Log Line

Messy life, messy movie: Olmo Schnabel wirft uns in „Pet Shop Days“ ins Durcheinander des Erwachsenwerdens in New York City.

Pet Shop Days (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Another Scene, another Drama!

Manche Filme faszinieren durch ihre feine Erzählstruktur und ihre Präzision in der Darstellung. Andere wiederum sind rau und wild, eckig und kantig, vielleicht etwas unausgegoren, aber keinesfalls um ungestüme Gesten verlegen, um aus dem Unfertigen, dem Unebenen beherzt eine Stärke zu machen. „Pet Shop Days“, das Regiedebüt von Olmo Schnabel, fällt zweifelsohne in die zweite Kategorie – was durchaus angemessen ist, da eine Geschichte über Menschen, die sich selbst noch nicht als ausgereift begreifen und sich auch ganz gewiss nicht so verhalten, wohl nur in dieser (Un-)Form glaubhaft geschildert werden kann.

Gleich am Anfang bricht das Chaos aus. Alejandro (Dario Yazbek Bernal) hat miese Laune bei der Geburtstagsparty seines Vaters (Jordi Mollà), der ein mächtiger mexikanischer Gangsterboss ist. Auf einen heftigen Streit folgt ein tragischer Unfall – und zack, schon sind wir in New York City, wo der rastlose Rich Boy in teuren Hotelzimmern untertaucht. Der eigentliche Protagonist ist jedoch Jack (Jack Irv), der ebenfalls einige Daddy Issues mit sich herumschleppt und in der titelgebenden Tierhandlung arbeitet. Bald begegnen sich die beiden jungen Männer. Ist es Freundschaft, Liebe, eine toxische Beziehung? Vermutlich von allem ein bisschen.

Ja, dieser Film ist hoffnungslos überladen. Jacks Mutter (Emmanuelle Seigner) ist heimlich schwer krank, Jacks Vater (Willem Dafoe) hat eine Affäre mit der halb so alten Nachhilfelehrerin (Camille Rowe) von Jacks Schwester (Grace Brennan). Alejandro trägt derweil Schuld am Schicksal seiner Mutter (Maribel Verdú) und wird von einem Handlanger seines Vaters verfolgt. Und das ist nur die Ausgangslage für all die bösen Spiele, in die der introvertierte Jack durch den impulsiven Alejandro hineingezogen wird. Ständig klappert und klirrt, scheppert und kracht es; kein Stein bleibt auf dem anderen. Pet Shop Days ist ein Katastrophenfilm der Gefühle: Fassaden fliegen spektakulär davon, emotionale Vulkane brechen bedrohlich aus, herbe Verluste müssen schmerzhaft hingenommen werden.

Das alles könnte sich nun auf dem Niveau einer Telenovela bewegen, wird von Olmo Schnabel, dem Sohn des Malers und Regisseurs Julian Schnabel (Schmetterling und Taucherglocke), indes mit einer so enormen Tatkraft in ruppiges Indie-Kino verwandelt, als seien wir direkt in die beginnenden 1990er Jahre zurückgeworfen worden, als die bewusst unmoralischen, oft richtig fiesen Anti-Held:innen des New Queer Cinema überhaupt kein Interesse daran zeigten, von irgendwem gemocht zu werden. Alejandro und Jack erinnern an das Duo aus Gus Van Sants My Own Private Idaho (1991) und an die flüchtenden Liebenden aus Gregg Arakis The Living End (1992).

Die hyperaktiven 16mm-Aufnahmen des Kameramanns Hunter Zimny drücken immer ein Bedürfnis danach aus, möglichst alles erfassen zu wollen, was die Innen- und Außenräume hergeben. Jacks mit zahllosen Postern und Bildern zugeklebtes Jugendzimmer und das absurd überfüllte Zoofachgeschäft, die Clubs und Bars, das Leben im Untergrund und auf den Dächern – überall gibt es so verdammt viel zu entdecken, wer soll denn da bitte schön ruhig bleiben?

Das Skript, das Schnabel zusammen mit Galen Core und seinem Hauptdarsteller Jack Irv geschrieben hat, jongliert lässig mit Floskeln. „You like movies?“, fragt Alejandro. Jack bejaht die Frage – und Alejandro stimmt zu. Sollen doch andere Film-Teens tiefgründige Gespräche führen und clevere Popkulturverweise raushauen. Da haben sich Alejandro und Jack lieber schon drei weitere Umdrehungen geleistet. Der erste gemeinsame Kuss, der erste gemeinsame Sex, das erste gemeinsam verübte Verbrechen – check, check, check.

Dario Yazbek Bernal, der Halbbruder von Gael García Bernal (Y Tu Mamá También), verkörpert Alejandro permanent am Limit. Er stehe auf „boys, girls, whatever“, meint Alejandro an einer Stelle – und egal, wie dreist und unromantisch er sich gibt, glaubt Jack zunächst dennoch, die große Liebe in ihm gefunden zu haben. Jacks Eltern rätseln wiederum, ob ihr Sohn „depressiv oder einfach faul“ sei, weil er überhaupt nichts aus seinem Leben mache. Mit Alejandro fegt ein Sturm durch Jacks Dasein, der verheerende Verwüstungen hinterlässt. Aber wie das so ist am Ende einer Katastrophe: Die Trümmer werden aufgesammelt – und eventuell entsteht ja etwas Neues.

Gesehen bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig.

Pet Shop Days (2023)

„Pet Shop Boys“ erzählt die Geschichte von Alejandro (Bernal), dem schwarzen Schaf seiner Familie, und Jack (Irv), der in einer Tierhandlung arbeitet. Die beiden beginnen eine stürmische Beziehung, die sie in so manche Lasterhöhle führt. (Quelle. Blickpunktfilm)

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen