Kreuzweg (2014)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Leben in 14 Stationen

Maria (Lea van Acken) würde gerne der Welt entsagen und sich aufopfern für ihren kleinen Bruder, der einfach nicht sprechen will. So hat sie es gelernt, so bekommt sie es immer wieder zu hören in den Geschichten in der Kirche, so hat sie es verinnerlicht. Sie und ihre Eltern, die irgendwo im Schwäbischen leben, gehören einer katholischen Glaubensgemeinschaft an, die es besonders streng nimmt mit der Frömmigkeit: Das 2. Vaticanum? Ein Sündenfall. Soul und Gospel? Teufelswerk. Moderne Popmusik? Sowieso. Von den anderen Versuchungen der modernen Welt, denen Maria ausgesetzt ist, ganz zu schweigen.

Weil nun die Härte dieser besonderen Form des fundamental-katholischen Glaubens auf eine besondere Konstellation und überdies auf die Verwirrungen der Pubertät treffen, setzt sich eine Mechanik in Gange, die bald schon nicht mehr aufzuhalten ist. Lea hat beschlossen, sich aufzuopfern — und sie geht ihren ganz persönlichen Kreuzweg bis zum bitteren Ende.Und das obwohl es durchaus auf ihrem Marsch durch die Stationen Möglichkeiten gäbe, eine Abzweigung zu nehmen, sich anders zu entscheiden, vielleicht doch das Leben zu wählen.

Nach der hinreißend leichten WG-Komödie 3 Zimmer / Küche / Bad hat Dietrich Brüggemann mit seinem neuen Film einen Inhalt und Form ungewöhnlichen Fokus gewählt — wobei er letzteren schon einmal in seinem Erstling 9 Szenen erprobte. In Kreuzweg bilden die nach den Stationen des Leidensweges Christi die Kapitelstruktur, die in Plansequenz (fast) ohne Kamerabewegung als bewegte Tableaus inszeniert werden. Die Wahl der strengen Form ist insofern logisch und folgerichtig, weil sie den Blick auf das, was gezeigt wird ebenso verengt wie dies bei der Glaubensgemeinschaft der Fall ist. Die Plansequenzen wirken wie ein Vergrößerungsglas, das die Umwelt, die sowieso nur voller Versuchungen steckt gnadenlos ausschließt. Die Welt Marias ist eng und klein und würde sich am liebsten ganz auf sich selbst konzentrieren — und genau das geben die Szenen auch wieder.

Besonders eindrucksvoll ist das beim ersten Kapitel gelungen, wo eine Gruppe von Firmlingen von Pater Weber (Florian Stetter) auf die Erneuerung ihres Glaubens vorbereitet und instruiert wird. Entsagung und das Eintreten für den Glauben in einer Welt, die voller Anfeindungen steckt, so bläut es ihnen der Priester ein, sind der einzig mögliche Lebensweg — und man merkt schon in dieser ersten Szene, dass es Maria damit besonders ernst nimmt. Auch die Sequenz in der Schulbibilothek mit ihrem Spiel der verschiedenen Bildebenen gehört zu den Kapiteln, die gut funktionieren — ebenso wie das Kapitel in der Turnhalle oder die eindrucksvolle Sequenz bei einem Arzt, der die Missstände, unter denen Maria leidet, deutlich beim Namen nennt.

Andere Stationen des Kreuzweges wie beispielsweise das zweite Kapitel hingegen sind irritierend, weil in ihnen die Beschränkungen und Schwächen des Konzepts sichtbar werden. Auf unfreiwillige Weise ergänzen sich hier Inhalt und Form: Die rigide Lebenswelt Marias stößt ebenso wie Brüggemanns künstlerische Form an ihre Grenzen, wird deutlich sichtbar als aufoktroyiert, starr, künstlich am Leben erhalten — aber vielleicht war ja genau das auch die Absicht des Regisseurs, selbst wenn es im Kern die Möglichkeit des Scheiterns in das Herz des Films hineinpflanzen würde.

