Log Line

Der Regisseur Paolo Virzì hat die Probleme und Klassenunterschiede Italiens schon öfter satirisch-kritisch beleuchtet, beispielsweise in „Die süße Gier“ oder „Das ganze Leben liegt vor dir“. Nun wirft er die Römer*innen in die gar nicht so abwegige Krise einer Stadt, der das Wasser ausgeht.

Dry (2022)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Rom strandet auf dem Trockenen

Die Stadt Rom befindet sich im Zuge einer langen Dürre seit über einem Jahr in einer Wasserkrise, die sich täglich verschärft. Die meiste Zeit des Tages kommt kein Wasser aus den Hähnen, und auf den Straßen bilden sich lange Schlangen, wenn die Lastwagen mit dem Trinkwasser kommen. Die Nerven der Bewohner*innen liegen blank, es kommt zu Protesten auf den Straßen, während sich die Superreichen nicht einschränken wollen. Eine rätselhafte Epidemie führt zu ersten Todesfällen, und Kakerlaken breiten sich massenhaft aus. Die Ärztin Sara (Claudia Pandolfi), der Taxifahrer Loris (Valerio Mastandrea) und andere Römer*innen, die der Episodenfilm begleitet, versuchen ihren Alltag weiterzuleben. Doch auch mit ihren Beziehungsproblemen, Affären und Lebenslügen geraten sie in eine Sackgasse. So die Prämisse von „Dry“.

Der italienische Regisseur Paolo Virzì (Die süße Gier, Die Überglücklichen) greift mit diesem satirischen Drama, für das er mit Paolo Giordano und Francesca Archibugi das Drehbuch schrieb, ein hochaktuelles Thema auf. Der Klimawandel, die langen Dürreperioden und die Wasserknappheit füllen beinahe täglich die Nachrichtensendungen. Und dennoch sind die Menschen in Europa auf den Ernst der Lage schlecht vorbereitet und legen sich lieber reflexhaft Scheuklappen an, als ihr Denken und ihre Gewohnheiten auf den Prüfstand zu stellen. So taumeln die Römer*innen in diesem futuristischen Film ziemlich ratlos in die Wasserkrise. Sara fährt auf nächtlicher Straße den Jugendlichen Sebastiano (Emanuele Maria Di Stefano) an, der sich aufrappelt und davoneilt. Seine Verletzungen verheimlicht er seinen Eltern, weil er mit Freunden gerade einen revolutionären Anschlag plant. Sein Vater Alfredo (Tommaso Ragno) gefällt sich als Influencer, der neuerdings auch Tipps gibt, wie man mit wenig Wasser Spaghetti kocht, während seine Frau Mila (Elena Lietti) als Kassiererin im Supermarkt schuftet und sich mit einem anderen Mann verabredet. 

Der werdende Vater Valerio (Gabriel Montesi) wähnt sich derweil im sozialen Aufstieg: Er hat eine teure Uhr gestohlen und bekommt einen Job als Sicherheitsmann bei einer Hotelierfamilie. In deren Resort sprudeln die Springbrunnen weiter am Pool, während vor dem Tor empörte Bürger Zugang zum Trinkwasser fordern. Valerio soll die psychisch labile Hotelierstochter Raffaella (Emanuela Fanelli) beschützen, doch er ist mit ihr und mit sich überfordert. Der Professor Del Vecchio (Diego Ribon) wird in Rom als Experte für die Ursachen der Krise herumgereicht und nimmt gerne die Gelegenheit wahr, die schöne und prominente Valentina (Monica Bellucci) auf ihrer Dachterrasse mit Pool zu daten. Der langjährige Sträfling Antonio (Silvio Orlando) gelangt unbeabsichtigt in einem Wäschetransporter aus dem Gefängnis nach draußen und besucht seine Tochter (Sara Serraiocco), deren Mutter er aus Eifersucht umbrachte. Und dies sind noch lange nicht alle Charaktere, denen der Film in parallel geschnittenen Episoden folgt und deren Wege sich kreuzen. Damit erinnert er an L.A. Crash von Paul Haggis aus dem Jahr 2004. 

Haggis schilderte unter dem Aspekt des Rassismus, wie Menschen aus dem Tritt geraten, wie fragil das soziale Gebilde der Großstadt Los Angeles ist — bei Virzì verstärkt die Krisenlage aus Wassermangel und Epidemie die Anspannung, die seine Römer*innen mit sich herumschleppen. Die großen sozialen Unterschiede, der Egoismus und das Schielen nach amourösen Abenteuern haben die Erosion menschlichen Zusammenhalts zur Folge. Dabei sehnen sich viele der Charaktere im Grunde nur, aus ihrer seelischen Isolation erlöst zu werden. Es gibt auch Ansätze zu Solidarität in der Krise, beispielsweise ein Benefizkonzert für Arme. Aber Virzì hat sehr viel — zu viel — zu erzählen, wobei manches satirisch wirkt, anderes kitschig oder auch schlicht überflüssig. Dermaßen überfrachtet ergibt die Geschichte keine sinnvolle Erkenntnis mehr, die vielen Handlungsschnipsel an verschiedenen Schauplätzen rauben sich gegenseitig die Bedeutung, irritieren zum Teil mit oberflächlich-plumpen Figurenzeichnungen oder überraschendem Pathos. Manches Motiv mag an Fellini, Paolo Sorrentino (La Grande Bellezza) oder – wenn ein junger Mann eine Schwangere auf einem Esel durch das ausgetrocknete Tiberbett führt und das biblische Motiv der Herbergssuche heraufbeschwört wird – an Pasolini

Am eindrucksvollsten sind fast noch die Luftaufnahmen von der Stadt, in deren Mitte das trockene Flussbett klafft. Diese Bilder wirken postapokalyptisch – und sind doch so nah an der Realität. Einzelne Ausflüge in den magischen Realismus — wenn dem Taxifahrer Loris ein toter Präsident oder seine Eltern als Geister erscheinen — hätte es nicht gebraucht, denn sie bleiben in ihrer Bedeutung rätselhaft. Insgesamt wirkt Dry überambitioniert, geschwätzig und zu unfokussiert.

Dry (2022)

Drei lange Jahre und noch immer kein Regen. Die Metropole Rom ist ausgetrocknet und der Wassermangel hat die Lebensweise der Stadt radikal verändert. In der von Durst und Einschränkungen geplagten Stadt wimmelt es von verzweifelten Menschen, jungen und alten, erfolgreichen und ausgegrenzten, Opfern und Tätern. Alle sind gefangen im gleichen Albtraum und alle suchen sie nach Erlösung. (Quelle: Filmfest München)

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen