenig beängstigend und gleichzeitig hochgradig kalkuliert erscheinen. Ganz wie bei Stanley Kubricks Klassiker „The Shining“ fragt man sich von Anfang an, was denn dieses Unwohlsein auslöst, dass man da ständig hat. Und man fragt sich, wo man hier eigentlich ist. Die Antwort für „Little Joe“ ist wohl: in der perfekt inszenierten Hölle.

Hausners Werk ist kein einfacher Film. Allein der Soundtrack, der aus den frühen 1970er Jahren von Teiji Ito stammt – Tinnitusfiepen, lautes Knallen, elektronisches Tongewaber und manchmal chinesische Oper –, lässt sich nur schwer verdauen. Und das ist gut so, denn mit dem Rest ihres stetig eskalierenden Sci-Fi-Horror-Hybrids verhält es sich genauso. Wobei man sagen muss, dass die Eskalation vor allem so beunruhigend ist, weil sie völlig unterdrückt stattfindet. So fragt man sich schnell, was für eine eigenartige kühle Frau diese Alice Woodard (Emily Beecham) ist, der man da folgt und bei der Arbeit und dem Leben zusieht. Alice ist Genetikerin und hat eine Blume entwickelt, die es sehr warm braucht, mit der man sprechen muss und täglich gießen. Zum Dank für die Anstrengung gibt die Pflanze einen genetisch modifizierten Duft ab, der glücklich macht. Ein konstantes Antidepressivum mit einer Mechanik, die wir allen von Apps und anderen Diensten gut kennen: wer viel Energie reinsteckt, der wird mit konstanten Glückshormonen belohnt. Ein Schelm, wer Dystopisches dabei ahnt.

Alice arbeitet zusammen mit diversen Kollegen, allem voran ihrem Projektpartner Chris (Ben Wishaw), an der Pflanze, die alsbald für gutes Geld auf den Markt kommen soll. Noch ist die Blume nicht getestet, trotzdem nimmt Alice eine mit nach Hause und schenkt sie ihrem Sohne Joe (Kit Connor), so überzeugt ist sie von ihrer Arbeit. Zusammen nennen sie Alices Kreation Little Joe. Doch, wie heißt es so schön, „das Leben findet immer einen Weg“, und weil die Pflanze genetisch so manipuliert wurde, dass sie sich nicht selbst fortpflanzen kann, bestäubt sie alsbald Menschen. Den ersten, den es erwischt, ist Chris.

Nur unmerklich anders wird er ab da sein. Hausners Grauen ist stets so hyper-subtil, dass man es kaum sieht und stets die eigenen Instinkte, die auch Alice bald entwickelt, in Frage stellt. Was Little Joe macht, so ist bald die These, die Alice von ihrer Kollegin Bella (Kerry Fox) vermittelt bekommt, ist Menschen faktisch zu infizieren. Sie bekommen ihr Glückshormon und gleichsam werden sie zu Vasallen, die ab da nichts mehr interessiert außer das Wohlergehen der Pflanze. Doch stimmt das wirklich? Immerhin hatte Bella vor Kurzem einen Burnout und ist, im Gegensatz zu den anderen, als nicht stabil eingestuft. Und auch Alice, die etwas zu ahnen beginnt, geht regelmäßig zur Therapie, seit ihre Ehe in die Brüche ging.

