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Für die Seele nur das Beste! In der Amazon-Prime-Serie „Nine Perfect Strangers“ geraten neun psychisch angeschlagene Menschen in den Bann einer Wellness-Expertin, die mit Nicole Kidman treffend besetzt ist. Ob auch die Zuschauer*innen ihrer rätselhaften Ausstrahlung erliegen?

Nine Perfect Strangers (Miniserie, 2021)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Alles andere als perfekt

Wie kann ich mein Wohlbefinden steigern? Das Beste aus mir herausholen? Mich in einen Menschen verwandeln, der pures Glück empfindet, sich nicht mehr von Rückschlägen aus der Bahn werfen lässt? Gerade heute, in einer schnelllebigen, vom Druck der ständigen Verfügbarkeit geprägten Welt, überbieten sich Life-Coaches und Wellness-Gurus mit Angeboten, denen große Versprechungen anhaften. Nicht wenige stellen eine völlig neue Lebensqualität in Aussicht – und lassen sich für ihre Dienste fürstlich entlohnen. Nine Perfect Strangers, die neue Eigenproduktion des US-amerikanischen Streaming-Dienstes Hulu, taucht, basierend auf dem gleichnamigen Roman der australischen Schriftstellerin Liane Moriarty, in eben diese Welt ein und hat in Nicole Kidman genau die richtige Schauspielerin für den Part der undurchsichtigen Leiterin eines exklusiven Erholungscenters.

Tranquillum House, so der sprechende Name des Resorts, liegt, fernab der nächsten Siedlung, inmitten einer saftig grünen Landschaft und präsentiert sich als luxuriöser Glas- und Steinbau. Wer diesen Ort besucht, scheint Entspannung pur zu finden. Die von Kidman gespielte russische Betreiberin Masha sucht allerdings akribisch aus, wen sie in ihren schönen Hallen empfängt und in den Genuss ihrer Geist-und-Körper-Therapie kommen lässt. Strenge Regeln gelten für alle Teilnehmer*innen. Handys und andere Kommunikationsgeräte müssen ebenso abgegeben werden wie ungesundes Essen. Dass die Hausherrin ihr Personal anweist, die Taschen ihrer Gäste unbemerkt zu durchsuchen, deutet auf die etwas ungewöhnlichen Methoden in Tranquillum hin. Auch Videoüberwachung und regelmäßige Untersuchungen stehen auf dem Programm.

Die von David E. Kelley (The Undoing) kreierte, zusammen mit John-Henry Butterworth (Le Mans 66 – Gegen jede Chance) entwickelte achtteiligen Miniserie, die hierzulande bei Amazon Prime zu sehen ist, schließt an ein bekanntes Muster an: Teure Privatkliniken und schicke Sanatorien sind in Film und Fernsehen oft nur auf den ersten Blick idyllisch und befindlichkeitsfördernd. Gore Verbinskis Mystery-Thriller A Cure for Wellness etwa zieht seinen aus dem New Yorker Börsenmilieu kommenden Protagonisten in einer Schweizer Kureinrichtung in einen unheimlichen Strudel. Anders als in diesem Fall biegt Nine Perfect Strangers, zumindest in den ersten sechs für diese Kritik begutachteten Episoden, nicht in eine Horrorrichtung ab. Sehr wohl versuchen die beiden kreativen Köpfe aber, eine Aura des Rätselhaften zu erzeugen.

Schon bevor Masha das erste Mal in Erscheinung tritt, wird mit großer Ehrfurcht von ihr und ihrer speziellen Behandlung gesprochen, über die es in den sozialen Medien im Grunde nichts zu erfahren gibt. Auch das digitale Schweigen gehört zu den rechtlichen Grundsätzen, die jeder Gast bei seinem Check-in unterschreiben muss. Taucht die angepriesene Wellness-Göttin schließlich auf, hat man sofort das Gefühl, einem ätherischen Feenwesen gegenüberzustehen – einer Frau, die irgendwie nicht von dieser Welt ist. Dass hinter ihrem beherrschten Auftreten und ihren Porzellanzügen jedoch traumatische Erlebnisse und Abgründe lauern, verraten nicht nur ihre Erzählungen in der ersten Gruppensitzung. Auch kurze, schlaglichtartig aufblitzende Rückblenden legen Puzzleteile einer schmerzhaften Backstory frei.

Den Willen, anderen zu helfen, gebrochenen Menschen eine neue Selbstachtung zu geben, bringt die gelegentlich auf triviale Metaphern zurückgreifende Masha immer wieder zum Ausdruck. Dabei schreckt sie allerdings nicht davor zurück, Grenzen zu überschreiten. Mehrfach drängt sich der Eindruck auf, dass sie ihre Besucher*innen als persönliches Projekt auffasst. Als Schachfiguren, die sie hin- und herschieben kann, um, wie sie behauptet, etwas Revolutionäres zu erschaffen.

