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Rainer Werner Fassbinder führte ein Leben am Limit. Oskar Roehlers „Enfant Terrible“ macht das unmissverständlich klar – und geht in diesem Exzess unter.

Enfant Terrible (2020)

Eine Filmkritik von Matthias Pfeiffer

Tyrann im Genie-Gewand

In Hut und Proll-Lederjacke, bewaffnet mit Weißbier und Kippe, steht er da und macht alle zur Sau. Er schreit, wütet, erstickt den letzten Rest Selbstwertgefühl seiner Untergebenen. Ein Entkommen gibt es für sie nicht, denn ist dieser Spießrutenlauf erst beendet, beginnt sogleich der nächste. Das ist also das große Regie-Genie Rainer Werner Fassbinder, dem Oskar Roehler mit „Enfant Terrible“ ein von Koks und Alkohol durchtränktes Denkmal setzt. Ohne Frage, Roehler zeichnet hier kein schmeichelhaftes Bild des Berserkers, der in einer wahnsinnig kurzen Zeit eine Unzahl an Filmen abdrehte und einer der großen Revolutionäre der deutschen Kinolandschaft wurde. Das ist auch soweit die richtige Entscheidung. Wer will schon sehen, wie eine ambivalente Figur wie Fassbinder in den Rang eines unantastbaren Gottes erhoben wird?

Es geht schon in der ersten Szene los, wenn der junge Rainer (Oliver Masucci) in den Sechzigern im Münchner Action Theater herumsteht, rauchend und irgendwie abstoßend, und kurzerhand die fremde Inszenierung übernimmt. Roehler nimmt sich hier die Freiheit und gibt seiner Hauptfigur das Aussehen, das er eigentlich erst Jahre später hatte (Stichwort: Verklebter Walrossbart). Da wird schon klar, es geht ihm um die Figur Fassbinder, wie sie der Öffentlichkeit in Erinnerung geblieben ist. Enfant Terrible erforscht keine unbekannten Seiten des Regisseurs, sondern zeigt nochmal all die Höhen und Tiefen, die sein Privatleben und seine Karriere geformt haben. Angefangen eben im Theater-Underground, weiter zur Premiere seines verschmähten Erstlings Liebe ist kälter als der Tod, über die katastrophalen Dreharbeiten zu seinem Western-Projekt Whity und dem erhitzten Deutschen Herbst, bis zu den unglücklichen Liebes- und Leidenschaftsgeschichten mit Günther Kaufmann, El Hedi ben Salem und Armin Meier. Zumindest Fassbinder-Kenner werden hier einige Déjà-vus haben. Für den Rest könnte es schwierig werden, immer auf der Höhe des Geschehens zu sein. Man merkt schnell, dass Oskar Roehler hier als Fassbinder-Fan an die Arbeit gegangen ist.

Dabei vermeidet er es jedoch, bei aller Detail-Verliebtheit ein normales Biopic auf die Leinwand zu bringen. Im ganzen Film sind die Kulissen deutlich als solche erkennbar („Das ganze Leben ist Film“). Viele Szenen durchzieht durch ihre expressive Lichtgestaltung ein fast experimentelles Flair. Und dann sind da die Figuren, also Fassbinders Film-Familie: Uli Lommel (Lucas Gregorowicz), Kurt Raab (Hary Prinz), Günther Kaufmann (Michael Klammer) und wie sie alle heißen. Da sitzt man dann wirklich mit offenem Mund da und meint, die teils verstorbenen Originalschauspieler vor sich zu haben. Das Ensemble tut hier wirklich was es kann, um diese Illusion aufrecht zu erhalten. Mit der Zeit wird das jedoch immer befremdlicher. Es sind nicht die Personen, die man vor sich hat, sondern die Rollen, die Fassbinder ihnen auf den Leib geschrieben hat. Das Ganze bekommt schon mehr den Anstrich einer Karikatur, eigentlich sogar den einer Parodie. Und dann ist da noch der Film-Koloss selbst, den Oliver Masucci ohne Frage mit vollem Körpereinsatz und ohne Rücksicht auf die eigenen Stimmbänder auf die Bühne bringt. Der Meister säuft, vögelt und kokst sich durch die Attrappen-Welt, als gäbe es kein Morgen mehr. Fassbinder war nun wahrlich kein Engel und wie schon erwähnt, Roehler hat nicht das geringste Interesse, ihn postum zu einem zu machen. Aber reicht das?

