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Ein Holocaust-Überlebender bekommt einen neuen Nachbarn. Und das ist ausgerechnet Adolf Hitler. In dieser Satire geht es um Themen wie Rache, Verbitterung und Freundschaft. Dazwischen ist ein Zaun. 

My Neighbor Adolf (2022)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Der Mann hinter dem Zaun

Seine Nachbarn kann man sich selten aussuchen. Man muss Glück haben, und wenn man Pech hat, können sie einem das Leben zur Hölle machen. Es ist 1960 irgendwo in Südamerika: Herr Polsky (David Hayman) hatte lange seine Ruhe, doch dann zieht im Haus neben ihm Herr Herzog (Udo Kier) ein, ein Deutscher. Auf Deutsche ist der polnische Jude und Holocaust-Überlebende sowieso nicht gut zu sprechen. Dieser ist zudem noch laut, hat einen Hund, der durch den Zaun in Polskys Garten schlüpft, dort seine Exkremente hinterlässt und seinen geliebten Busch schwarzer Rosen verwüstet. Polsky verlangt, dass der Zaun repariert wird. Dabei fällt auf, dass die Grundstücksgrenze eigentlich anders verläuft, und die Rosen werden Polskys Nachbarn zugeteilt.

Es vergeht nur kurze Zeit, bis in Leon Prudovskys Satire My Neighbor Adolf zwischen den Nachbarn, wortwörtlich, die erste einer ganze Reihe von Streitereien vom Zaun bricht. Es kann passieren, dass sich Kleinigkeiten zu riesigen Fehden hochschaukeln. Auch Polsky ergreift eine Spirale der Wut, die unweigerlich auf ihren Höhepunkt zuläuft. Sein Nachbar soll nämlich niemand anderes als Adolf Hitler sein — und Polsky ist fest entschlossen, auch im Namen seiner von den Nazis ermordeten Familie, den Mann, dessen teuflischem Blick er glaubt, schon bei einer Schachmeisterschaft in Warschau begegnet zu sein, zu enttarnen und ihm den Prozess machen zu lassen. 

Mit dieser Geschichte vollzieht der israelische Regisseur mit russischen Wurzeln einen gewissen Drahtseilakt. Humor ist zu einem großen Teil immer auch Geschmackssache, und grundsätzlich sollte es keine Themen geben, die man nicht mit Ironie angehen kann. Die Frage ist daher nicht in erster Linie, ob der Spaß beim Thema Holocaust aufhört, das muss jeder für sich entscheiden. Prudovsky ist im komischen Fach zu Hause, und auch mit diesem Film schöpft er alle Mittel der schwarzen Komödie aus. 

My Neighbor Adolf ist nicht in gleichem Maße fragwürdig unentschlossen wie zuletzt der Rachethriller Plan A von den israelischen Brüdern Yoaz Paz und Doron Paz, in dem eine Gruppe von Holocaust-Überlebenden das Grundwasser vergiften und sich damit an den Deutschen rächen will, oder Der Passfälscher von Maggie Peren, das Porträt eines Schelms mit Wohlfühlfaktor. Doch auch wenn man die Überspitzung als legitimes Mittel der Satire anerkennt, hebt sich die eindimensionale Charakterzeichnung bei Prudovsky kaum von der anderer Werke ab, die zwar ernsthaft, aber genauso didaktisch mit dem Thema umgehen.

Was daran besonders schade ist, ist, dass das Drehbuch durchaus mit anrührenden oder offen komischen Szenen aufwartet. Zu den ersten gehören Polskys Sorge um seine Rosen und seine Bemühungen, sie über den Zaun hinweg zu pflegen, zu den zweiten beispielsweise die Versuche Polskys, Charakter, Gewohnheiten und Malstil des Nachbarn mit denen Hitlers abzugleichen. Man könnte sagen, dass die Mehrheit der Motive auch ohne Holocaust-Bezug funktioniert hätte. Auch wenn recht linear erzählt, handelt es sich um eine an sich universelle Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei einsamen Männern, die entdecken, dass sie mehr gemeinsam haben, als sie im ersten Moment glauben. 

Getragen wird der Film, der offensichtlich mit reduzierten Mitteln und wohl in großen Teilen im Studio entstanden sein muss, was sich in seiner Kulissenhaftigkeit widerspiegelt, von den beiden Hauptdarstellern. Den vermeintlichen Polen spielt David Hayman, ein britischer Schauspieler. So richtig überzeugen will sein für die Rolle angelegter slawischer Akzent im Englischen, das als Filmsprache genutzt wird, nicht. Vermutlich klingt es durchaus authentisch, aber das Parodistische daran stößt seltsam auf. Eine Tendenz ins Klamaukige hat die Geschichte sowieso. An einigen Stellen hätte weniger mehr sein können. 

Sein Gegenpart ist niemand anderes als Udo Kier. Er hat sich schon mehr als einmal als Pseudo-Hitler profiliert. Und auch hier macht er seine Sache gut. Den Grad an Bissigkeit und Genialität wie im Kurzfilm von Graham Rose, Mrs. Meitlemeihr (2002), erreicht er allerdings nicht mehr. Müde ist Kier dieser Rolle offenbar nicht, die er bereits in Christoph Schlingensiefs 100 Jahre Adolf Hitler – Die letzten Stunden im Führungsbunker (1989) gespielt hat und in mehreren aktuellen Produktionen wie Iron Sky und Iron Sky 2 oder der Serie Hunters übernimmt. 

My Neighbor Adolf ist also aus verschiedenen Gründen kein überdurchschnittlich gelungener Film, weder in Bezug auf die Originalität des dramaturgischen Motivs noch auf formaler Ebene. Er bedient sich weitgehend einer konventionellen Ästhetik, die von einer gemäßigt bewegten Kamera und einer Farbpalette aus satten Grau- und Brauntönen geprägt ist. Dazu kommt die suggestive Musik, die einen auf die verschiedenen Spannungsmomente vorbereitet, und ein schneller Schnitt, der für eine angenehme Zugkraft und Kurzweiligkeit sorgt.

Abgesehen von der offensichtlichen Themenwahl hätte man sich eine etwas trockenere Inszenierung gewünscht, die den an sich fähigen Darstellern subtilere Charakterkomik erlaubt hätte. Dennoch wirft My Neighbor Adolf einige wichtige Fragen auf, die an Relevanz nicht verlieren und deswegen aufgegriffen werden müssen. Eine davon betrifft die, wie man mit einem Feindbild umgeht. Dass man ausgerechnet die Figur von Adolf Hitler, eines der wohl berechtigtsten Feindbilder überhaupt, für die Argumentation nutzt, ist gewagt.

My Neighbor Adolf (2022)

Die Handlung spielt im Kolumbien der 1960er-Jahre. Der Holocaust-Überlebende Polsky (David Hayman) verdächtigt seinen Nachbarn (Udo Kier), Adolf Hitler zu sein. Um dessen wahre Identität zu überprüfen, gibt er vor, sich mit dem Nachbarn anzufreunden.

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