Die neun titelgebenden Personen, die sich im Tranquillum House für ein zehntägiges Programm einfinden, schleppen alle ihre Päckchen mit sich herum und sind charakterlich grundverschieden. Während Highschool-Lehrer Napoleon (Michael Shannon), seine Gattin Heather (Asher Keddie) und ihre Tochter Zoe (Grace Van Patten) einen tragischen Verlust erlitten haben, wollen Jessica (Samara Weaving) und Ben (Melvin Gregg) ihre Beziehung wieder kitten. Romanautorin Francis (Gott sei Dank nicht in einem Klamaukpart verheizt: Melissa McCarthy) ist von beruflichen Selbstzweifeln zerfressen und ärgert sich über einen Mann (verkörpert von McCarthys Ehemann Ben Falcone), der sie nach Strich und Faden ausgenutzt hat. Der drogenabhängige Tony (Bobby Cannavale), der einer abrupt beendeten Sportkarriere hinterhertrauert, hat sich nur aus einer Laune heraus beworben und bereut dies schon kurz nach seiner Ankunft. Carmel (Regina Hall) hingegen ist euphorisch, will abnehmen und hofft auf ein neues Bewusstsein. Getrieben wird sie aber von tiefen Verletzungen und Kränkungen, die sie zu einem Nervenbündel machen. Warum Lars (Luke Evans) im Wellness-Resort aufschlägt, bleibt eine Zeitlang im Unklaren, wenngleich er ebenfalls auf eine gescheiterte Partnerschaft blickt.

Wie zu erwarten ist, kommt es in der Gruppe schnell zu Spannungen. Für Unmut sorgt jedoch auch das übergriffige Vorgehen Mashas, die ihre engsten Vertrauten Delilah (Tiffany Boone) und Yao (Manny Jacinto) dazu antreibt, zügiger als geplant neue Therapieschritte einzuleiten. Erstere fühlt sich damit immer unwohler und beginnt, die guten Absichten ihrer Chefin zu hinterfragen. Im Verlauf der ersten sechs Episoden gibt es mehrere erschütternde und aufwühlenden Momente. Beispielsweise dann, als Napoleon während eines Festmahls ein ergreifendes Schuldgeständnis abliefert. Oder wenn die Tranquillum-Leiterin zum Start des Programms erklärt, dass sie tief im Inneren ihrer Teilnehmer*innen wühlen werde. Wie sich manche Gäste langsam annähern, ist reizvoll. Und einen leichten Thriller-Touch erhält die Handlung durch Drohnachrichten an Masha, die mit einer früheren Verfehlung zu tun haben könnten. Nicht nur Kidman füllt ihre Rolle überzeugend aus. Auch einige Mitstreiter*innen – allen voran Michael Shannon und Bobby Cannavale – setzen interessante Akzente.

Das alles zusammengenommen reicht jedoch nicht aus, um Nine Perfect Strangers einen dauerhaft fesselnden Sog entfalten zu lassen. Manche Figuren ziehen leider zu viele stereotypische Eigenschaften hinter sich her. Ins Auge springt hier besonders die stets etwas naiv auftretende, manisch auf ihren Körper fixierte Influencerin Jessica. Carmel dockt derweil an das Klischee der hysterischen Single-Frau an, die sich noch immer über ihren chronisch untreuen, mit einer Jüngeren abgedampften Ex-Mann definiert. Wundern kann man sich auch über einige Szenen, die die Neurosen und Selbstwertprobleme der Protagonist*innen auf eher lächerlich-explizite Weise bebildern. Auslöser mögen heimlich eingeflößte Drogen sein. Der Witz hält sich trotzdem in Grenzen, wenn Francis ihren Liebesbetrüger in Miniaturform das Klo hinunterspült. Reichlich platt ist auch der Augenblick, in dem Jessica um ihre Nase fürchtet. Passagen wie diese sind der Grund dafür, dass die bereits im psychedelischen Vorspann besungene anziehende Wirkung von Tranquillum immer mal wieder nachlässt.

Nine Perfect Strangers (Miniserie, 2021)

Die Miniserie ist eine Adaption von Liane Moriartys Roman Nine Perfect Strangers („Neun Fremde“).

Neun Fremde und zehn Tage, die alles verändern: In einem abgelegenen Wellness-Resort treffen fünf Frauen und vier Männer aufeinander, die sich noch nie zuvor begegnet sind. Sie alle sind in einer Krise und wollen ihr altes Leben hinter sich lassen. Bald schon brechen alte Wunden auf und lang gehütete Geheimnisse kommen ans Licht. Denn nichts ist so, wie es scheint in Tranquillum House …

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