Im sehr empfehlenswerten Interview-Band Das ganz normale Chaos – Gespräche über Rainer Werner Fassbinder von Juliane Lorenz beschreibt die große Hannah Schygulla die Dreharbeiten folgendermaßen: „Wenn Rainer in den Raum kam, haben alle Hab-Acht-Stellung eingenommen. Die, die eher masochistisch waren, waren dann in einer Weise hysterisiert, dass er das letzte aus ihnen herausholen konnte.“ Fassbinder konnte wirklich ein sadistischer, manipulativer Tyrann sein, wenn es darum ging, seine Ideen in die Tat umzusetzen. Vulgär gesagt, ein richtiges Arschloch. In Enfant Terrible merkt man jedoch außerhalb davon wenig. Mit allen Mitteln der künstlerischen Freiheit arbeitet Roehler daran, die abstoßenden Seiten hervorzuheben. Wer würde mit diesem Menschen mehr als einen Film drehen? Wie kann so einer überhaupt Leute finden, mit denen er mehr als vierzig Werke realisieren konnte? Dazwischen schieben sich zwar immer wieder Momente, in denen man ihn als einen hilflosen Menschen sieht, der einfach nur geliebt werden will, aber der Großteil von Roehlers Darstellung stützt sich auf die widerlichen Aspekte und einige zitierbare Sprüche. So lobenswert die Idee ist, ein ungeschöntes Bild zu zeichnen, man wird das Gefühl nicht los, dass hier etwas fehlt.

Was ist das für ein Regisseur, der solche ergreifenden Filme wie Angst essen Seele auf und In einem Jahr mit 13 Monden schaffen konnte, wo doch Empathie ein Fremdwort für ihn zu sein schien? Eine ernsthafte Charakterisierung bleibt im Ansatz stecken. Dabei braucht es dafür weder drögen Realismus noch falsche Rücksicht. Roehlers Fassbinder ist in erster Linie ein Symbol dafür, dass der deutsche Film einmal laut und gefährlich sein konnte. Enfant Terrible will das ebenfalls sein, endet jedoch in erster Linie im oberflächlichen Krawall. Samthandschuhe hat Fassbinder genauso wenig verdient wie das.

Enfant Terrible (2020)

Als der 22-jährige Rainer Werner Fassbinder 1967 die Bühne des Antiteaters in München stürmt und kurzerhand die Inszenierung an sich reißt, ahnt niemand der Anwesenden, dass dieser dreiste Typ einmal der bedeutendste Filmemacher Deutschlands werden wird. Schnell schart der einnehmende wie fordernde Mann zahlreiche Schauspielerinnen, Selbstdarsteller und Liebhaber um sich. Er dreht einen Film nach dem nächsten, die auf den Festivals in Berlin und Cannes für Furore sorgen. Der junge Regisseur polarisiert: beruflich wie privat. Aber die Arbeitswut, die körperliche Selbstausbeutung aller Beteiligten und der ungebremste Drogenkonsum fordern bald ihre ersten Opfer. 

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Meinungen

Ludo · 12.10.2022

Matthias Pfeiffer weist sehr richtig darauf hin, dass der Film die Antwort auf die entscheidende Frage schuldig bleibt, wie der Regisseur es vermochte, einen Großteil seiner Vertrauten über Jahre bei der Stange zu halten. Ich habe aber anders als Pfeiffer nicht den Eindruck, dass Roehler sein vermeintliches Vorbild tatsächlich verstanden hat. Ich empfand den Film leider als ausgesprochen plump und anmaßend.

Rosa · 03.06.2021

Nicht Fassbinder war – sondern Herr Masucci IST ein Kotzbrocken, der nichts begriffen hat.
Um sich diesem hochsensiblen und tieftraurigen Genie zu nähern, hilft es nicht viel, sich eine eklige Wampe anzufressen, morgens drei Weißbier zu trinken, nur alles niederzuschreien und ständig die Hand in der Hose zu haben.

Was für ein ekelhafter, dummer und verabscheuenswürdiger Film, der hoffentlich und wahrscheinlich nur Hohn erntet.

Hoffentlich ist das das Ende für Oskar Röhler.

Max Eipp · 29.09.2020

Wie so viele Filme von Fassbinder wird man auch dieser Film über ihn erst in ein paar Jahren als Meisterwerk erkennen.

Rosa · 03.06.2021

"Filme von Fassbinder"?
Dieser Film ist mit das Peinlichste, was ich je gesehen habe. Und das Gemeinste und Widerlichste, was man über Fassbinder machen konnte.
Hoffentlich gibt's im Himmel keine Ausstrahlung davon.