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Von der erbärmlichen Aussichtslosigkeit menschlichen Daseins erzählt „The Devil All the Time“ in einem ausgreifenden Familienepos – und das, ohne dabei je seine intensive Konzentration zu verlieren.

The Devil All The Time (2020)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Die Erbärmlichkeit aller Hoffnung

Gott interessiert sich nicht für die nichtigen Hoffnungen der Menschen. Alles Streben und Sehnen ist erbärmlich im naiven Glauben an das Gute, das nie kommen wird, um uns zu erlösen. In Blut und Schlamm gehen alle Träume zugrunde, und es gibt nichts, nicht einmal den besten Willen einer unschuldigen Absicht, um der Macht unsinniger Gewalt und einem einsamen Tod zu entgehen. Antonio Campos‘ “The Devil All the Time“, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Donald Ray Pollock, erkundet unter der ruralen Friedlichkeit US-amerikanischer Farmen und Landstraßen die tiefen Abgründe eines ganz und gar gottverlassenen Glaubens.

Jahrzehnte umspannt die Familientragödie des jungen US-Marines Willard Russell (Bill Skarsgård), der gerade aus dem Zweiten Weltkrieg zu seiner Familie nach Ohio zurückkehrt. Er hat Gewalt erlebt und seinen Glauben verloren, und gerade als er beginnt, wieder Vertrauen zu Gott zu fassen, wird ihm dieser Boden unter den Füßen weggezogen. Noch vielen Menschen wird es so ergehen, in dieser filmischen Abrechnung mit dem tugendhaftem Eifer US-amerikanischer Kleinstadtgläubigkeit, deren unterschwellige Brutalität sich geradezu mit zwingender Notwendigkeit Bahn bricht: So kann auch Willards Sohn Arvin (Michael Banks Repeta und Tom Holland) sich der Gewalt nicht entziehen; die junge Helen (Mia Wasikowska), die Willard doch eigentlich heiraten sollte, erliegt dem Wahn gottgefälliger Taten; Arvins Stiefschwester Lenora (Eliza Scanlen) gerät in die Anziehungskraft eines durch und durch verdorbenen Priesters (Robert Pattinson); selbst noch die Serienmörder Sandy und Carl (Riley Keough und Jason Clarke), deren Suche nach Religion sie einzig zum erhebenden Anblick gefolterter Unschuldiger führt, können der grenzenlosen Sinnlosigkeit des Sterbens nicht entrinnen.

The Devil All the Time, der durchgehend von der weltmüden Stimme des Roman-Autors Pollock selbst erzählt wird, gestaltet über ein verschachteltes Spiel mit seinen Zeitebenen eine filmische Familiengeschichte, die in ihren Erinnerungen nach jenen Momenten sucht, an denen die schicksalhaften Pfade einen um den anderen Schritt ins Verderben führen. Die Rückkehr von Willard verwebt sich bei seiner Familie mit den Wegen anderer Menschen. Er trifft die junge, tiefreligiöse Helen, soll sie nach dem Willen seiner Mutter heiraten, hatte sich aber schon verliebt; Helen hingegen trifft einen Priester, doch ihr schlimmes Ende ist der nüchternen, allwissenden Erzählstimme bereits bekannt. Wir werden darauf zurückkommen, so unweigerlich jede Familiengeschichte auf ihre dunkelsten Stunden zurückkommt. Kein Grund, sich zu beeilen. Der unsinnige Tod und das unabänderliche Leid warten allzeit geduldig hinter dem Schein glücklicher Augenblicke.

Über mehrere Episoden, zunächst in der Generation von Willard und seiner Frau Charlotte (Haley Bennett), von Helen und ihrem Priester Roy (Harry Melling), bewegt der Film sich mit der ruhigen Gewissheit eines immer schon unausweichlichen Ausgangs zur Generation der Kinder, zu Arvin und seiner Stiefschwester, die ebenso den finsteren Schlägen des Schicksals ausgesetzt sind und die ebenso hoffen, etwas in der Welt dagegen tun zu können. Vielleicht ein bisschen Gerechtigkeit wiederherzustellen und gegen jene das Gute zu verteidigen, die in seinem Namen Böses tun. Vergebens, alles.

Trotz aller bedrückenden Schwere, die der Film ausbreitet, fällt es schwer, nicht doch daran zu glauben, dass eine, wenigstens eine der Geschichten gut ausgehen möge. Die Schönheit und Ruhe des friedlichen Landlebens muss doch zumindest für die Unschuldigen einen Ort bieten, an dem sie nicht von Gewalt und Finsternis eingeholt werden. In keinem Bild des Films sind das gleichzeitige Keimen und die Aussichtslosigkeit einer solchen Hoffnung so schön eingefangen, wie mit einem langgezogenen und erschöpften Gähnen in einem Moment, in dem das Schlimmste gerade überstanden scheint, während im Hintergrund Präsident Johnson die unnachgiebige Fortsetzung des Vietnamkriegs verkündet.

Die fantastische Besetzung des Films verteilt sich über eine Vielzahl größerer und kleinerer Rollen, und es ist ein wenig schade, dass in Campos‘ bild- und sprachgewaltiger Romanverfilmung neben den Irre-Gläubigen und den Rachegetriebenen gerade jene Figuren zu wenig Platz finden, die unter ihnen leiden. Insbesondere Mia Wasikowskas grandiose Leistung gerät damit zu einer Randnotiz im ansonsten ganz auf Willard und seinen Sohn Arvin konzentrierten Familienepos. Vor allem in Robert Pattinsons unausstehlich niederträchtigem Priester konzentriert sich die intensive Inszenierung menschlicher Abgründigkeit, die so stellenweise allzu sehr ohne Zwischentöne und Nuancen ausgespielt wird. In der überwältigenden Finsternis und Nichtigkeit, die The Devil All the Time am Kern seiner Reflexion über das beschaulich-gewaltvolle Provinzleben entfaltet, liegt dabei aber auch seine größte Stärke.

The Devil All The Time (2020)

In Knockemstiff (Ohio) und den umliegenden Wäldern versammeln sich einige finstere Gestalten – ein unheiliger Priester (Robert Pattinson), ein absonderliches Pärchen (Jason Clarke und Riley Keough) und ein verlogener Sheriff (Sebastian Stan) – um den jungen Arvin Russel (Tom Holland), der mit allen Mitteln versucht, sich und seine Familie vor dem Bösen zu schützen.

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