Log Line

In seinem mittellangen Film „The Wonderful Story of Henry Sugar“ feiert Wes Anderson mit seinem Team eine weitere redefreudige Kostüm- und Kulissenparty.

Ich sehe was, was du nicht siehst (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Eine Matrjoschka-Erzählung

Schon für seinen Animationsfilm „Der fantastische Mr. Fox“ (2009) hat der Regisseur Wes Anderson ein Werk des britischen Schriftstellers Roald Dahl (1916-1990) adaptiert – nun hat er sich erneut von einem kleinen Stück aus dessen Œuvre inspirieren lassen. Der 40-Minüter „The Wonderful Story of Henry Sugar“, den Anderson für den Streaming-Anbieter Netflix gedreht hat, basiert auf einer Kurzgeschichte des Autors, die 1977 zusammen mit sechs weiteren veröffentlicht wurde – in Deutschland unter dem Titel Ich sehe was, was du nicht siehst.

Zu Beginn erscheint Ralph Fiennes in der Rolle von Roald Dahl. In gemütlicher Hauskleidung und in Pantoffeln sitzt er in einem Sessel in seiner Hütte – und redet alsbald direkt in die Kamera. Wenn er sich kurz darauf erhebt und sein exzentrisch eingerichtetes Nest (vorübergehend) verlässt, wird deutlich, dass sich Anderson auch hier wieder ein wildes Spiel mit Kulissen erlaubt. Diese werden hinein- und wieder herausgeschoben. Von der Rahmenhandlung geht es in die erste Geschichte, auf die nach dem Prinzip der ineinander schachtelbaren Matrjoschka-Puppen noch zwei weitere folgen.

Der titelgebende Henry Sugar, der Ende der 1950er Jahre ein Dasein als selbstverliebter Dandy führt, wird mit der nötigen Noblesse von Benedict Cumberbatch dargeboten. Dieser übernimmt – wie später auch andere Figuren – streckenweise die Erzählerfunktion von Dahl, um seine Gedanken und Handlungen zu beschreiben. Wer sich daran stört, dass Personen in einem Film unentwegt reden, wird an Ich sehe was, was du nicht siehst gewiss keine Freude haben, denn der bewusst absurde Informationsfluss strömt in den rund 40 Minuten stetig.

In einer Bibliothek stößt Henry auf ein Notizheft, in dem er etwas über Imdad Khan (Ben Kingsley) liest – einen Mann, der imstande war zu sehen, ohne seine Augen zu benutzen. Mit dieser Gabe beschäftigten sich damals zwei junge Ärzte, gespielt von Dev Patel und Richard Ayoade. Henry will die gewonnene Information zum Einsatz bringen, um sich im Casino beim Black Jack Vorteile zu verschaffen und so noch reicher zu werden.

Bereits in seinem diesjährigen Langfilm Asteroid City liebäugelte Anderson mit dem Theater und dessen Methoden. Auch diese Arbeit vereint viele Elemente einer modernen Bühneninszenierung, wie etwa das erwähnte Monologisieren, das sich direkt ans Publikum richtet und dadurch die vierte Wand durchbricht. Dem Ensemble werden zuweilen Requisiten gereicht; die Figuren werden auch mal von Außenstehenden in den Kulissen positioniert, um eine stimmige Komposition zu erzeugen. Kingsley entfernt als Imdad Khan ganz lässig sein Old-Age-Make-up, als er von der Vergangenheit berichtet; Cumberbatch verlässt wiederum an einer Stelle in adretter Aufmachung den Raum, um wenige Sekunden später mit Zottelhaaren und -bart zurückzukehren.

Ein gewisser Teil der Faszination, die solche Effekte bei einer Live-Bühnenshow haben, fallen bei einem Film zwangsläufig weg. Während es etwa ziemlich beeindruckend ist, mit welcher Geschwindigkeit Schauspieler:innen in einer Theaterperformance ihr Outfit wechseln können oder wie viel Text sie frei zu sprechen vermögen, ist dies bei einer Kunstform, die mit Schnitten und wiederholbaren Takes operiert, keine Besonderheit. Der Reiz liegt hingegen eher in der Offenlegung aller Tricks: Wenn Anderson hier Figuren „schweben“ lässt oder Rückprojektion nutzt, um eine Autofahrt zu simulieren, wird das Gemachte ganz transparent ins Bild gesetzt. Dies lässt an den Charme alter B-Movies denken, in denen die Fäden „fliegender“ UFOs und jede vermeintliche Zauberei oft (ungewollt) sichtbar war.

Einen künstlerischen Schritt nach vorne macht Anderson mit Ich sehe was, was du nicht siehst sicherlich nicht; Zweifler:innen wird er mit diesem Film wohl nicht auf seine Seite ziehen können. Doch wer ein Faible für detailreiches Produktions- und Kostümdesign hat, ist abermals gut bei ihm aufgehoben. Obendrein ist erneut zu spüren, wie viel Spaß Cast und Crew bei einem Anderson-Film zu haben scheinen. Das ist einnehmend – und darf gerne als wundervoll empfunden werden.

Gesehen bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig.

Ich sehe was, was du nicht siehst (2023)

In der beliebten Geschichte von Roald Dahl erfährt ein reicher Mann von einem Guru, der ohne Augen sehen kann. Er möchte diese Fähigkeit erlernen, um beim Pokern zu betrügen.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Warum · 29.09.2023

Kann mir bitte IRGENDJEMAND erklären wie man aus "The Wonderful Story of Henry Sugar" ein Titel wie "Ich sehe was, was du nicht siehst" machen kann?