Bent (1997)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Von den Straßen Berlins in die Hölle Dachaus

Während Mick Jagger (Greta/George) als Diva ausstaffiert auf einer Schaukel das melancholische Liedchen „Streets of Berlin“ intoniert, verlustieren sich einige der überwiegend männlichen Gäste einer Berliner Szene-Bar mit schamlos-exaltiertem, offensichtlich vergnüglichem Gefummel und Geknutsche. In der kultivierten Kulisse künstlerischer Darbietungen im Feuerschein treibt sich auch der attraktive Max (Clive Owen) herum, der bald darauf mit einem Soldaten in ein erotisches Gefecht gerät. Dieses mondän anmutende Szenario bildet den Auftakt des exzentrischen, provokanten Dramas Bent von Sean Mathias, dessen Geschichte im Jahre 1934 zur Zeit der Ermordung des SA-Stabschefs Ernst Röhm mit massiven Verfolgungen Homosexueller beginnt. So stark stilisiert, wie der Film beginnt, setzt er sich auch in seiner theatralischen Inszenierung fort, die zunehmend den Charakter eines Bühnenstückes annimmt.

Den Film bei Vimeo schauen:

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von Vimeo präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Dass Max seine Eroberung in jener zauberhaften Nacht mit nach Hause nimmt, wird ihm und seinem Liebsten Rudi (Brian Webber) zum Verhängnis, als Nazi-Schergen in ihre Wohnung stürmen und den Gesuchten brutal eliminieren. Zwar gelingt ihnen die Flucht, doch bald darauf werden sie in ihrem Nachtlager im Wald aufgespürt und in den Zug nach Dachau gesperrt. Auf der Fahrt ins Konzentrationslager wird Rudi unter der erzwungenen Beteiligung von Max grausam ermordet, der beschlossen hat, um jeden Preis zu überleben und selbst den perversesten Befehlen der Nazis folgt. Im Zug befindet sich auch der homosexuelle Häftling Horst (Lothaire Bluteau), der Max beschwört, seinen unbedingten Lebenswillen zur Maxime zu erheben, und es sind diese tragischen Figuren, die später im Schreckenslager von Dachau eine tiefe, tragende Liebe zueinander entwickeln werden, die selbst den Überlebensgrundsatz erschüttern wird.

Je weiter die Handlung des Films nach dem Drehbuch von Martin Sherman auf der Grundlage seines gleichnamigen Theaterstückes von 1979 fortschreitet, desto stärker steigert sich Bent zu einem intensiven Kammerspiel der beiden Männer. Innerhalb der täglichen Mühsal einer sinnlosen Arbeit, zu der sie eingeteilt sind, schaffen sich Horst und Max ein abgeschottetes Universum einer heimlichen Liebesaffäre, die sie unter ständiger Aufsicht der Wärter nur mit der Kraft ihrer Gedanken und Worte erleben können – Horst mit dem Rosa Winkel stigmatisiert und Max mit dem Gelben Stern, der sich aus Furcht vor noch härteren Repressalien als Jude ausgibt.

Von der Darstellung einer geradezu paradiesisch anmutenden Schwulen-Szene im Berlin der frühen 1930er Jahre bis hin zu orgiastischen erotischen Flüstereien im Konzentrationslager Dachau fokussiert Bent auf beklemmende Weise die Aspekte von Sexualität, Liebe und damit auch Widerstand innerhalb der inhumanen, pervertierenden Welt des Nationalsozialismus. Der Film wurde unter anderem bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes ausgezeichnet, wo er außer Konkurrenz seine Premiere feierte und mit seinen schockierenden Bildern und Dialogen einiges Aufsehen erregte. Die Herkunft des Stoffes aus dem Theater, wo das Stück von Martin Sherman erneut im Frühjahr letzten Jahres erfolgreich lief, spiegelt sich deutlich innerhalb der Dramaturgie des Films wider, der dadurch mitunter recht fragmentarisch erscheint. Das unvorstellbare Grauen der Protagonisten äußert sich in der traumatischen Wiederholung von verbalen Formeln ebenso wie in ihrem verzweifelten Bemühen, durch verschwörerische Erregungen ihre Humanität zu behaupten und die unsägliche Hölle zu kompensieren.

Diese Komponente der Möglichkeit einer inneren Freiheit durch das geheime Zelebrieren zutiefst menschlicher Bedürfnisse angesichts der totalitären Schreckensherrschaft ist es, die Bent gleichermaßen verstörend wie anrührend wirken lässt, zumal das Thema sexueller Aktivitäten innerhalb des Szenarios eines Konzentrationslagers eine geradezu unerhörte Brisanz erreicht. Die atmosphärische Filmmusik des US-amerikanischen Musikers und Komponisten Philip Glass begleitet mit eindringlicher Schwermut das bis ins Absurde zugespitze Geschehen von den Straßen Berlins bis in die untentrinnbaren Abgründe von Dachau, denen sich zwei Männer durch ihre gemeinsamen erotischen Phantasien für die Weile von ebenso heißen wie triumphalen Augenblicken zu entziehen vermögen.
 

Bent (1997)

Während Mick Jagger (Greta/George) als Diva ausstaffiert auf einer Schaukel das melancholische Liedchen „Streets of Berlin“ intoniert, verlustieren sich einige der überwiegend männlichen Gäste einer Berliner Szene-Bar mit schamlos-exaltiertem, offensichtlich vergnüglichem Gefummel und Geknutsche.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen