Chatroom

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

In den Abgründen der Cyberwelt

Mit Ring. Das Original / Ringu (1998) und Dark Water / Honogurai mizu no soko kara (2001) – beide basieren auf einer Buchvorlage von Koji Suzuki — hat sich Hideo Nakata in den letzten Jahren als einer der Hoffnungsträger des subtilen Horrorfilms etabliert und damit die Latte für seine eigenen zukünftigen Werke entsprechend hoch gehängt. Dementsprechend gewaltig waren die Erwartungen, als Nakata im letzten Jahr bei den Filmfestspielen von Cannes seinen neuen Film Chatroom präsentierte. Der Meister des subtilen und minimalistisch in Szene gesetzten Horrors und die Abgründe des Internets – diese Kombination versprach einiges an Potenzial. Die ersten Reaktionen aber waren eher enttäuscht, und so schaffte es Chatroom zwar während des Fantasy Filmfestes auf die große Leinwand, verschwand aber danach von der Bildfläche und ist nun immerhin auf DVD erschienen.
Chatroom erzählt die Geschichte von fünf Jugendlichen aus London, die sich auf Initiative des durchtriebenen William (Aaron Johnson) in einem von ihm eingerichteten Chatroom mit dem Namen „Chelsea Teens!“ treffen. Auf den ersten Blick gleicht der virtuelle Raum einer Selbsthilfegruppe, in der sich Eva (Imogen Poots), Jim (Matthew Beard), Emily (Hannah Murray) und Mo (Daniel Kuluuya) mit William über ihre Sorgen, Nöte und Ängste austauschen und all das loswerden können, was sie sich in der realen Welt nicht zu sagen trauen. Was sie aber nicht ahnen: Williams Ziele sind keinesfalls altruistisch, der teuflische Bursche legt es vielmehr darauf an, sich die Fehler seiner virtuellen Freunde systematisch zunutze zu machen und sie zum Selbstmord zu verleiten. Dabei erweist sich vor allem der labile Jim als ideales Opfer für die raffinierten Manipulationen des ebenso charismatischen wie gestörten William, der im Chatroom ein ideales Ventil für seine aggressiven und autoaggressiven Tendenzen gefunden hat.

Inhaltlich präsentiert sich Chatroom trotz des schmissigen Slogans „Willkommen im anti-social network“ und aller 2.0-Hipness nicht ganz auf der Höhe der Zeit, denn nüchtern betrachtet besitzen Chatrooms seit dem Siegeszug des „social web“ nicht mehr die gleiche Bedeutung, wie dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Dennoch schreibt der Film in gewisser Weise die Medienkritik von Ring über den Einfluss der Medien auf unsere Welt, auf unser Denken und Fühlen fort. Mit dem Unterschied, dass sich Nakata dieses Mal nicht über die Wechselwirkungen des Filmischen auslässt, sondern auf die neuen Medien und vor allem auf die sozialen Netzwerke abzielt. Da passt es nur zu gut, dass man derzeit (vor allem in den Printmedien) immer wieder Horrorgeschichten über aus dem Ruder gelaufene Facebook-Partys, Cyber-Stalker, pädophile Newsgroups und Mobbing-Websiten wie isharegossip liest, die den Eindruck erwecken, das Internet sei vor allem ein Tummelplatz psychopathischer Freaks und polymorph Perverser. Wie die sensationslüsterne Berichterstattung vieler Medien über den Angstraum Internet vermischt auch Chatroom vieles, was bei genauer Kenntnis des Internets entweder schlichtweg übertrieben ist oder keinerlei Relevanz mehr besitzt. Aber hey, weil die populistische Keule zumindest potenziell bedrohlicher ist als die Realität des virtuellen Raumes, muss das Netz bei Nakata natürlich wie eine wahre Büchse der Pandora erscheinen – schon klar. Nur sollte man bitteschön dafür Sorge tragen, dass kein ums Wohl der Jugend besorgter Politiker den Film jemals zu Gesicht bekommt – er könnte womöglich auf der Suche nach Wahlkampfthemen das Ganze noch ernst nehmen.

Die merkwürdige Inkohärenz zwischen dem etwas antiquiert wirkenden Setting der Chatrooms und der gleichzeitigen Verankerung des Geschehens in der Gegenwart erklärt sich vor allem aus der Vorlage der Geschichte, die vom irischen Dramatiker Enda Walsh bereis im Jahre 2005 geschrieben wurde – in der rasanten Taktung des Internets sind das beinahe schon Jahrhunderte.

Wenn man diesen kleinen Bruch aber einmal beiseite lässt, besticht Chatroom von Anfang an vor allem durch die überaus gelungene Inszenierung virtueller Räume, die an heruntergekommene und unmöblierte Hotelzimmer erinnern. Zu dem Raum der „Chelsea Teens!“ gelangt man, wenn man durch einen langen, gespenstisch anmutenden Flur geht, von dem links und rechts die verschiedenen Chatrooms abzweigen. Fast nie sieht man die Teenager an ihren Computern sitzen, sie bewegen sich vielmehr körperlich durch die fiktiven Räume und sind dort beinahe mehr zuhause als in ihrer grauen Londoner Vorstadtwelt. Ebenfalls gelungen sind die raschen Wechsel zwischen realer und virtueller Welt – wie auf Mausklick switcht der Film hin und her und bekommt dadurch einen flotten Rhythmus, der den Zuschauer bei der Stange hält. Mitunter bricht eine der Szenen im Chatroom auch abrupt ab, weil einer der Jugendlichen aus Angst vor elterlichen Maßnahmen den Computer überhastet ausschaltet.

Allerdings können diese Pluspunkte nicht über einige dramaturgische Schwächen und Plattitüden hinwegtäuschen, die Chatroom dann doch zu einer Enttäuschung werden lassen. Statt wohligem Grusel bietet der Film vor allem platte Charaktere, von denen zudem ein Großteil mit der Zeit immer mehr in den Hintergrund gerät, und viel Gerede. Das sorgt dann auch dafür, dass Chatroom fast eine halbe Stunde braucht, um trotz seiner faszinierenden Grundidee endlich Fahrt aufzunehmen. Und selbst dann ist eigentlich sehr schnell klar, auf welchen Showdown der Plot zusteuert – überraschende Wendungen oder wirklich subtilen Horror sucht man hier vergebens.

All dies könnte man einem anderen Film aufgrund der ansprechenden Umsetzung zwar halbwegs verzeihen, für einen Horrormeister vom Schlage Hideo Nakatas ist Chatroom aber in seiner erzählerischen Konventionalität und Vorhersehbarkeit dann doch eines seiner schwächeren Werke. Als Reflektion über die Cyberwelt ist er schlichtweg eine Katastrophe und zudem bereits jetzt hoffnungslos veraltet.

Chatroom

Mit „Ring. Das Original“ / „Ringu“ (1998) und „Dark Water“ / „Honogurai mizu no soko kara“ (2001) – beide basieren auf einer Buchvorlage von Koji Suzuki — hat sich Hideo Nakata in den letzten Jahren als einer der Hoffnungsträger des subtilen Horrorfilms etabliert und damit die Latte für seine eigenen zukünftigen Werke entsprechend hoch gehängt. Dementsprechend gewaltig waren die Erwartungen, als Nakata im letzten Jahr bei den Filmfestspielen von Cannes seinen neuen Film „Chatroom“ präsentierte.
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