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In „Oskars Kleid“ befassen sich Drehbuchautor Florian David Fitz und Regisseur Hüseyin Tabak mit der Familie eines trans Kindes – und stellen den ablehnenden, uneinsichtigen Vater in den Mittelpunkt.

Oskars Kleid (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Elternerziehung

Es ist natürlich eine Binsenweisheit – und doch allzu oft ziemlich treffend: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Das bestätigt sich leider beim neuen Werk des Regisseurs Hüseyin Tabak, der etwa mit „Deine Schönheit ist nichts wert“ oder „Das Pferd auf dem Balkon“ (beide aus dem Jahr 2012) zwei sehr einfühlsame Filme über Kindheits- und Ausgrenzungserfahrungen in Szene gesetzt hat. In „Oskars Kleid“ erzählt er nach einem Drehbuch des Hauptdarstellers und Co-Produzenten Florian David Fitz von einem Vater, der erfährt, dass eines seiner beiden Kinder trans ist – und der damit nur schwer umgehen kann.

Ben (Fitz) ist Polizist. Seine Beziehung mit Mira (Marie Burchard) ging in die Brüche. Während er seitdem allein in einer Doppelhaushälfte wohnt und reichlich Alkohol konsumiert, ist sie inzwischen mit Diego (Juan Carlos Lo Sasso) zusammen und erwartet von diesem das erste gemeinsame Kind. Als sie frühzeitig ins Krankenhaus muss, besteht Ben darauf, die eigenen zwei Kinder vorübergehend zu sich zu nehmen. Weshalb sich Mira zunächst so vehement dagegen sträubt, wird Ben bald klar – denn der vermeintliche „Sohn“ in der Vorpubertät lebt inzwischen als Mädchen und will Lili (Laurì) genannt werden. Lilis jüngere Schwester Erna (Ava Petsch) ist bereits seit Monaten eingeweiht – und auch die neue Schule weiß Bescheid. Ben hingegen ist überzeugt, dass es sich dabei nur um eine Phase handeln könne und dass er dringend etwas dagegen unternehmen müsse.

Eine Mainstream-Dramödie über die Familie eines trans Kindes? Da spricht grundsätzlich gar nichts dagegen. Aber ähnlich wie sich etwa die Monsieur-Claude-Reihe dem Sujet der Integration von Zugewanderten über eine Hauptfigur nähert, die dem Ganzen voller Vorurteilen begegnet, wählt auch Oskars Kleid die Perspektive eines Mannes, der dem Thema nicht nur skeptisch, sondern offen feindselig gegenübersteht. Gewiss wird uns als Publikum einerseits von Anfang an vermittelt, dass Ben noch einen langen Weg der persönlichen Entwicklung vor sich hat und seine Ansichten sowie Äußerungen ein Ausdruck von Unreife sind. Andererseits dienen die homo- und transphoben Sprüche oder auch die rassistischen Bemerkungen Bens gegenüber Diego eben auch als Gags.

Und diese sind häufig extrem misslungen. Die Erleichterung, dass sein Kind nicht schwul ist, und der anschließende Ausraster, als Ben vom Kindertherapeuten erfährt, dass „sein Sohn“ ein Mädchen ist, driften ebenso in den Klamauk ab, wie die Darstellung von Polizeigewalt oder Antisemitismus, die durch Bens Beruf beziehungsweise dessen Elternhaus ganz nebenbei noch mitverhandelt werden. Senta Berger verkörpert Bens Mutter, die in einem Vintage-Zimmer ihrer Liebe zum alten Hollywood frönt; Burghart Klaußner gibt den belesenen Ehemann, der irgendwann mit Lili über den berühmten ersten Satz aus Tolstois Anna Karenina reden darf und wegen seiner jüdischen Herkunft überall Diskriminierung vermutet. Das ist trotz des souveränen Spiels der beiden Altstars äußerst klischeehaft – und dennoch eine der geringsten Schwächen dieses Films.

Wenn das langjährige Ehepaar bei der Lektüre von eilig beschaffter Fachliteratur über das Für und Wider von gendergerechter Sprache diskutiert, hat das zwar keine allzu bemerkenswerte Tiefe, lässt aber immerhin Empathie (sowohl für die Figuren als auch von ihnen) erkennen. Mit der Konzentration auf Ben tut sich der Film indes keinen großen Gefallen. Vermutlich soll die Geschichte all jene Leute abholen, die selbst von dem Thema und von dem angemessenen Umgang damit noch überfordert sind. Oskars Kleid ist „Für alle Familien“, wie zum Abspann hin eingeblendet wird. Mehr Verständnis zu erzeugen, ist fraglos ein edles Motiv. Das Problem ist jedoch: Dem trans Kind kommt dabei in erster Linie die Aufgabe zu, Aufklärungsarbeit zu leisten. Zu wenig befasst sich der Film wiederum mit Lilis Gefühlen und Alltag.

Statt Szenen über den Dienst von Ben, in denen sich dieser mit möglichst albern dargestellten Klimaaktivist:innen herumärgern muss, oder Konfrontationen zwischen Ben und Diego, die Bens Xenophobie demonstrieren, hätte es deutlich mehr Momente gebraucht, in denen Laurì in der Rolle von Lili die verdiente Aufmerksamkeit erhält. „Sie müssen überhaupt nichts entscheiden“, wird Ben an einer Stelle zurechtgewiesen, als es um den Umgang mit Lili geht. In den seltenen Passagen, in denen der Film dies beherzigt und sich ganz dem Innenleben von Lili widmet (etwa in einem Zweiergespräch mit einem Rabbi), wird das Potenzial spürbar, über das ein solches Werk auch im Mainstream-Kino verfügen könnte. Wirklich schade um die vertane Chance!

