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Ein hochaktuelles Debüt, das die Geschichte einer jungen Familie erzählt, deren Leben durch eine Klimakatastrophe erschüttert wird. Emotional berührend, in seiner Verhandlung des Themas aber zu banal. 

The End We Start From (2023)

Eine Filmkritik von Julia Stanton

Wenn Albträume wahr werden

Sollten wir heute noch Kinder kriegen, ist eine Frage, die zurzeit viele junge Menschen beschäftigt: Klimawandel, dadurch entstehende Naturkatastrophen und politische Unruhen hätten diese Welt zu einem nicht mehr lebenswerten Ort gemacht, so die Angst derer, die für Kinderlosigkeit plädieren. Diese Debatte ist zentral für „The End We Start From“, den Debütfilm der englischen Regisseurin Mahalia Belo, der vor Kurzem auf dem Toronto International Film Festival (TIFF) Premiere hatte.

Der Film beginnt mit einem Albtraumszenario: Die hochschwangere, unbenannte Protagonistin des Films (Jodie Comer) ist alleine zuhause, als ein leichter Regen sich plötzlich in ein extremes Unwetter verwandelt und droht, das Haus zu überfluten. Beim Versuch, das Wasser in Schach zu halten, platzt ihre Fruchtblase – weder ihr Mann noch der Notdienst sind zu erreichen. Cut.

Die nächste Szene lässt aufatmen: Mutter und Baby sind am Leben, der Vater (Joel Fry) ist bei ihnen im Krankenhaus. Hier scheint noch alles gut: Die Familie ist glücklich über die Geburt ihres Kindes und realisiert noch nicht das Ausmaß der Katastrophe. Schnell wird allerdings klar, welches Chaos der Sturm ausgelöst hat: Das Haus der Familie ist unbewohnbar, und so werden sie zu Inlandsflüchtlingen. Für kurze Zeit können sie Zuflucht bei ihren Eltern finden, bevor die nächste Katastrophe ihr Leben erschüttert und sie merken, dass sie keine Möglichkeit mehr haben, an Essen zu kommen. 

The End We Start From, der auf dem gleichnamigen Roman von Megan Hunter basiert, positioniert sich in seiner Darstellung der Geschehnisse klar gegen die sensationshaften und übertriebenen Klimawandel-Apokalypsen-Filme der vergangenen Jahre. Statt aufreibender Szenen, in denen sich Gräber auftun und Häuser einstürzen, zentriert er das Leben der Familie und zeigt authentisch, was die Katastrophe für sie bedeutet. Dieser Ansatz ist erfrischend und gibt einen intimen Einblick in das Innenleben der Protagonisten.

Das Herz des Films ist dabei ohne Zweifel die großartige Jodie Comer, die spürbar in ihrer Rolle aufgeht und The End We Start From zu einem berührenden Porträt von Mutterschaft und Menschlichkeit macht. Der Film löst Betroffenheit und Mitgefühl aus, weil er deutlich macht, dass sich Katastrophen auch immer durch eine gewisse Alltäglichkeit auszeichnen, bis sie plötzlich jegliche Alltäglichkeit durchbrechen und zum Unvorstellbaren werden. 

Doch er läuft in seinem unkonventionellen Ansatz auch Gefahr, apolitisch zu werden und in Kitsch zu verfallen: An keiner Stelle werden (geo)politische oder gesellschaftliche Verhältnisse thematisiert. Es mag sich dabei um eine bewusste Entscheidung handeln, weil der Film eben nicht den Anspruch hat, die gesamtgesellschaftliche Situation darzustellen, und auch nicht als Kommentar dazu verstanden werden will. Doch gerade bei Themen wie Klimawandel und Mutterschaft wirkt die extreme Abwesenheit jeglicher Kontextualisierung ignorant. Abgesehen davon entsteht so auch der Eindruck, dass wichtige Aspekte ausgelassen werden. Die glaubhafte Darstellung des emotionalen Zustands der Protagonisten steht hier im klaren Kontrast zur unrealistischen Darstellung der äußeren Umstände. So stellt man sich beispielsweise die Frage, wie die Familie es schafft, ein Neugeborenes über Wochen am Leben zu halten, während sie alleine durch die Wildnis wandert, ohne Essen oder Schutzmöglichkeit. 

Diese und andere Unstimmigkeiten, die mit Sicherheit auch dem kleinen Produktionsbudget geschuldet sind, bewirken, dass der Film an Stellen banalisierend erscheint; so als würde er sich den wirklich schwierigen Fragen entziehen. Dies wird nicht zuletzt auch durch seine spezielle Visualität verstärkt: The End We Start From zeichnet sich durch beeindruckende Landschaftsaufnahmen aus, die metaphorisch eng mit der Handlung verwoben sind. Schon in der Anfangsszene des Films wird eine Verbindung zwischen dem Badewasser als Ort der Entspannung, der Gemütlichkeit eines leichten Regens in einem warmen Haus und gleichzeitig der zerstörerischen Kraft von Wasser hergestellt. Die Binarität zwischen „Mutter Erde“ und „Zerstörerin Erde“, die durch diese Metaphorik entsteht, erscheint abgenutzt und wird weder erweitert noch verkompliziert.  

Letztendlich rücken diese Einwände aber in den Hintergrund, weil der Film so extrem auf emotionale Betroffenheit setzt. Man fiebert mit und nimmt Anteil am Versuch der Familie, zwischen einer zerstörten Vergangenheit und einer ungewissen Zukunft Fuß zu fassen. The End We Start From positioniert sich in seiner Darstellung der Geschehnisse weitestgehend lebensbejahend und zeigt, dass es auch immer eine Welt nach der Katastrophe gibt. So ist man am Ende zwar positiv gestimmt, bleibt aber dennoch mit dem mulmigen Gefühl zurück, dass der Film eine komplizierte Debatte, zu der er nichts Signifikantes beizutragen hat, extrem herunterbricht. Bei diesem Thema eine verpasste Chance. 

The End We Start From (2023)

 

Als gewaltige, verheerende Wassermassen über London hereinbrechen, ist jeder sich selbst der Nächste – nur für eine junge Frau (Jodie Comer) ist ein Leben wichtiger als ihr eigenes: das ihres Neugeborenen. Mit ihrer Flucht aus London beginnt eine Odyssee voller Gefahren, denn schon bald versinkt das ganze Land im Chaos, und der Weg nach Hause wird zur Zerreißprobe in „The End We Start From“. Es ist der Vorschlag ihres Partners R. (Joel Fry), Zuflucht bei seinen Eltern (Nina Sosanya, Mark Strong) auf dem Land zu suchen. Aber auch wenn sie mit offenen Armen empfangen werden, erwartet sie kein ländliches Idyll. Während die Welt um sie herum immer gefährlicher wird, folgt ein Schicksalsschlag auf den nächsten, und als die junge Frau von R. getrennt wird, macht sie sich mit dem Baby allein auf den Weg. Die Begegnung mit einer anderen Mutter (Katherine Waterston) bringt in ihr eine bisher ungeahnte Stärke zum Vorschein. Aber jede Begegnung (Benedict Cumberbatch, Gina McKee) birgt auch Gefahren.

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