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Ein muffeliger älterer Herr erhält einen Brief aus seiner Vergangenheit, der sein stupides Leben radikal verändert. Nach einem Roman von Julian Barnes erzählt Ritesh Batra eine Geschichte von verdrängter Schuld auf so zurückhaltende Weise, dass man das Gefühl hat, hier wäre mehr drin gewesen.

Vom Ende einer Geschichte (2017)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Souverän und routiniert

Dem 1979 in Mumbai geborenen Filmemacher Ritesh Batra gelang gleich mit seinem Debütlangfilm Lunchbox ein weltweiter Überraschungserfolg an den Kinokassen und auf verschiedenen Filmfestivals, der den jungen Filmemacher eindrücklich für größere Aufgaben empfahl. Für seinen zweiten Spielfilm The Sense of an Ending hat der Regisseur nun nichts dem Zufall überlassen: Neben Jim Broadbent, Charlotte Rampling und Matthew Goode wirkt Emily Mortimer in der Adaption eines Romans des bekannten britischen Schriftstellers Julian Barnes mit (für dieses Buch, das in Deutschland unter dem Titel Vom Ende einer Geschichte erschien, gewann der Romancier 2015 gar den renommierten Man Booker Prize). Allerdings reicht das Endergebnis trotz aller Erfolgsfaktoren nicht an die Güte und Frische von Lunchbox heran.

Tony Webster ist ein Griesgram, der seit seiner Scheidung vor vielen Jahren ein überwiegend zurückgezogenes Leben führt; in seinem Laden, in dem er mit zwar gebrauchten, aber immer noch sündteuren Leica-Kameras handelt, ist nicht viel los. Und selbst wenn sich ein Kunde mal zu ihm verirrt, so wirkt sich Tonys barsche bis schweigsame Art nicht gerade verkaufsfördernd aus. Auch der stets freundliche Postbote wird morgens bisweilen Opfer der sarkastischen Attacken des Brummbärs, dennoch scheint es, als sei Tony mit sich und seiner Umwelt mehr oder weniger im Reinen. Zu seiner Ex-Frau Margaret (Harriet Walter) hat er nach wie vor ein gutes Verhältnis, ebenso zu seiner Tochter Susie (Michelle Dockery), die gerade ihr erstes Kind erwartet und die er gelegentlich zu den Geburtsvorbereitungskursen begleitet. Eigentlich könnte das Leben so weitergehen und sich gemächlich in Richtung des eigenen Todes bewegen, wäre da nicht dieser Brief, der Tony eines Tages erreicht. In ihm erfährt er vom Tod der Mutter von Veronica, mit der er früher eine Beziehung hatte. Zudem, so steht in dem Schreiben eines Nachlassverwalters zu lesen, habe sie ihm eine kleine Summe Geld sowie ein Tagebuch hinterlassen. Neugierig geworden und von ersten Erinnerungsschüben an seine Zeit der Begegnung mit Veronica und ihrer Familie heimgesucht, forscht Tony nach und findet schließlich heraus, dass es sich bei dem besagten Tagebuch um jenes seines alten Schulfreundes Adrian Finn handelt, der nach ihm eine Beziehung mit Veronica unterhielt, bevor er sich selbst umbrachte.

Auch wenn Tony nach außen hin kaum etwas anzumerken ist, scheinen diese Erinnerungen an die damalige Zeit etwas in dem Mann auszulösen, mit zunehmender Besessenheit (seine Ex-Frau und seine Tochter nennen ihn schon einen „Stalker“) macht er sich auf die Suche nach Veronica, von der er sich Aufklärung über das erhofft, was damals wirklich geschah. Vor allem aber scheint ihn der Gedanke zu quälen, dass er damals möglicherweise Schuld auf sich geladen habe. Und die will er jetzt, da sich sein Leben langsam dem Ende zuneigt, aus der Welt schaffen. Doch ist das überhaupt möglich? Zumal Tony, wie sich im weiteren Verlauf herausstellen wird, entscheidende Facetten der damaligen Zeit gründlich verdrängt zu haben scheint.

Dass The Sense of an Ending ein zwar seichtes, aber insgesamt unterhaltsames Sehvergnügen ist, liegt neben der zurückhaltenden Inszenierungsweise Batras vor allem an Jim Broadbent, der wie geschaffen ist für Rollen wie diese – spontan kommt einem hier Mike Leighs Another Year in den Sinn. Seine stoische Gemütshaltung, sein kühler Witz, sein Gesicht, das bereits alle Wechselfälle des Lebens gesehen und überstanden zu haben scheint, sorgen dafür, dass einem dieser Tony Webster trotz seiner schnoddrigen und leicht misanthropischen Wesensart dennoch grundsympathisch bleibt, eine Zugewandtheit, an der sich auch im weiteren Verlauf des Filmes nichts ändern wird.

Und dennoch fehlt diesem Film etwas – und zwar das Herz und die Seele, die Leidenschaft und ein Gefühl für die Schicksalhaftigkeit und tragische Größe der literarischen Vorlage. Batras souveräne Regie und Broadbents routiniertes Spiel nivellieren die emotionalen Höhen und Tiefen des Stoffes zu einem dahinplätschernden Film, der statt Fragen über Schuld und Verantwortung auszulösen nur ein mildes Lächeln hervorruft. Der Tiefe von Julian Barnes’ Vorlage wird dessen filmische Adaption leider nicht gerecht, sondern bietet allenfalls unterhaltsame, aber nicht wirkliche bewegende Ansichten eines Mannes, der selbst in der Konfrontation mit seinen eigenen Verfehlungen merkwürdig ungerührt bleibt. Die dem Buch immanente Aufforderung, sich den Fehlern des Lebens zu stellen, verhallt auf der Leinwand weitgehend ungehört.

Vom Ende einer Geschichte (2017)

Dem 1979 in Mumbai geborenen Filmemacher Ritesh Batra gelang gleich mit seinem Debütlangfilm „Lunchbox“ ein weltweiter Überraschungserfolg an den Kinokassen und auf verschiedenen Filmfestivals, der den jungen Filmemacher eindrücklich für größere Aufgaben empfahl. Für seinen zweiten Spielfilm „The Sense of an Ending“ hat der Regisseur nun nichts dem Zufall überlassen.

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