Sind die Frauen verrückt? Hysterisch? Mit dieser Frage spielt Hausner schon fast unterbewusst und vermag damit das Publikum perfekt zu lenken. Denn seien wir ehrlich, es passiert so oft und stetig, dass die Instinkte und Ereignisse, die Frauen erleben, in Frage gestellt, abgetan werden. Nicht nur von anderen, sondern alsbald von ihnen selbst, so üblich ist dieser Prozess. Und genau hier entsteht lange Zeit eine perfekte Uneindeutigkeit, die Platz schafft für Hausners effektives Spiel mit dem Filmgenre. Little Joe ist Hausners Genexperiment im filmischen Sinne. So viele Filme, Macher, Ideen sind hier versammelt, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Die Atmosphäre des unbekannten Grauens erinnert an Carpenter, die Farbgebung (mit Farben spielt sie auch in ihren anderen Filmen sehr präzise) lässt an Dario Argentos Suspiria denken. Hitchcocks Suspense und MacGuffin sind ebenso vertreten wie Cronenbergs grauenerregenden Kreaturen, wobei Hausners die vegetarische Variation ist. Doch Vorsicht. Bei allen Anleihen, die man hier finden mag, sollte man nicht denken, dass Litte Joe ein buntes Potpourri aus Ideen und Werken anderer à la Tarantino ist. Hausner nutzt diese Motive nicht als Remix, sondern als Zutaten für ein ganz neues Werk, das auch im Hirn des Publikums auf fast nicht zu spürende ätherische Art seine Arbeit verrichtet, ganz so wie es die Pflanze im Film tut. Ihre Bilder bohren sich in den Kopf, die Atmosphäre des kalten Grausens zieht ganz viszeral die Wirbelsäule entlang.

Man ist sehr mit den körperlichen Reaktionen und dem stetigen Arbeiten gegen den eigenen Instinkt befasst, der mit der Subtilität und generellen leichten Entrückheit der filmischen Welt in Little Joe beschäftigt ist, so dass man erst nach Verlassen des Kinos bemerkt, dass Hausner hier auch Themen mitgibt, die einem erst später recht bewusst werden. Und die Themen sind groß. Es geht um die tiefen, intrinsischen Lebenserfahrungen von Frauen, um weibliche Instinkte, um das Muttersein in all seinen Facetten (nicht umsonst heißt die Pflanze nach ihrem Sohn). Es geht aber auch um die Fragen, was Menschen eigentlich zu Menschen macht und welche Gefühle echt sind, wenn wir so viele davon unterdrücken oder eben medikamentieren.

Little Joe - Glück ist ein Geschäft (2019)

Little Joe“ ist ein Film über unheimliche Veränderungen, die die Wirklichkeit in Frage stellen und zum Zweifel an der eigenen Identität führen: eine Mutter hat Angst ihren Sohn zu verlieren und verliert dabei sich selbst. Eine gentechnisch manipulierte Pflanze scheint unheimliche Veränderungen bei Mensch und Tier hervorzurufen. Die Befallenen wirken fremd, wie ausgewechselt — vor allem für die, die ihnen nahe stehen. Oder ist das nur Einbildung? Es entwickelt sich ein Spiel zwischen verschiedenen Wahrheiten, an dessen Ende die Frage nach der eigenen Identität steht.

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Meinungen

wignanak-hp · 15.05.2022

Der Film zieht den Zuschauer durch sein perfektes Zusammenspiel der verstörenden Bilder mit dem hypnotischen Sound sofort in seinen Bann. Darin ist Jessica Hausner eine Meisterin! Allerdings hätte es der Klicklaute in bestimmten Momenten gar nicht bedurft. Der Zuschauer hatte von vorne herein eine Ahnung von dem Horror, der sich da entwickelt. Was mich allerdings gestört hat, ist die Passivität der Heldin. Sie durchschaut doch, was passiert und dennoch vertraut sie weiter ihrem Kollegen? Das ist unlogisch! Eine Frau mit der Intelligenz vertraut plötzlich nur auf, ja auf was? Instinkt kann es kaum sein, denn der würde sie warnen. Irgendwie hätte ich mir hier eine aktivere Alice gewünscht, die mit fliegenden Fahnen – wenn es denn sein muss, um die Botschaft zu transportieren – untergeht.

Karin · 13.05.2019

"Der Ton macht die Musik!"
Aufgeführt sind "Kamera" und "Schnitt", aber wo bleibt der TON???