Die Ursachen für das Geschehen liegen freilich nicht allein im Glauben, auch wenn dieser die Wurzel des Übels ist. Dass Maria ihren Weg wählt und mit grausamer Konsequenz zu Ende geht, liegt auch an der besonderen Familienstruktur, die wiederum durch die Rigidität der Religionsausübung befördert wird. Marias Mutter (Franziska Weisz) ist eine harte und lieblose Frau, die die Prinzipien des Glaubens über die Liebe zu ihrer Tochter stellt, die die paranoide Sichtweise des Teufels, der überall steckt, derart verinnerlicht hat, dass sie gar nicht merkt, wie sehr sie ihre Tochter aus dem Leben herausdrängt. Hinzu kommt ein überwiegend schweigender Vater, ein kranker Bruder, der alle Fürsorge auf sich zieht, ein schulisches Umfeld, in dem das Mädchen wegen ihrer Haltung verlacht und verspottet wird. Auch wenn der Film von einem speziellen Fall erzählt, sind die Mechanismen der Ausgrenzung, der seelischen Misshandlung, des Mobbings und der fatalen Entscheidungen, die aus diesen Komponenten heraus entstehen, dennoch universell und auf andere Konstellationen übertragbar.

Allerdings hat das Konzept auch Schwächen — und das liegt weniger daran, dass Brüggemann seine selbst auferlegte Askese in drei Szenen durchbricht, wenn sich die Kamera in Bewegung setzt. Vielmehr treten durch die langen Einstellungen ohne Schnitt die Schauspieler mehr in den Vordergrund vor allem in der zweiten Station im Bezug auf die Mutter ein wenig problematisch.

Es ist nicht allein die Strenge der Inszenierung, die einen entfernt an Ulrich Seidl denken lässt, sondern auch ein vor allem am Anfang fast schon satirischer Blick auf die Lebenswelt der Religionsgemeinschaft. Dann aber entscheidet sich Brüggemann für eine eher mitfühlende Sichtweise auf seine Protagonistin und vertraut darauf, dass sich die Fehler im Glaubenssystem von selbst zeigen. Dazu sind aber dramaturgische Kunstgriffe nötig (hier ist vor allem das Wunder zu nennen, das Marias kleinem Bruder widerfährt), die der schonungslosen Demaskierung eines absolutistischen Glaubensgebäudes unerwartet eine Möglichkeit weisen, sich selbst am Leben zu erhalten. Man mag dies als Fehler des Regisseurs ansehen, als Inkonsequenz — gut möglich, dass aber genau dies in der Intention des Filmemachers liegt: Zu zeigen, dass dem Fundamentalismus gleich welcher Couleur nicht so einfach beizukommen ist.
 

Kreuzweg (2014)

Maria (Lea van Acken) würde gerne der Welt entsagen und sich aufopfern für ihren kleinen Bruder, der einfach nicht sprechen will. So hat sie es gelernt, so bekommt sie es immer wieder zu hören in den Geschichten in der Kirche, so hat sie es verinnerlicht. Sie und ihre Eltern, die irgendwo im Schwäbischen leben, gehören einer katholischen Glaubensgemeinschaft an, die es besonders streng nimmt mit der Frömmigkeit.

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Meinungen

Ishmael Pott · 20.03.2014

Diese Filmkritik ist - wie die meisten Artikel auf diesem Portal - viel zu lang und wenig zielführend. Am Ende dieses Textes zu "Kreuzweg" war ich so irritiert und desorientiert, dass mir die Lust auf den Film beinahe verleidet war. Man merkt dem Beitrag in jedem Moment an, dass er - Pardon! - nicht von einem professionellen Kritiker stammt. Dem Autor fehlt das journalistische Rüstzeug. Nicht dass er nicht kenntnisreich wäre, ihm gelingt es aber nicht, einen klar strukturierten Artikel zu bauen, der dem Film gerecht wird. Die Handlung des Films kann man anhand dieses Textes nur erahnen. Einen Spannungsaufbau gibt es nicht, weshalb ich versucht war, im zweiten Absatz bereits wieder auszusteigen. Den gesamten Artikel zu lesen, ist ermüdend, da der Autor ständig - für den Leser nicht nachvollziehbar - zwischen seinen Gedanken und Eindrücken hin und her springt. Auch bleibt seine Kernaussage nebulös. Schade, dass der Text nicht redigiert wurde, unter Umständen hätte man ihn retten können.

R. Kopp · 09.03.2014

Der Film ist Satire, Karikatur oder ähnliches. Sicher keine Dokumentation.