Vera Drake (2004)

Aus dem Leben einer Engelmacherin

Im tristen und sichtlich vom Krieg gezeichneten London der frühen fünfziger Jahre spielt Mike Leighs neuester Film Vera Drake. Langsam nur kommt das normale Alltagsleben wieder in Gang, vor allem die armen Leute leiden unter der Misere und dem täglichen Überlebenskampf. Vera Drake (Imelda Staunton) ist eine von ihnen. Immer freundlich und meist bester Laune versorgt sie ihren Mann Stan (Phil Davis) und die beiden Kinder Sid (Daniel Mays) und Ethel (Alex Kelly), die noch zuhause leben, kümmert sich nebenbei um ihre kranke Mutter und erweist auch der Nachbarschaft so manchen Dienst. Was kaum jemand weiß: Die sanfte Dame Ende 40 ist eine Engelmacherin, die mit der gleichen Ruhe und Heiterkeit die Schwangerschaften junger Frauen beendet, wie sie den Hausputz bei den reichen Herrschaften der Upper Class erledigt.

Als Veras Tochter sich mit dem smarten Reg (Eddie Marsan) verlobt, ist das kleine Glück ihrer Mutter perfekt. Doch Vera hat einen Fehler gemacht, aufgrund einer unglücklichen Begegnung mit einer Bekannten aus früheren Tagen, deren Tochter sie hilft, fliegt ihre sorgsam gehütete Anonymität auf. Just am Abend der Verlobungsfeier steht die Polizei vor der Tür und verhaftet Vera Drake. Erst jetzt, nach vielen Jahren, erfährt ihr Mann Stan, was sie lange Zeit getan hat. Die Familie bricht in Folge von Veras Taten und ihrer folgenden Verurteilung auseinander und muss in der Zeit von Vera Drakes Haft ohne sie auskommen.

Es wäre so leicht gewesen, die Sympathien in diesem Sozialdrama klassischer britischer Prägung klar zu verteilen: Auf der einen Seite diese Frau aus der Unterschicht, die ihren Standesgenossinnen aus der Bredouille hilft, auf der anderen Seite die böse Upper Class und ihre Schergen der Polizei, die solcherlei Tun nicht duldet. Der Regisseur Mike Leigh, seit jeher den Befindlichkeiten der englischen Unter- und Mittelschicht besonders zugetan, vermeidet genau jene allzu offensichtliche Parteinahme: „Es ist nicht meine Sache, Vera Drake zu erklären. Die moralischen Fragen, die mein Film aufwerfen möchte, sind nicht einfach zu beantworten. Es liegt an uns allen, solchen Themen ohne Vorurteile entgegenzutreten und gleichzeitig den Blick für die Realität zu bewahren.“ Doch trotz aller Sympathien für die altruistischen Motive Vera Drakes weist Leigh auch auf die Gefahren ihren hygienisch sicherlich nicht immer ganz einwandfreien Eingriffe hin. Und genau das macht die Stärke seines Films und überhaupt aller seiner Filme aus – der genaue, kühle, fast sezierende Blick auf das, was eine Gesellschaft ausmacht: Menschlichkeit, Anteilnahme und die allgegenwärtige Möglichkeit des Scheiterns. Bewegendes Kino, das in Venedig zurecht mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde.

Vera Drake (2004)

Im tristen und sichtlich vom Krieg gezeichneten London der frühen fünfziger Jahre spielt Mike Leighs neuester Film Vera Drake.

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