Oskars Kleid (2022)

Ben (Florian David Fitz), ein dickköpfiger geschiedener Vater, findet über Umwege zu seinem ebenso dickköpfigen, aber völlig anderen 9-jährigen Sohn Oskar (Laurì), mit dem es nur ein wirkliches Problem gibt: er ist gar kein Sohn. Er ist ein Mädchen. Bens ganze Welt gerät aus den Fugen. Aber wenn er Glück hat, dann wird sie sich auf eine völlig andere Weise wieder zusammensetzen. Diesmal echt. (Quelle: Pantaleon)

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Meinungen

Jennifer Hahn · 14.08.2023

Ein toller Film! Danke für diesen wertvollen Beitrag! Alle Sterne!

Helli · 02.01.2023

Ich fand den Film toll!😊
Ich finde das Lilly/Oskar ein starken willen hat ein Mädchen zu sein!
Meine Freundin hatte eine ähnliche Geschichte hinter sich.❤️

Siggi · 31.12.2022

So ein toller Film!!!
Den müsst ihr gesehen haben
Ein Film aus dem Leben!
Realistisch, mit sehr viel Feingefühl, sehr gut gespielt und einem Thema, das es verdient, endlich einmal intensiver behandelt zu werden.
Persönliche Gespräche der betroffenen Personen in unterschiedlichen Konflikten stehen hier sehr im Vordergrund.
Vorbildlich!!!
Kann ich mir auch gut für eine Schulklasse vorstellen
Ich möchte ihn noch einmal sehen.
Mir war während der ganzen Vorstellung nicht einmal langweilig!!
Vielen Dank all denen, die dazu beigetragen haben, dass
der Film so gut geworden ist!!!

Ulrike · 29.12.2022

Wer hier negative Kommentare absetzt, hat weder das Hauptthema noch die ganzen anderen aufgezeigten Themen verstanden. F. D. hat sogar alle Möglichkeiten der Inklusionsschulen, Religion usw. bedacht, nur, damit sich auch ja keiner benachteiligt fühlt in unserer spießigen Gesellschaft..... Man Leute :Seid mal locker, dann gibt es diese sogenannten Probleme nicht. Es sind keine. Ihr macht es dazu........ Toller Film, tolle Besetzung!!!!! 😁 😁 😁 Toller Umgang mit dem Thema.

Jossi · 29.12.2022

Toller Film, hat mir auf vielen Ebenen sehr gut gefallen. Dass der weiße Hetero-Mann im Zentrum des Filmes steht, stört mich überhaupt nicht - im Gegenteil. Er stellt genau die Figur dar, die am meisten Entwicklungs- und Prozessarbeit bewältigen muss, im Film genauso wie in unserer Gesellschaft. Als schwuler Mann habe ich vieles ähnlich erlebt. Und: auch mein Vater lief im Rock herum, zwar nicht durch die Fußgängerzone, sondern an einer Seepromenade. Bis dahin ist es für Mann ein weiter Weg.

Frau Schneider · 29.12.2022

Ein vielschichtiger Film.
Ob es nötig war, die Vaterfigur mit soviel sozialer Zündstoff-Thematik (getrennt und allein lebend, Alkoholiker, Polizist, jüdisch, fremdenfeindlich, jähzornig...)auszustatten um die Geschichte von Oskar/Lilli zu erzählen sei mal dahin gestellt.
Er ist jedoch gut inszeniert, funktioniert sowohl in der Komik als auch in der Ernsthaftigkeit und berührt.
Großartig der Auftritt von Georgette Dee, die wie die weise Alte im Märchen in ihrer geschlechterübergreifenden Erscheinung, dem verirrten Heldenvater ermutigt und den Weg weist.

Katja Eschemann · 25.02.2023

danke das du GEORGETTE DEE erwähnst...diesen vielschichtigen Menschen !...( vielleicht auch DER Alte im Märchen...keiner weiß genau....) Aber Danke ...zündstoff Väter ( Eltern ...bestimmt auch Mütter...) sind doch ansonsten auch ein Thema ,warum Kinder werden ,wie Kinder werden , durch Eltern...,,,,ODER,,,,???????

Thomas · 29.12.2022

“Vertane Chance” trifft es aus meiner Sicht sehr gut. Das Thema hätte so viel mehr verdient gehabt, als wieder mal eine 0815, klischeebehaftete, deutsche Komödie, in der der weiße Hetero-Mann im Zentrum steht und mit dem Leben überfordert ist. Inkl. Annäherung an die Ex, Alkoholprobleme, Probleme mit Eltern. Warum braucht es das alles, wenn es doch (angeblich) um das Thema Trans geht? Das wurde hier eher missbraucht, um dem Film einen modernen Touch zu verleihen. Schade/

Stefanie · 27.12.2022

Der Film zeigt eine Bandbreite an Ambivalenz zum Thema. Er ist kurzweilig, an einigen Stellen lustig und an einigen Stellen anrührend. Dass das Thema aufgegriffen wird ist wichtig. Ich wollte einen schönen Kinoabend und den habe ich bekommen. Erst mal besser machen ;-)

Lisa K. · 20.09.2022

Toller Film! Schafft Sichtbarkeit.
Unglaublich wichtiges Thema. Besonders in der aktuellen Zeit, wo Menschen der LGBTQIA+ Community leider immer noch nicht sicher und frei leben können. Wunderbare Geschichte.