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Von all seinen Romanen zählt „Lisey’s Story“ zu Stephen Kings Favoriten. Regisseur Pablo Larraín hat für den Streamingdienst Apple TV+ eine Serie daraus gemacht. King ist als Produzent und Drehbuchautor beteiligt. Der Teufel steckt in den Details.

Lisey's Story (Miniserie, 2021)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Das merkwürdige Plätzchen

Stephen King ist einer der meistverkauften Autoren der Gegenwart und selbst mit bald 74 Jahren kein bisschen müde. Der König der Horrorliteratur dürfte zudem einer der meistadaptierten zeitgenössischen Schriftsteller sein. Was abendfüllende Spielfilme anbelangt, herrschte zwischen Mitte der 2000er- bis Mitte der 2010er-Jahre ein wenig Flaute. Durch das Aufkommen der Streaminganbieter nahmen die Adaptionen aber wieder ordentlich Fahrt auf. Das Kino und die Heimkino-Konkurrenz befruchten sich gegenseitig. Während Filmemacher Kings Vorlagen schon mal auf zwei Teile strecken, stehen den Serienmachern theoretisch mehrere Staffeln zur Verfügung. Vielleicht ist das Serienformat für einen notorischen (Zu)Vielschreiber wie Stephen King sowieso das geeignetere.

Überhaupt noch etwas aus dessen umfangreichem Werk zu finden, das noch nicht adaptiert worden ist, gestaltet sich da schon schwieriger. Romane wie Carrie (1974), The Stand (1978/1990), Friedhof der Kuscheltiere (1983) und Es (1986) wurden jüngst bereits zum zweiten Mal für Film und Fernsehen verwurstet. Bei der Suche nach frischem Material fällt die Entscheidung also zwangsläufig auch zugunsten schwächerer Werke aus. Der Roman Lisey’s Story, der in Deutschland 2006 unter dem Titel Love veröffentlicht wurde und zu Kings persönlichen Favoriten zählt, gehört dazu. Gute 200 Seiten zu lang und stellenweise unfassbar langweilig ist diese Vorlage nicht jedermanns erste Wahl. Was ausgerechnet Pablo Larraín daran gereizt haben könnte, lässt sich allerdings erahnen.

Der Roman wie dessen Serienadaption erzählt von der Witwe eines Schriftstellers, die mit dem Verlust ihres Mannes, mit der psychischen Erkrankung ihrer älteren Schwester und mit einem fanatischen Verehrer ihres verstorbenen Gatten ringt. Es geht um Trauer und erlittene Traumen, um Gewalt gegen sich selbst, gegen Kinder und gegen Frauen und um drei Frauen, die sich das nicht länger gefallen lassen. Allesamt Themen, die in der einen oder anderen Weise bereits in den Filmen Larraíns auftauchten, der dem Publikum nach seiner dreifach oscarnominierten One-Woman-Show Jackie (2016) zuletzt das auf seine Hauptfigur fixierte Beziehungsdrama Ema (2019) bescherte.

Auch Lisey’s Story ist eine große One-Woman-Show, die sich zwischendurch zu einer Three-Women-Show auswächst. Dann stehen die drei Hauptdarstellerinnen etwa an einem Felsvorsprung und schreien sich in einer wundervoll befreienden Szene während eines Gewitters ihren Frust von der Seele. Das Serienformat kommt der Vorlage entgegen. Auf acht nicht ganz einstündige Episoden beschränkt, ist Stephen King, der die Drehbücher zur Serie selbst verfasst hat, dazu gezwungen, seine unnötig mäandernde Romanhandlung weiter zu verdichten. Aus den ursprünglich vier Schwestern werden drei, aus zwei Literaturexperten wird einer und die für King so typischen übernatürlichen Elemente brechen nicht erst auf Seite 300, sondern bereits in der ersten Episode in die Realität ein. Zu lang geraten ist das letztlich aber trotzdem. Denn im Grunde wird nicht viel erzählt.

Julianne Moore spielt die Titelfigur Lisey Landon, die sich zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes Scott (Clive Owen) immer noch nicht von dessen literarischem Nachlass getrennt hat. Der stapelt sich in Scotts altem Arbeitszimmer, das in einer wunderschönen umgebauten Scheune seinen Platz hat. Professor Dashmiel (Ron Cephas Jones) möchte sich all der unveröffentlichten Manuskripte annehmen und schreckt dabei nicht davor zurück, der trauernden Witwe den irrlichternden Jim Dooley (Dane DeHaan) auf den Hals zu hetzen. Doch Lisey hat ganz andere Sorgen. Ihre älteste Schwester Amanda (Joan Allen) hat sich selbst verletzt und ist katatonisch. Eine Schockstarre, die Lisey allzu gut von Scott kennt.

