Runaway Girl

Eine Filmkritik von Stefan Dabrock

Boulevard der Ruinen

Auf der Suche nach dem Platz im Leben muss man immer seinen eigenen Weg gehen, und wenn das Elternhaus die Stabilität einer morschen Bretterbude besitzt, dann beginnt die Trennung auch mal früher als normal.
Schon das ungewöhnliche Geschenk einer Pistole, die Luli (Chloë Grace Moretz) in einer Bar bei der Feier zu ihrem 13. Geburtstag bekommt, deutet an, dass hier irgendetwas nicht so läuft, wie es für die Entwicklung des Mädchens gut wäre. Lulis Eltern Tammy (Juliette Lewis) und Nick (Anson Mount) sind dauerbetrunkener White-Trash mit Streitgarantie. Erleichterung findet das Mädchen nur, indem sie das eigene Leben in idealisierten Buntstiftzeichnungen dokumentiert und sich mit den Fantasiewelten ihrer Lieblingsfilme tröstet. Doch am Tag nach ihrem Geburtstag fasst sie den Entschluss, eigenmächtig nach Las Vegas zu trampen, wo laut Fernsehwerbung alles gut ist. Auf ihrem Weg trifft sie unter anderem den hinkenden Eddie (Eddie Redmayne), der mit Cowboyhut und -hemd eine verschrobene Figur macht, sowie die rotzig-derbe Glenda, die sich zwischen Koks und Kriminalität selbst verloren hat, Luli aber unter ihre Fittiche nimmt.

Keine Frage: Luli landet nach ihrer Flucht vor den eigenen Eltern nicht etwa in einer besseren Welt. Sie trifft Menschen, die auf gespenstische Weise innere Störungen als Ballast mit sich umhertragen. Aber Luli hat trotz kurzzeitiger Abhängigkeiten von diesen neuen Reisegefährten die Freiheit gewonnen, sich selbst zu orientieren. Die Chance auf eine stabilere Zukunft ist angesichts der Weite der amerikanischen Landschaft mit ihrem klassischen Versprechen neuer Möglichkeiten spürbar. Bob Dylans oft präsente Musik strahlt gleichermaßen Hoffnung und Melancholie aus, sie spiegelt deswegen auch die Zerrissenheit eines Teenagers wieder, der sich noch nicht gefunden hat.

Dazu passt die schon fast märchenhaft-düstere Abenteuerwelt, in die das Mädchen auf ihrer Reise eintritt. Eddie offenbart mit seiner Mischung aus linkisch-sanfter Verschrobenheit und soziopathischer Wut nicht nur ein gestörtes Verhältnis zu Frauen, seine schwarze Cowboykleidung hebt ihn ikonografisch heraus. Glendas grelle Haarfarbe, Schminke und Kleidung verleihen ihr ebenfalls eine herausstechende Optik, die angesichts der gedeckten Landschaftsfarben zu ihrem wundersamen Erscheinungsbild beitragen. Stabilität liefern sie nicht, sie zeigen Luli als Ruinen ihres Daseins stattdessen, was passieren kann, wenn man nicht rechtzeitig die Kurve bekommt. Das Mädchen muss mit dieser Konfrontation fertig werden, um sich weiterentwickeln zu können. Regisseur Derick Martini findet dafür starke Bilder zwischen Idylle und Grauen. Aus der Unterperspektive gefilmt wirkt eine mickrige Eisbude in der Einöde wie ein bedrohlicher Fremdkörper, aus dem man sich nicht mehr befreien kann, wenn man hineingerät. Ein schäbiges Holzhaus in der Landschaft, das Eddie mit Luli ansteuert, erweckt schreckliche Fantasien darüber zum Leben, was sich wohl dahinter abspielen wird. Felder und Wiesen liefern den friedlichen Kontrast dazu.

Daraus entwickelt Runaway Girl eine Spannung, die mit bedrohlicher Intensität schwelt, auch wenn es mal humorvoll zugeht. Ein reicher Provinzgeschäftsmann mit Einfluss in der nahen Kleinstadt sieht in seinem weißen Anzug mit auffälligem Hut zwar wie eine Karikatur aus, aber ein Wutausbruch zeigt, dass jede Situation schnell umschlagen kann. Der eigene Weg führt über Gefahren zu Chancen, aber die Einschätzung der jeweiligen Situation ist schwer. Diese fragile Unsicherheit durchweht das Drama auf faszinierende Weise.

Runaway Girl

Auf der Suche nach dem Platz im Leben muss man immer seinen eigenen Weg gehen, und wenn das Elternhaus die Stabilität einer morschen Bretterbude besitzt, dann beginnt die Trennung auch mal früher als normal.
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