Familienfest

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Eine Familie, ein Heim, ein Führer

Stell dir vor, der Familienpatriarchat wird 70 und keiner will hin. Hannes Westhoff ist ein gefeierter Pianist, ein Genie gar. Im Klassikradio laufen seine musikalischen Interpretationen rauf und runter – und die Söhnemänner auf der Anreise zum Fest hören das, es ist ihnen recht qualvoll. Denn daraus macht Familienfest von vornherein kein Geheimnis: nicht nur hat Papa Westhoff ebenso wenig Lust auf eine Geburtstagsfeier wie alle anderen, nein: er ist auch ein ausgemachtes Arschloch. Feindselig gegen jedermann, besonders aber gegen seine Familienangehörigen.
Ein Familienfest, das miteinander verwandte Feinde zusammenbringt, ist für sich kein origineller Ansatz für einen Film. Doch wenn ein so hochkarätiges Ensemble einen ungekünstelten Schauspielerfilm daraus macht; und wenn die Regie so geschickt und souverän agiert: Dann wird aus den innerfamiliären Zersetzungserscheinungen ein veritables Vergnügen.

Ganz offen geht Lars Kraume mit seinem Film um: Es gibt keine Geheimnisse, die Charakterzüge der Figuren liegen offen, und mit einer beobachtenden, nicht teilnehmenden Kamera sind wir bei den sich steigernden Stufen der Konfrontation dabei. Oben steht der führende Vater, Günther Maria Halmer, mit seinen schrägstehenden Augenbrauen und dem süffisanten Lächeln, der seine Lust an fiesen Bosheiten voll auskostet. Ihm zur Seite: Hannelore Elsner als Ex-Frau und Mutter seiner Söhne, als versoffene Zynikerin, die in einer großen Szene ihre Seele vor uns ausbreitet – ein Moment, in dem Frau Elsner, die insbesondere in ihren letzten Filmauftritten allzu oft überkandidelt und gekünstelt gespielt hat, tatsächlich wahrhaftig wirkt. Michaela May spielt die aktuelle Frau von Westhoff, sie breitet ihre harmoniesüchtige Aufopferungsbereitschaft mit Genuss aus.

Dazu kommen die Söhne: Marc Hosemann hat ständig Geldsorgen, weil er in unseriöse Geschäfte verwickelt ist; Barnaby Metschurat kommt mit seinem Lebensgefährten an; Lars Eidinger klappt beinahe zusammen, weil in seinem Körper eine Krankheit wühlt – weiß aber trotzdem allzu gerne alles besser. „Das Windei, der Schwule, der Schlaumeier“ – so höhnt Papa Westhoff, bevor er im Garten die Buchsbäume zerschnippelt, mit denen die Söhne aufgewachsen sind. Das findet er wohl lustig, ebenso wie seine schwulenfeindlichen Witze oder das geschmacklose Wortspiel um Lars Eidingers CUP-Syndrom, das ihn an den rechtsreaktionären, antirepublikanischen Kapp-Putsch anno 1920 erinnert.

Wie es überhaupt immer wieder im Film Reminiszenzen an die Nazizeit gibt: der Opa war offenbar Waffen-SSler mit direkter Beteiligung am Holocaust. Der Vater wird bei der Geburtstagsfeier als Führerfigur beim Reichsparteitag angedeutet – womit mehr oder weniger subtil eine höhere Ebene eingeführt wird, die über das rein Familiäre ins Historisch-Gesellschaftliche weisen soll. Dies eher als Fleißaufgabe von Drehbuch und Regie.

Freilich legt der Film dem Zuschauer auch einige wirkliche dramaturgische Steine in den Weg. Insbesondere die Story um Lars Eidinger hakt: Er ist mit Cancer of Unknown Primary geschlagen, ein durchmetastasierter Körper mit unbekanntem Primärtumor. Überall-Krebs im Endstadium, ein paar Tage hat er noch zu leben – und schleppt sich den weiten Weg zu Papas Geburtstagsfeier. Damit nicht genug: Unterwegs gabelt er eine Krankenschwester auf, die einwilligt, den ihr Unbekannten zur Geburtstagsfeier zu begleiten und sich als dessen langjährige Freundin auszugeben… Eine recht unglaubwürdige Drehbuchentscheidung gleich zu Beginn des Films, die im weiteren Verlauf nicht einmal eine dramaturgische Rolle spielt und von daher ziemlich überflüssig und damit störend wirkt. Ebenso wie die angedeutete Versöhnung am Ende des Films, wenn der Vater mit seiner bösartigen Natur so etwas wie Selbsterkenntnis und vielleicht Kartharsis erlebt.

Über diese Hindernisse helfen uns die herausragenden Darsteller hinweg – Eidinger gelingt es alle Unwahrscheinlichkeiten um seine Story zu umschiffen, wenn er gleichzeitig fertig und energiegeladen wirkt, wenn sich in ihm das Sichfügen ins eigene Schicksal mischt mit dem Bedürfnis, die innerfamiliären Klüfte zumindest ansatzweise zu überbrücken. Lars Kraumes Regie nimmt uns an die Hand in diese bösartige Familienatmosphäre mit klarem Blick für die Charaktere, mit Gespür für Timing und einem Händchen für die kleinen Pointen, die den hintergründigen schwarzen Humor der Inszenierung aufblitzen lassen. Und die Kamera von Jens Harant, die wie eine Fremde unbeteiligt in die Räumlichkeiten auf diese merkwürdige Familie blickt – erhebt sich immer mal wieder, bewegt sich um die Protagonisten, führt sie zusammen, gleitet um den Esstisch oder durchs Haus, fängt die Figuren ein und verbindet sie. Denn immerhin sind eben doch alle Familie. Und vielleicht sieht man sich an Weihnachten wieder.

Familienfest

Stell dir vor, der Familienpatriarchat wird 70 und keiner will hin. Hannes Westhoff ist ein gefeierter Pianist, ein Genie gar. Im Klassikradio laufen seine musikalischen Interpretationen rauf und runter – und die Söhnemänner auf der Anreise zum Fest hören das, es ist ihnen recht qualvoll. Denn daraus macht „Familienfest“ von vornherein kein Geheimnis: nicht nur hat Papa Westhoff ebenso wenig Lust auf eine Geburtstagsfeier wie alle anderen, nein: er ist auch ein ausgemachtes Arschloch.
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