Log Line

Mit „Asteroid City“ knüpft Wes Anderson an seine exzentrischen Weltentwürfe an – und ergänzt sie auf stimmige Weise um neue Elemente und Details.

Asteroid City (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

W.A. – Der Außerirdische

Filmschaffende, die eine klare künstlerische Handschrift haben, neigen zuweilen dazu, sich von Werk zu Werk etwas enger im eigenen Mikrokosmos zu bewegen. Die Weltsicht, die in der Zeichnung der Figuren, in der Gestaltung der Kulissen, im Einsatz kinematografischer Mittel und in bestimmten Handlungsstrukturen zum Ausdruck kommen kann, droht dadurch, von Mal zu Mal ein bisschen kleiner zu werden, bis irgendwann nur noch Selbstzitate bleiben, die nichts Neues, nichts Spannendes mehr hervorzubringen vermögen.

Der in Houston, Texas geborene Wes Anderson könnte mit seinem sehr individuellen Stil ein solcher Kandidat sein. Er beweist mit seinem neuen Film Asteroid City aber, dass die surreal-chaotische Welt, in der sein betont verschrobenes Personal stets mit großer Selbstverständlichkeit agiert, sich immer noch um originelle Sphären erweitern lässt.

Gewiss finden sich hier ausgiebige Spuren von The Royal Tenenbaums (2001), Darjeeling Limited (2007), Moonrise Kingdom (2012), Grand Budapest Hotel (2014) und sämtlichen anderen Anderson-Arbeiten, und allein das kann Fans Vergnügen bereiten. Zugleich wartet das Drehbuch, das Anderson mit seinem wiederholten Schreibpartner Roman Coppola verfasst hat, allerdings mit Komponenten auf, die die vertraute Skurrilität stimmig ausbauen. So gesellen sich diesmal etwa Science-Fiction-Elemente zum Geschehen – und fügen sich derart organisch in das etablierte Anderson-Universum ein, dass es rückblickend kaum vorstellbar ist, wie die bisherigen Filme eigentlich ohne Besuche aus dem All auskommen konnten. Anderson öffnet seinen liebevoll gepflegten Kosmos und bereichert ihn auf diesem Wege, statt ihn gegen Überraschungen abzuschotten.

In einer im 4:3-Format und in Schwarzweißbildern eingefangenen Rahmenhandlung von Asteroid City erfahren wir durch einen Moderator (Bryan Cranston), dass die titelgebende Stadt gar nicht existiert. Sie wurde von Theaterautor Conrad Earp (Edward Norton) erdacht, dessen Stück nun der Regisseur Schubert Green (Adrien Brody) auf die Bühne bringen soll. Das Ensemble versammelt sich zur Probe – und prompt landen wir in einer Pastellfarben-Umgebung mitten in der Wüste.

Dort findet ein wissenschaftlicher Wettbewerb für begabte Jugendliche statt, an dem unter anderem Woodrow Steenbeck (Jake Ryan), Sohn des Kriegsfotografen Augie (Jason Schwartzman), und Dinah Campbell (Grace Edwards), Tochter der Schauspielerin Midge (Scarlett Johansson), teilnehmen. Während Augie seinen vier Kindern gerade erst mitgeteilt hat, dass deren Mutter schon vor drei Wochen verstorben ist, bereitet sich Midge auf ihre nächste Rolle vor. Eine extraterrestrische Begegnung führt dazu, dass alle Beteiligten bald unter Quarantäne stehen und sich mit ihren zwischenmenschlichen Konflikten auseinandersetzen müssen.

Natürlich ist es naheliegend, bei einem Anderson-Film all die bekannten Namen aufzuzählen, die (oft nur für kurze Momente) in Erscheinung treten – sowohl Veteran:innen, die das Œuvre des Regisseurs seit jeher mitprägen (Tilda Swinton! Willem Dafoe!), als auch erfreuliche Debütant:innen (Tom Hanks! Maya Hawke!). Und ebenso ist es beinahe Pflicht, darauf hinzuweisen, wie virtuos Anderson seine Innen- und Außenräume ausstattet, um eine bewusst artifizielle Atmosphäre zu erzeugen. Schön ist, wie die agile Kamera mit ansteckender Neugier jede Absurdität erkundet. Neben dem Broadwaymilieu der 1950er Jahre wird inmitten des Wüstenschauplatzes die Ästhetik der Diner, Motels und Tankstellen jener Zeit gefeiert – sowie das Nerdtum von Forscher:innen und Erfinder:innen.

Das Spiel mit Meta-Ebenen erreicht in Asteroid City neue Höhen – was vielleicht schon damit beginnt, dass der Filmtitel im Vorspann in Anführungszeichen steht, als sei er eine bloße Behauptung. Wenn sich ein vermeintlicher Soldat als Schauspieler erweist, der nur einen Soldaten verkörpert, wenn ein Fake-Schnurrbart demonstrativ abgezogen wird und wenn Worte nur rezitierte Mono- oder Dialoge eines fiktiven Stücks (innerhalb der Fiktion des Films) sind, wird deutlich, dass es hier sehr kurios verwoben zugeht.

