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In Lars Kraumes Theaterstückverfilmung „Die Unschärferelation der Liebe“ schlendern wir mit Burghart Klaußner und Caroline Peters durch Berlin.

Die Unschärferelation der Liebe (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Verliebt in Berlin

Mann trifft Frau. In Berlin. Das klingt zunächst einmal nicht unbedingt nach einer allzu originellen Erzählung. Doch Lars Kraumes „Die Unschärferelation der Liebe“, basierend auf dem Theaterstück Heisenberg von Simon Stephens, verzichtet auf alle Klischees, die bei dieser Story-Grundlage unweigerlich in den Sinn kommen. Die Figuren sind nicht jung und hip, sie sind nicht in kreativen Kreisen unterwegs, besuchen keine Partys und hängen weder in den cool-runtergerockten noch in den touristisch-hochglänzenden Teilen der deutschen Hauptstadt herum. Vielmehr lernen wir zwei Menschen kennen, die eher selten im Mittelpunkt eines Films, erst recht eines Berlin-Films, stehen.

Alexander (Burghart Klaußner) ist Metzger. Wir begleiten den Endsechziger zu Beginn bei einer langen Busfahrt durch das Berliner Verkehrschaos. Es ist kalt, nass und dreckig. Später werden wir Straßenlärm und Sirenengeheul hören – aber jetzt haben wir zusammen mit Alexander klassische Musik auf den Ohren. Als er aussteigt, küsst ihn eine Frau unvermittelt in den Nacken. Hoppla, ein Versehen! Oder vielleicht auch nicht? Greta (Caroline Peters) ist, wie sich bald herausstellen wird, eine notorische Lügnerin. Die Geschichten über ihren vor anderthalb Jahren verstorbenen Gatten, mit dem sie Alexander angeblich verwechselt hat, sowie über ihren Job als Kellnerin und ihre Urlaubsreisen sind reine Fantasiemärchen.

„Warum reden Sie mit mir?“, fragt Alexander irgendwann irritiert. Denn Greta lässt sich nicht so leicht wieder abwimmeln. Sie begleitet ihn zur U-Bahn, zur S-Bahn und in den Bus. Und sie taucht, nachdem diese erste Begegnung dann doch zu einem Ende gefunden hat, kurz darauf in Alexanders Laden auf – um ihm „die echte, die ganz richtige Wahrheit“ zu schildern. Zum Beispiel über ihren 19-jährigen Sohn, der sich in New York City aufhält. Oder über ihre Tätigkeit als Schulsekretärin. Alexander ist noch immer ziemlich überfordert von Greta – allerdings zugleich auch fasziniert. Und so gehen die beiden schließlich auf ein Date miteinander.

Die geschliffenen Dialoge verdankt der Film selbstverständlich der Bühnenvorlage, die von Klaußner und Peters bereits am Düsseldorfer Schauspielhaus präsentiert wurde. Aber Die Unschärferelation der Liebe ist nicht einfach nur eine Übertragung des Stücks auf die Kinoleinwand, sondern entwickelt eigene Stärken, indem das Werk den künstlichen Raum eines Theatersaals verlässt und die beiden Figuren in einem sehr realistischen, greifbaren Umfeld interagieren lässt. Das unglamouröse Innere einer U- oder S-Bahn-Station, das aus der Zeit gefallene Geschäft von Alexander, das Restaurant, das die beiden besuchen, und all die anderen Schauplätze, an die uns Kraume führt – sie passen perfekt zu diesen zwei Menschen, die eben nicht „larger than life“ sind.

Die laute und stets unberechenbare, anfangs durchaus aufdringlich anmutende Greta und der in sich gekehrte, auf strikte Ordnung bedachte Alexander sind ein Gegensatzpaar, das sich durch zahlreiche kleine Details von der stereotypen Zeichnung löst und dadurch, mit großer Hilfe durch Klaußners und Peters’ feine Interpretation, an Individualität gewinnt. Wenn die beiden einen abendlichen Spaziergang machen, erinnert das gewiss an Richard Linklaters Before-Trilogie. Doch Alexander und Greta bewegen sich in völlig anderen Sphären als der US-Amerikaner Jesse und die Französin Céline.

Die Biografien von Alexander und Greta haben besondere Brüche, die in den Äußerungen der Figuren und im Spiel von Klaußner und Peters glaubhaft zum Ausdruck kommen. Der Film erzählt auf sensible Weise von Einsamkeit – und vom überraschend-schönen Gefühl, plötzlich eine Verbindung zu einem Fremden zu spüren. „Ich mag’s gern hier mit Ihnen“, heißt es noch relativ am Anfang. Und wir können gut nachempfinden, was damit gemeint ist.

Die Unschärferelation der Liebe (2023)

Greta (Caroline Peters) ist eine notorisch lügende Schulsekretärin und nebenbei laut, spontan und unberechenbar. Alexander (Burghart Klaußner) ist ein pleitegehender Metzger, nebenbei Musikliebhaber und verkappter Intellektueller, der stets auf seine strikte Ordnung bedacht ist. An einer Bushaltestelle küsst sie ihn in den Nacken, völlig unvermittelt, einfach so. Eine Verwechslung. Oder steckt doch ein Plan dahinter? Auf alle Fälle ist es der Anfang einer elektrisierenden Liebesgeschichte, mit der beide noch fünf Minuten zuvor nicht gerechnet haben. Und so sehr sich Alexander auch sträuben mag — einer Naturgewalt wie Greta kann man sich nicht entziehen. Die unausweichliche Erkenntnis: Liebe ist immer eine Chance, mit der wir alle rechnen sollten.

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Meinungen

saegezauberer · 28.01.2024

"Aber Die Unschärferelation der Liebe ist nicht einfach nur eine Übertragung des Stücks auf die Kinoleinwand"
Doch...leider. Auf der Bühne hätte das sicher ganz anders gewirkt. Als Film war es echt ein schwer erträgliches und oft unrealistisches Dauergequatsche von vor allem Frau Peters, die ich sonst sehr schätze.

Ute · 18.09.2023

Der Film hat wirklich Witz. Fand ihn sehr gut.
Nicht die normale Lovestory. Gerade das ist es was den Film so interessant macht.

Barbara · 01.09.2023

Am Anfang wollte ich beinahe wieder gehen, um der Quasselstrippe zu entkommen. Aber dieses Anders-Ticken ist doch sehr spannend und die beiden Schauspieler sind gnadenlos gut.

Karin · 25.08.2023

Vor dem Fernseher hätten wir wohl umgeschaltet. Anfangs noch witzig wurde das Endlosgesabbel ohne Luftzuholen unangenehm und wir fragten uns, wann der "normale" Teil des Films losgeht. Und schade, dass die tolle Frau Antoni nur eine winzige Nebenrolle hatte.

Elke · 15.08.2023

fehlt in "Ähnliche Filme": John and Mary, USA 1969. Die Zielgruppe wird ihn kennen.