Inherent Vice - Natürliche Mängel

Eine Filmkritik von Falk Straub

Das Ende der Parabel

Inherent Vice – Natürliche Mängel ist eine Premiere. Paul Thomas Anderson hat es als erster Regisseur gewagt, einen Roman Thomas Pynchons fürs Kino zu verfilmen und den absurd komischen Abgesang auf den Summer of Love in umwerfend schöne Bilder gepackt.
Thomas Pynchon ist einer der großen Unbekannten der amerikanischen Literatur. Wie die komplexen Inhalte seiner mäandernden Romane lässt sich auch der Autor nur schwer fassen. Die Informationsfülle seines Werks steht dem Wissen um sein Privatleben diametral entgegen. Vom Schriftsteller existieren nur wenige, mehrere Jahrzehnte alte Fotografien. Was die Fantasie der Popkultur beflügelte. Theorien, ähnlich öffentlichkeitsscheue Kollegen wie J. D. Salinger oder William Gaddis und Pynchon seien ein und dieselbe Person, hielten sich lange. Eine Vorstellung, die glatt einem seiner Romane entsprungen sein könnte.

Natürliche Mängel (Original: Inherent Vice) gilt vielen Kritikern als Pynchons zugänglichstes Werk. Regisseur Paul Thomas Anderson macht daraus einen für seine Verhältnisse recht zugänglichen Film. Nach den elegischen Dramen There Will Be Blood (2007) und The Master (2012) liefert Anderson einen 148 Minuten währenden, gediegenen Kifferkrimi ab. In dessen Mittelpunkt: der ständig zugedröhnte Larry „Doc“ Sportello (Joaquin Phoenix), seines Zeichens Privatermittler im Kalifornien des Jahres 1970.

Der Motor, der die Geschichte zum Laufen bringt, heißt Shasta Fay Hepworth (Katherine Waterston). Eines Nachts steht sie in der Wohnung ihres Exfreunds Doc und fleht ihn an, die Entführung ihres Liebhabers Mickey Wolfmann (Eric Roberts) zu verhindern. Dessen Frau Sloane (Serena Scott Thomas) will den millionenschweren Baulöwen angeblich in ein Irrenhaus abschieben. Aus Liebe zu Shasta nimmt Doc den Auftrag an, stößt aber schnell auf allerlei Ungereimtheiten. Was haben das FBI, die Arische Bruderschaft, ein totgeglaubter Saxofonist und ein Syndikat kalifornischer Zahnärzte mit der Sache zu tun? Und warum stolpert Doc bei seinen Ermittlungen ständig über seine Nemesis, den Polizisten Christian „Bigfoot“ Bjornsen (Josh Brolin)? Zufall? Verschwörung? Paranoia-Alarm!

Kameramann Robert Elswit taucht seine 35mm-Bilder ins leuchtende Gegenlicht der kalifornischen Sonne und verleiht ihnen zu gleichen Teilen eine Ästhetik der 70er Jahre wie etwas Traumwandlerisches. So bleibt in der Schwebe, wie tief die Verstrickungen von Politik, Wirtschaft und Sicherheitsbehörden tatsächlich reichen und welche Teile der Handlung lediglich dem benebelten Hirn der Hauptfigur entspringen. Bereits bei ihrem ersten Auftritt in Docs Wohnung wirkt Shasta wie eine Nachtgestalt, ein Hirngespinst. Diesen Schleier des Ungreifbaren legt ihre Figur bis zum Schluss nicht ab. Eine halluzinierte Femme fatale der Gegenkultur. Doc Sportello ein kiffender Wiedergänger des „Hardboiled detective“. Inherent Vice eine Kreuzung aus The Big Sleep und The Big Lebowksi.

In dieser Zeit des Übergangs ist Doc Sportello ein Relikt. Er weiß es nur noch nicht. Doc ist stets mehr daran interessiert, wo er seinen nächsten Joint herbekommt, als am Geld seiner Kunden. Der letzte Integere in einem korrumpierten Umfeld, der den Traum einer freien und friedlichen Welt noch nicht ausgeträumt hat. Doch den Respekt der Spießbürger hatten die Hippies bereits verspielt, als sie damit anfingen, ihre Mieten zu bezahlen. Die Morde der Manson Family, die in Inherent Vice stets unangenehm im Hintergrund rauschen, läuteten das Ende des Summer of Love ein. Die Gegenkultur unterwandert, ihre Ideale verkauft, ihre Unschuld verloren. Von Ronald Reagans Kalifornien zu Ronald Reagans Amerika ist es nur noch ein kleiner Schritt. Am Ende erwacht auch Doc Sportello aus seinem Traum.

Paul Thomas Anderson macht daraus jedoch keine moralinsaure politische Parabel, sondern eine leichte, absurde Kifferfantasie, die die Zuschauer am Ende genauso ratlos zurücklässt wie seinen zugedröhnten Protagonisten.

Inherent Vice - Natürliche Mängel

„Inherent Vice – Natürliche Mängel“ ist eine Premiere. Paul Thomas Anderson hat es als erster Regisseur gewagt, einen Roman Thomas Pynchons fürs Kino zu verfilmen und den absurd komischen Abgesang auf den Summer of Love in umwerfend schöne Bilder gepackt.
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