Das heißt indes nicht, dass alles an der Oberfläche bleiben muss. „You really did it – that actually happened!“, stellt Midge an einer Stelle verblüfft fest: Die Dinge, die passieren, haben bei allem Aberwitz immer eine Konsequenz. Er solle seine Trauer nutzen, rät die Schauspielerin dem Witwer Augie, als er (von Kameramann Robert Yeoman in herrlicher Fensterrahmung im Schuss-Gegenschuss-Verfahren festgehalten) mit ihr eine Szene probt. Dem durch und durch Künstlichen etwas Echtes zugrunde legen – das gelingt auch diesem Film, etwa wenn am Rande zwischen Midge und Dinah eine interessante und ziemlich komplizierte Mutter-Tochter-Beziehung skizziert wird.

Gegen Ende wird ein emotionaler Dialog aus der Erinnerung einer Schauspielerin (Margot Robbie) heraus wiedergegeben; er stamme (so heißt es) aus einer Szene, die leider gestrichen worden sei. Die tiefen Gefühle sind da, sie haben sich nur gut versteckt, in der Spielerei, im kreativen Gewusel. Viele Geschichten finden in diesen tableaux vivants im Hintergrund statt – eine Verfolgungsjagd, kleine Dramen und gefährliche Mutproben. Diese Welt mag künstlich sein, doch in ihr steckt viel Leben, das sich entdecken lässt. Asteroid City ist, wie bei Anderson üblich, ein Triumph der Exzentrik – aber auch eine bemerkenswerte Öffnung für weitere Facetten.

Asteroid City (2023)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Bewegte Wimmelbilder

Mit den Filmen von Wes Anderson ist es ja so eine Sache: Man liebt sie oder man hasst sie – eine andere Haltung ist eigentlich kaum möglich. In seinem neuen Film „Asteroid City”, der beim Filmfestival von Cannes im Wettbewerb zu sehen war, bleibt der Regisseur (natürlich) seinem unverwechselbaren visuellen Stil und seiner Art des Erzählens treu. Nur tritt er damit auch auf der Stelle. Das große Starensemble, die Pastell- und Bonbonfarben, die überbordende Storyline mit zahlreichen Abschweifungen, Seiten- und Umwegen und auch einigen Lachern – all das ist längst nichts Neues mehr.

Immerhin – das muss man bei Anderson schon fast als Fortschritt werten – plündert er dieses Mal nicht die europäische bzw. die französische Kultur wie in The Grand Budapest Hotel oder The French Dispatch, sondern bedient sich an der US-amerikanischen Kultur der 1950er Jahre: am Broadway-Theater, der American-Diner-Kultur, modernen Mythen wie dem Roswell-Zwischenfall und den B-Movies jener Zeit.

Eingebettet in eine Rahmenhandlung, die vorgibt (warum eigentlich?), die kommende Geschichte sei ein Theaterstück und kein Film, lässt Anderson in einem kleinen Wüstenkaff namens Asteroid City (benannt nach der einzigen Sehenswürdigkeit des Örtchens, einem riesigen Krater, der durch den Einschlag eines absurd kleinen Asteroiden verursacht wurde) sein Starensemble aufeinanderprallen. Im Mittelpunkt steht (zuerst) der Witwer und Kriegsfotograf Augie Steenbeck (Jason Schwartzman), der seinen Kindern noch nicht gestanden hat, dass ihre Mutter schon vor drei Wochen gestorben ist. Als der Wagen der Familie eine Panne erleidet, findet die Fahrt zum Schwiegervater (Tom Hanks) in Asteroid City ihr Ende – scheinbar zufällig, dann aber doch wieder absichtsvoll: Dort werden nämlich anlässlich eines Jahrestags junge Nachwuchsforscher ausgezeichnet – und Augies Sohn ist einer der Finalisten. Das ist eine von vielen Widersprüchlichkeiten. Das Drehbuch hat so viele Einfälle, dass neben dem Auto auch die Logik auf der Strecke bleibt.

Zum Jahrestag findet sich allerlei buntes Volk ein: Militärs und Regierungsbeamte, Astrologen, ein durchreisender Filmstar (Scarlett Johansson) nebst Tochter, etliche andere Personen unterschiedlichster Herkunft und Motivation – sowie ein Alien, das während der Feierlichkeiten in aller Seelenruhe aus einem UFO hinabschwebt, sich den Asteroiden schnappt und wieder verschwindet. Daraufhin wird das Wüstenkaff prompt zum Sperrgebiet erklärt und alle Anwesenden durch das Militär zu einem längeren Aufenthalt gezwungen, was wiederum einiges an (auch amourösen) Verwicklungen nach sich zieht.

