Renn, wenn Du kannst (2010)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Eine schöne Utopie

Wenn das einzige Exemplar einer gerade fertigen Magisterarbeit aus dem Fenster fliegt, dann ist das normalerweise eine Katastrophe. Nicht so in Renn, wenn du kannst, einem heiteren Debütfilm über ein ernstes Thema. Hier verbreiten die flatternden Blätter eine zauberhafte Stimmung, ähnlich wie der erste Schnee in einer romantischen Winternacht.

Aber nicht das Studium oder sein gefährdeter Abschluss ist das Thema, auch wenn Robert Gwisdek aus 13 Semester (Momos Kumpel Dirk) den Protagonisten Ben spielt. Ben hat nämlich ganz andere Probleme als die mit der Uni. Er sitzt seit einem Unfall vor sieben Jahren im Rollstuhl. Dieser Schicksalsschlag hat aus dem jungen Mann einen zynischen Tyrannen gemacht. Ben nimmt nichts und niemanden ernst. Ständig schikaniert er seinen Zivi und gibt sarkastische Kommentare von sich, bei denen man nie weiß, ob sie nun ernst gemeint sind oder nicht. Obwohl der Student im Rollstuhl bei den einfachsten körperlichen Bedürfnissen auf Hilfe angewiesen ist, tut er so, als brauche er niemanden. Seine Sehnsucht verrät er nur, indem er seit zwei Jahren jeden Tag die schöne Annika (Anna Brüggemann) durchs Fernrohr betrachtet.

Die Geschichte könnte also ein Sozialdrama über Behinderte und ihre Probleme sein. Ist sie aber nicht, zumindest nicht nur. Regisseur Dietrich Brüggemann (Bruder von Anna Brüggemann, die auch am Drehbuch mitschrieb) schlägt in seinem ersten abendfüllenden Spielfilm einen wunderbar respektlosen, komödiantischen Ton an. Hier geht es nicht in erster Linie um Mitleid. Ganz im Gegenteil. Rollstuhlfahrer Ben ist mit seinen teils menschenverachtenden Sprüchen zunächst alles andere als ein Sympathieträger. Dass hinter der aggressiven Schale aber ein interessanter Kern steckt, wird spätestens klar, als Annika Bens Zivi Christian (Jacob Matschenz) kennen lernt. Und über Christian natürlich auch Ben selbst, für den sie bald ebenso zärtliche Gefühle entwickelt wie für dessen Zivi.

Zu den schönsten Szenen des Films gehören diejenigen, die die Dreieckgeschichte in der Schwebe halten. Gemeinsam geht das Trio auf Achse, spinnt verrückte Geschichten aus und kutschiert in einem imposanten Amischlitten durch die Gegend, der fast so etwas wie eine weitere Hauptrolle übernimmt. Der Wagen wurde behindertengerecht umgebaut und verleiht Ben eine Bewegungsfreiheit, die ihn sein Rollstuhldasein für kurze Momente vergessen lässt. Alles scheint möglich in diesem komödiantisch unterfütterten Drama, nicht nur für Ben, sondern auch für Annika und Christian, deren Leben ebenfalls in der Sackgasse steckt.

Allerdings hat sich Dietrich Brüggemann offenbar vorgenommen, die Menage à trois auf eine schon oft erzählte Art voranzutreiben. Annika zerstört also das schöne Gleichgewicht, indem sie erst mit dem einen und dann mit dem anderen intim wird. Dabei geht streckenweise das locker-flockig gewebte Geflecht von witzigen Fluchten und Behinderten-Tragik verloren. Der Film kippt dann manchmal recht unvermittelt von einem Extrem ins andere.

Aber diese kleinen Schwächephasen schmälern in keiner Weise die überragende schauspielerische Leistung von Robert Gwisdek und die zum Teil genialen Sprüche, die ihm das Drehbuch in den Mund legt. Der Sohn von Corinna Harfouch und Michael Gwisdek gestaltet seine Figur so komplex, dass allein die Charakterzeichnung für Spannung sorgt. Dieser Ben ist draufgängerisch und verletzlich, frech und empfindsam. Und das alles in einer Mischung, die man in keiner Sekunde vorhersehen kann. Das bewahrt den Zuschauer vor den Berührungsängsten, die man im realen Leben vor Rollstuhl-Schicksalen haben mag. Mitleid ist in diesem Film nicht angebracht. Denn er erzählt wie selbstverständlich von der Utopie, auch als Behinderter ein ganz normaler Mensch sein zu dürfen.
 

Renn, wenn Du kannst (2010)

Wenn das einzige Exemplar einer gerade fertigen Magisterarbeit aus dem Fenster fliegt, dann ist das normalerweise eine Katastrophe. Nicht so in „Renn, wenn du kannst“, einem heiteren Debütfilm über ein ernstes Thema. Hier verbreiten die flatternden Blätter eine zauberhafte Stimmung, ähnlich wie der erste Schnee in einer romantischen Winternacht.

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Meinungen

Mütze · 15.08.2010

echt "-orno"! Gute Charaktere, Darsteller und Dialoge.
Schön und humorvoll umgesetzte Szenen, klasse Ausstattung und Requisite; passende gute Musik. Wie gesagt "-orno", nur manche Anschlussfehler sieht man eben auf der Leinwand noch stärker. Das ist schade.

Patrick · 31.07.2010

Nach einer halben Stunde das Kino verlassen. Miese Schauspieler, hölzerne Dialoge, dümmliche Slapstickeinlagen, völlig unglaubwürdige Szenen, alles schon mal da gewesen, und völlig rätselhaft, wie der Film an die guten Bewertungen kam.

f. aus DA · 22.07.2010

hab den film auch gerade in der sneak preview gesehen und muss auch sagen super film! :)
allerdings nur für leute geeignet die auch anspruchsvolles kino wollen, bzw. solche die auch verstehen worum es dabei geht oder zumindest auch mal zum nachdenken angeregt werden wollen!

Alex · 19.07.2010

Der Film toppt alles. 7 von 6 möglichen Sternen. Gerade in der Sneak Preview gesehen. Wann kann ich die DVD ordern?

Claudia · 15.07.2010

ui war schon lange nicht mehr im Kino, wär mal wieder nen Grund hinzugehen

Lisaa · 08.07.2010

Der film ist eh das geilste !! Anna und Dietrich habt ihr echt klasse gemacht, echt schade das ich nicht von Anfang an dabei war :(

zammeleika · 01.07.2010

Spielt in dem Film Arne Gottschling mit ?

Stefanie · 28.06.2010

Der Film ist absolut mitreißend - perfektes Sommerkino! Hatte die Möglichkeit, ihn auf der Berlinale zu sehen; ihr solltet ihn euch auch nicht entgehen lassen!

anna · 22.06.2010

auf jeden fall sehenswert!