Another Year (2010)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das Glück der einen, das Unglück der anderen

Dass Mike Leigh nicht den nahezu bedingungslos heiteren Tonfall seines letzten Filmes Happy-Go-Lucky einschlägt, daran lässt bereits die erste Szene keinen Zweifel: Wir sehen eine verbittere ältere Frau (Imelda Staunton), die unter chronischer Schlaflosigkeit leidet und sich gleichzeitig weigert, gegenüber der behandelnden hochschwangeren Ärztin einzugestehen, dass sie etwas bedrückt. Dass dem aber so ist, erkennen wir überdeutlich an ihrem verkniffenen Gesicht, an der sichtbaren Beherrschung, die sie aufbringt, um ihr Elend und ihr Unglück nicht laut hinauszuschreien. Doch es ist nicht diese Patientin, deren Weg Mike Leigh verfolgt, sondern vor allem den ihrer Psychologin Gerri (Ruth Sheen) und ihres Mannes Tom (Jim Broadbent), der als Geologe arbeitet. Die beiden sind allem Anschein nach ein unverschämt glückliches Paar Anfang Sechzig, das sich voller Wärme und Zuneigung um die vielen kleinen Sorgen und Nöte ihrer zahlreichen Freunde kümmert. Sie sind eine Insel der Ruhe und Zufriedenheit in einem Ozean des Unglücks und der kleinen und großen Nöte.

Da ist beispielsweise die Sekretärin Mary (Leslie Manville), eine überdrehte Frau Anfang Vierzig, deren aufgeregte Plapperei und hastiges Hinunterstürzen etlicher Gläser Wein im Laufe des Films nur mühsam ihre Niedergeschlagenheit überdeckt, die vor allem von ihrer Einsamkeit herrührt. Sie hat eine Scheidung und eine Beziehung zu einem verheirateten älteren Mann hinter sich und versucht verzweifelt, doch noch den Richtigen zu finden. Und dafür schreckt sich nicht einmal davor zurück, Joe (Oliver Maltman), den rund zehn Jahren jüngeren Sohn von Gerri und Tom anzugraben, der ihre recht offensichtlichen Annäherungsversuche mit stoischer Gelassenheit gekonnt ins Leere laufen lässt. Bei Ken (Peter Wight), einem weiteren Bekannten aus dem Kreis um die Psychologin und den Geologen, hätte sie hingegen beste Chancen zu landen, doch der dickliche, kettenrauchende und etwas verlotterte Mann, der gerne mal T-Shirts mit dem Lebensmotto „Less thinking, more drinking“ trägt, ist dummerweise überhaupt nicht ihr Typ. Und so ist nun sie es, die seinen täppischen Flirts und seinen versuchten Umarmungen ausweicht. Dennoch verbindet die beiden mehr, als Mary sich eingestehen mag: Sieht man in ihre Gesichter und schaut sich ihre Verhaltensweisen an, ist deutlich zu spüren, wie sehr sie merken, dass die Zeit gegen sie läuft, dass sie vermutlich allein und unglücklich bleiben werden.

Joe hingegen, um dessen Liebesleben sich seine Eltern bereits Sorgen machen, findet doch noch irgendwann sein Glück, er begegnet der Ergotherapeutin Katie, die sich auf Anhieb bestens mit Gerri und Tom versteht und mit der möglicherweise das stille Lebensglück seiner Eltern wiederholen kann.

Unterteilt in die vier Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter schildert Mike Leigh in seinem zu Herzen gehenden Film Another Year mittels seiner allesamt herausragenden Darstellern und einer fein ausgewogenen Balance aus Tragik und Komik, lakonischem Zynismus und großer Empathie für seine Figuren die Brüchigkeit des Glücks, das beinahe ungerecht erscheinende Nebeneinander von Zufriedenheit und Verzweiflung, die drohende Einsamkeit und die Flucht in den Alkohol, die Unaufhaltsamkeit des Alterns und den nahenden Tod.

Wie schon bei Happy-Go-Lucky sind unsere Sympathien ganz auf der Seite der beiden Protagonisten, mit denen wir darum bangen, dass sich auf ihr Glück nicht der Schatten des Schicksals legen möge. Am Ende sehen wir Mary, schauen in ihr Gesicht und sehen, dass sie realisiert, dass sie das, was sie anstrebt (einfach nur ein kleines Stück vom Glück), wohl nie mehr erreichen wird. Es ist der berührende Schlusspunkt eines Films voller kluger und wahrer Beobachtungen über das Leben und darüber, wie verdammt abhängig wir davon sind geliebt zu werden. Oder eben nicht.
 

Another Year (2010)

Dass Mike Leigh nicht den nahezu bedingungslos heiteren Tonfall seines letzten Filmes „Happy-Go-Lucky“ einschlägt, daran lässt bereits die erste Szene keinen Zweifel: Wir sehen eine verbittere ältere Frau (Imelda Staunton), die unter chronischer Schlaflosigkeit leidet und die sich gleichzeitig weigert, gegenüber der behandelnden hochschwangeren Ärztin einzugestehen, dass sie etwas bedrückt.

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Meinungen

Elena · 11.08.2011

Tja, das mit der menschlichen Wärme stimmt leider nicht ganz. Die Schlussszene, wo Mary von Gerri zurückgewiesen wird und richtig von oben herab behandelt wird ist ein ernüchterndes Ende von zuckersüßen Film (nach meinem Geschmack viel zu süß). Da fragt man sich, ob Tom und Gerri sich um die Freunde nur kümmern, um sich gut und moralisch überlegen zu fühlen.

wignanek-hp · 27.06.2011

Wie kann man diesen Film als langweilig empfinden. Ich war bis zum Schluss gefesselt, wie Leigh die Geschichte zu Ende bringt. Die Schauspieler sind fantastisch. Angefangen bei dem Cameo-Auftritt der großartigen Imelda Staunton, die man fast nicht wiedererkennt als verhärmte Hausfrau bis hin zu der phänomenalen Lesley Manville. Ihre Mary geht unter die Haut. Der Film zeigt in großartiger Weise, wie unterschiedlich Menschen mit ihrem Schicksal umgehen, wie sie sich selbst die Wege verbauen, um glücklich zu werden, wie sie falsche Wege einschlagen, nicht mehr aus ihrem Irrgarten der Gefühle herauskommen. Er zeigt aber auch – zugegebenermaßen nicht gerade spektakulär und hollywoodreif – wie Menschen würdevoll miteinander leben und umgehen können. Nicht die große Suche führt oft zum Ziel. Vielleicht ist das Glück ja direkt hinter der nächsten Ecke. Ich muss nur lernen, es wahrzunehmen.

selteninskinogeher · 21.04.2011

dem ist nichts hinzufügen: langweilig, öde, belanglos.

alpse · 08.04.2011

langweilig, öde, belanglos.

Tom · 15.03.2011

Tut der Seele gut