Immer wieder wird das Geschehen unterbrochen durch Sprünge zurück in die Rahmenhandlung, die Einblicke in eine Theaterproduktion mit all ihren Schwierigkeiten bietet und den Film in Akte und Szenen enteilt. Dadurch ist Asteroid City so prallvoll mit (Abziehbild-)Figuren, die kaum je mehr charakterisiert sind als durch eine Eigenschaft (zumeist der Beruf) und einen Gesichtsausdruck, dass man schnell den Überblick verliert. Immerhin: Für das zumindest oberflächliche Verständnis des Films ist das nicht von Belang und viel mehr als die Oberfläche gibt es bei dieser Ansammlung von Pastiches auch nicht zu verstehen. Im Grunde gleichen alle Filme von Wes Anderson bewegten Wimmelbildern, deren Gleichzeitigkeit von Figuren und Geschichten in eine zeitliche Linearität gezwängt wurde. 

In den letzten Wochen war es ein Social-Media-Trend, frei verfügbare AI-Programme zu nutzen, um Bild- und Video-Kreationen im Stil von Wes Anderson zu erschaffen. Nach Asteroid City könnte man ein wenig bösartig vermuten, eine (noch nicht sehr weit entwickelte) Künstliche Intelligenz habe auch das Drehbuch zu dem Film zusammengedengelt. Etwas mehr Herz und echte Emotion dürften schon sein. Fans des ewigen Spielkindes Wes Anderson werden sich aber daran nicht groß stören.

(gesehen in Cannes 2023)

Asteroid City (2023)

Asteroid City, irgendwo im Nirgendwo der USA in den Fünfzigerjahren. Das Programm der Junior Stargazer bekommt ein kurzfristiges Update, als ein weiterer Besucher von außerhalb in die Stadt kommt. Von sehr weit außerhalb …

Bringt das Alien eine Botschaft des Universums oder hat es gar Antworten auf existenzielle Fragen? Vielleicht. Sicher ist, dass Asteroid City vorsichtshalber vom Militär zur Sperrzone erklärt wird, und so stecken Witwer Mitch Campbell (Jason Schwartzman) und seine vier Kinder in dem abgelegenen Nest fest. Während sich sein Schwiegervater (Tom Hanks) um die Enkel kümmert, Amerikas Wissen über den Weltraum ins Wanken gerät und im Hintergrund Atombomben getestet werden, freundet sich Mitch mit einer Schauspielerin an (Scarlett Johansson). Wenn da nur nicht dieses Gefühl wäre, dass das Alien kein Überbringer guter Nachrichten ist … 

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Dave · 19.07.2023

Absoluter Schrottfilm. Das hat nichts mehr mit Underground zu tun, sondern ist einfach nur langweilig. Mehr gibt's dazu auch nicht zu sagen, denn ein Inhalt oder eine Story sind ja nicht vorhanden. Man wartet die ganze Zeit darauf, dass sich der Film einem entschließt, bis er schließlich aus ist.

kata · 14.07.2023

Also die Leerheit des Filmes ist seine Essenz. Wenn jemand jemals Undergroundfilme aus den 70ern, 80ern, 90ern auch 00er Jahren wie Jim Jarmush etc... gesehen hatte, dann sollte es verstehen, dass diese Leerheit die Aussagekraft des Filmes ist. Wenn jemand nur Blockbuster- und andere Mainstreambullshit in seinem Leben gesehen hatte, dann versteht er oder sie diesen Film eindeutig nicht. Man braucht dafür Filmkenntnis, Geschichte und Literatur. Aber was kann man heute von den untergebildeten Idioten als Kritiker erwarten? Die amerikanischen Undergroundmovies waren hier auch hineingearbeitet und ausserdem ist dieser Film extrem amerkanisch. Dazu braucht man auch noch überhaupt die Filme aus den 50ern und 60ern kennen, was heutzutage eher die ältere Generation kennt, weil die Jugendliche zu dumm dafür sind. Wer Aktionen in einem Artfilm erwartet, dann erlernt mal wie Artfilme sind. Es ist ein absurder, kalter Humor. Dazu braucht man erwachsen zu sein und Intelligenz. Bei Idioten wird er sicher nicht ankommen.

DK · 30.06.2023

Sitze gerade im Film und fragte mich, ob ich der einzige sei, der diesen Film einfach nur langweilig findet.

Ich bin zum Glück nicht der einzige.

Cita · 26.06.2023

Was für ein Rotz! Tragikomödie? Es gab nicht einen einzigen Moment zum lachen. Die Handlung: so grottenschlecht, dass ich tatsächlich sprachlos bin. Man könnte endlos alles schlechte des Filmes beschreiben, aber dazu ist mir meine Zeit zu schade.
Das beste am heutigen Kinobesuch war der Liegesessel.

Markus · 23.06.2023

Ein Film ohne Handlungsstrang ist auf Dauer einfach ermüdend. Da helfen auch die tollen Bilder und Schauspieler nichts, wobei - hier nur Scarlet Johansson ihrer Rolle wirklich Ausdruck verleiht.