Immer wenn der Inspiration brauchte, tauchte er ab in eine Parallelwelt, die nicht nur Ideen und Heilung versprach, sondern auch Gefahren barg. Ein merkwürdiges Plätzchen, das Scott erstmals als kleiner Junge (Sebastian Eugene Hansen) aufsuchte, um gemeinsam mit seinem älteren Bruder Paul (Clark Furlong) den Missbrauch durch ihren Vater (Michael Pitt) zu verarbeiten. Lange Zeit dachte Lisey, es handele sich um einen ausgedachten Ort. Bis sie ihn eines Tages während eines Kurzurlaubs mit Scott selbst betrat. Die Erinnerung daran ist jedoch verschüttgegangen. Erst eine Schnitzeljagd, die Scott noch vor seinem Tod für seine Frau angelegt hat, ruft Lisey den geheimnisvollen Ort wieder ins Gedächtnis. Damit hält sie einen Schlüssel in der Hand, um zusammen mit Amanda und ihrer zweiten Schwester Darla (Jennifer Jason Leigh) Jim Dooley endgültig loszuwerden.

Lisey’s Story, das ist die Geschichte einer Frau, der Beziehung zu ihrem Ehemann und ihrer späten Emanzipation, die sich erst nach dem Tod des Mannes vollzieht. Wie die Vorlage ist auch die Serienumsetzung ein komplexes Geflecht verschiedener Zeitebenen, die ansatzlos ineinander übergehen. Wer den Roman gelesen und ihn noch präsent hat, der dürfte unbeschadet durch die verschiedenen Zeitebenen navigieren. Alle anderen werden sich an der einen oder anderen Stelle wohl in Liseys Erinnerungen verheddern.

Manchmal sind diese mehrfach übereinander gelagert. Dann sitzt Lisey von ihrem Peiniger zerschunden am Beckenrand ihres Swimmingpools und erinnert sich an einen zehn Jahre zurückliegenden Moment, in welchem sie sich an ein noch weiter in der Vergangenheit liegendes Ereignis zu erinnern versuchte. Die Erinnerung an eine Erinnerung. Inszeniert ist das virtuos, von Kameramann Darius Khondji in betörende Bilder gepackt. Erzählt ist das allerdings verwirrend, weil Clive Owens und Julianne Moores Figuren in dieser Miniserie nicht altern, allenfalls Moores Frisuren wechseln. Wie viel Zeit zwischen den einzelnen Ebenen liegt, lässt sich nur am Stand ihrer Beziehung und an Scott Landons beruflichem Erfolg ablesen. Und trotzdem ergibt das irgendwie Sinn, weil Menschen eben nur aus der Perspektive ihres gegenwärtigen Ichs auf ihr jüngeres Ich zurückblicken können.

Julianne Moore spielt diese Frau, die spät im Leben zu sich selbst findet, wie so häufig ganz wunderbar, gerät aber immer wieder an ihre Grenzen. An ihrer Seite glänzen Joan Allen als fragile Schwester und Dane DeHaan als frustrierter Fan, dessen toxische Männlichkeit ihn zu einem Stalker werden lässt. Die fulminanteste Leistung liefert derweil der kaum wiederzuerkennende Michael Pitt auf einer anderen Erzählebene als gewalttätiger Vater ab. Eine völlige Fehlbesetzung ist indessen Clive Owen, dessen eindimensionales Spiel nicht nur kein bisschen mitreißt, sondern auch einem darstellerischen Schwergewicht wie Julianne Moore nichts entgegenzusetzen vermag.

All die übernatürlichen Geschehnisse dieser übersichtlichen Miniserie lassen sich natürlich auch als Allegorie lesen: Das Gewässer, an dem Scott in seiner Parallelwelt sitzt, ist ein Pool an Ideen, der inspiriert und heilt, wenn man von seinem Wasser trinkt, der einen aber auch verführt und in Lebensgefahr bringt, wenn man zu lange auf seine Oberfläche starrt. Wofür diese inspirierende, trostspendende und schmerzlindernde Flüssigkeit stehen könnte – ob für Drogen oder etwas gänzlich anderes –, das bleibt dem Publikum selbst überlassen.

Obwohl der Titel dieser Serie Liseys Geschichte verspricht, erfährt man übrigens so gut wie nichts über ihre Vergangenheit vor der gemeinsamen Zeit mit Scott. Das war schon im Roman die größte Schwachstelle. Ja, selbst die so betitelte Geschichte in der Geschichte, die Scott seiner Frau hinterlassen hat, handelt nicht von Lisey, sondern von Scotts traumatischer Kindheit. Wie Lisey in der Gegenwart mit ihrer Trauer abschließt, das freilich ist ihre Story, auch wenn es dafür eines letzten noch offenen Kapitels aus Scotts Vergangenheit bedurfte.

Lisey's Story (Miniserie, 2021)

Eine Witwe wird zum Objekt eines gefährlichen Stalkers, der von der Arbeit ihres Mannes besessen ist.

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