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Chile in den 1970ern: Ausgerechnet hinter Gittern kann der junge Jaime seine Homosexualität nahezu frei ausleben. Damit das Gefängnis als schwuler Sehnsuchtsort funktioniert, schaut Sebastián Muñoz‘ Drama wohlwollend über Missbräuchliches hinweg. 

Der Prinz (2019)

Eine Filmkritik von Arabella Wintermayr

Trügerisches Idyll

Ein langer Gang mit vor Schmutz glänzendem Boden. Erdrückend dunkle Wände, von denen der Putz abblättert. Aus jeder der abgehenden Zellen lugt ein Pulk an Häftlingen hervor. Die meisten blicken grimmig drein, mustern „die Neuen“, die gerade nach und nach ihren neuen Unterkünften zugeteilt werden. Die Zimmer gleichen eher heruntergekommenen Kammern als Gefängniszellen. Die Einrichtung ist spartanisch, stark abgenutzt und reicht nicht für die jeweilige Anzahl an Inhaftierten. 

Willkommen im chilenischen Gefängnissystem Anfang der 1970er. In einem Organismus, in dem das Recht des Stärkeren gilt, in dem die Wärter vor allem durch Zurückhaltung auffallen, sofern sie ihre Position nicht zur Demütigung oder für den offenen Missbrauch von Häftlingen nutzen können. Oder besser: Willkommen zu Der Prinz, der eine homoerotisch aufgeladene Version dieses Gefängnissystems präsentiert. Zu einem Drama, in dem das enorme Machtgefälle, vor allem zwischen den Häftlingen, fetischisiert wird. In dem schwule Sexualität zu einer Zeit ausgelebt wird, in der es sie eigentlich gar nicht hätte geben dürfen.

Einer der besagten Neuankömmlinge ist der junge Jaime (Juan Carlos Maldonado). Zuvor hatte er seinem besten Freund (Cesare Serra), den er insgeheim begehrte, die Kehle durchgeschnitten. Spontan, aus einer bierseligen Laune heraus. Mit einer abgebrochenen Glasflasche ist er mitten in einer Bar auf ihn zugerannt. Doch trotz der Kaltblütigkeit seiner Tat steht ihm die Angst ins Gesicht geschrieben, als er seiner Zelle zugeteilt wird. Er scheint Glück zu haben: Ricardo (Alfredo Castro), von allen nur „El Potro“ („der Hengst“) genannt, findet Gefallen am drahtigen Mann mit den dunklen Locken und großen Augen. Seinen alten Gespielen (Sebastián Ayala) verweist er prompt seines Bettes. Jaime, der bald seinen titelgebenden Spitznamen verliehen bekommt, nimmt seinen Platz ein. 

Allerdings ist „Glück“ in dieser Welt relativ: Da er in der Gunst des einflussreichen El Potro steht, wird Jaime von den anderen in Ruhe gelassen – von ihm selbst jedoch nicht. Gleich in der ersten Nacht kommt es zum sexuellen Übergriff, den Der Prinz mit einer Mischung aus Abscheu und erotischer Neugier einfängt. Anfängliche Ambivalenzen wie diese schlagen allerdings schnell in affirmatives Wohlwollen um: Jaime öffnet sich, erzählt von seinem Leben, scheint sich sogar in den wesentlich älteren Ricardo zu verlieben, welcher sich wiederum plötzlich ungewohnt zärtlich gegenüber seinem Mündel gibt. Ab da stellt sich die Frage des komplexen Wechselspiels von Einvernehmlichkeit und Abhängigkeit nicht mehr: Sebastián Muñoz erzählt diese abseitige Liebesgeschichte in seiner ersten Regierarbeit als kleine Revolution, ein stilles Aufbegehren gegen den Machismo der heraufziehenden Pinochet-Diktatur. 

An ihre Seite gesellt sich der rivalisierende Che Pibe (Gastón Pauls), der diesen leisen Protest auch nach außen trägt: In Form von prachtvoller Kleidung inklusive einer großen Anzahl an modischen Halstüchern und einer stolz zur Schau getragenen kleinen Gefolgschaft an jungen, sexuell gefälligen Männern. Auf einen von ihnen (Lucas Balmaceda) wirft auch Jaime ein Auge, doch bleiben beide ihren mächtigen Aufpassern unterstellt, zwischen denen es bald zu einem fatalen Aufeinandertreffen kommt. Für Der Prinz überwiegt trotz allem die Deutung des kargen Gefängnislebens mit all seinen Härten als schwule Idylle. Eine Idylle, die durch homophobe Attacken der Wärter, der Gewalt und den Entbehrungen bisweilen stark getrübt wird, die als Refugium für gleichgeschlechtliches Begehren aber dennoch als erstrebenswert erzählt wird. Der Zweck heiligt die Mittel.

Dass der Film auf einem gleichnamigen Roman basiert, der etwa zur gleichen Zeit entstanden ist, in der Der Prinz spielt, erklärt diese pragmatische Haltung. Autor Mario Cruz vertrieb das Buch in Eigenregie. Da Homosexualität bereits unter dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende verpönt war, gab es keine Alternative. Doch unter der Ladentheke wurde der Text schnell zu einer kleinen Sensation, mehrere tausend Stück wurden verkauft.

Sebastián Muñoz selbst entdeckte 2010 eine zerfledderte Ausgabe des Romans auf einem Lebensmittelmarkt in Santiago de Chile. Die Änderungen, die er gegenüber der literarischen Vorlage vornahm, machen die zentrale Liebesgeschichte aus heutiger Sicht allerdings noch schwerer nachzuempfinden, als sie ohnehin schon ist. Beispielsweise die Tatsache, dass El Potro eigentlich erst 30 Jahre alt, Schauspieler Alfredo Castro aber bereits Mitte 60 ist.

Während die literarische Vorlage, die gerade im Albino Verlag erstmals eine ganz offizielle Veröffentlichung erfährt, als interessantes Zeitdokument mit Pulp-Charme funktioniert, leidet Der Prinz unter seiner stellenweise zu leichtherzig geratenen Glorifizierung der Verhältnisse.

Der Prinz (2019)

Chile im Jahre 1970: Nach einer durchsoffenen Nacht ersticht Jaime, ein 20-jähriger einsamer junger Mann, seinen besten Freund mit einem Messer und kommt ins Gefängnis. Dort lernt er einen älteren und von allen respektierten Mitgefangenen kennen, den alle nur den „Hengst“ nennen und der ihn unter seine Fittiche nimmt. Von ihm lernt er viel über Liebe und Loyalität und durch ihn wird auch er zu einem angesehenen Häftling, der den Spitznamen „der Prinz“ erhält. Doch als ihre Beziehung stärker wird, bekommt „der Hengst“ die brutalen Machtkämpfe innerhalb des Knastes kennen.

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