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Tim Robbins erlaubt in seinem Dokumentarfilm „45 Seconds of Laughter“ einen intimen Einblick in sein Schauspielreformprogramm mit dem er Gefangenen einen neuen Zugang zu ihren Gefühlen ermöglichen will. Ein Ansatz, der fruchtet und dabei zeigt, was in den USA alles schief läuft.

45 Seconds of Laughter (2019)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Kunst als Therapie

Wer 45 Sekunden am Stück lacht, der sorgt für eine automatische Ausschüttung an Glückshormonen, hat eine Studie festgestellt. Ob das wirklich stimmt, ist eigentlich egal, denn für die Männer in Tim Robbins Dokumentarfilm „45 Seconds of Laughter“ kann alles nur besser werden. Sie sind allesamt Insassen eines Hochsicherheitsgefängnisses und dort mindestens 8 Jahre, wenn nicht sogar lebenslänglich gefangen.

45 Seconds of Laughter ist kein großer innovativer Dokumentarfilm, sondern eher einer dieser kleinen, einfachen Filme, in denen einzig das Geschehen und die Menschen das Werk tragen. Die Kamera begleitet über acht Monate und mehrere Sitzungen hinweg eine Gruppe Insassen, die sich freiwillig zu einem Workshop gemeldet haben, den Schauspieler Tim Robbins  (Jacob’s Ladder, Die Verurteilten) zusammen mit anderen Menschen anleitet. Unter ihnen ist auch ein ehemaliger Gefangener, der selbst durch das Programm ging und jetzt, nach seiner Entlassung, mitarbeitet. Die Struktur des Workshops ist recht einfach und vielleicht genau deshalb so genial: Die Insassen werden langsam an die italienische Commedia dell’arte herangeführt. Diese traditionelle Jahrmarktskunst hat große Vorteile in der Rehabilitation, denn sie kommt mit sehr einfach Stereotypen daher und benutzt Masken, die Freiheit und Sicherheit geben, um die einzelnen Charaktere darzustellen.

Doch soweit ist zu Anfang keiner der Insassen. Das Gefängnis, so stellen sie allesamt fest, hat feste Regeln, die ganz konträr zur Commedia dell’arte laufen. Und diese lauten: Zeig niemandem deine Gefühle. Sei immer auf der Hut und aggressiv. Und halte dich an deinesgleichen. Sprich: entweder ist man Mitglied einer Gang oder man bleibt in den jeweiligen ethnischen Gruppen unter sich. Aggression und Separation – all dies gilt es zu überwinden, ohne dabei zu missachten, dass außerhalb des Workshops wieder ganz andere Regeln gelten werden. Doch wie in solch einem eng gefassten und durchaus gefährlichen System agieren? Wie dort die Freiheiten finden und die Gefühle erlauben?

Um dies zu schaffen, arbeiten Robbins und sein Team zu allererst einmal mit kleinen Gruppenaufgaben, die zur Entspannung beitragen und ein Teamgefühl bilden, das es so bisher nicht gab. Es ist schon ein bisschen absurd einem Haufen großer, tätowierter Männer beim Ball spielen zuzusehen, doch die Verwandlung, die sich hier in wenigen Stunden vollzieht, ist erstaunlich. Und herzerwärmend zugleich. Es wird nie gefragt, welche Verbrechen diese Männer begingen, doch es sind, wenn man sich die Länge ihres Aufenthalts anschaut, schwerwiegende Delikte. 

„Man soll einen Menschen nie nach seinem schlimmsten Moment beurteilen“, heißt es am Ende des Filmes und in der Tat vermag 45 Seconds of Laughter je weiter und länger der Workshop mit diesen Männern arbeitet ein gutes Plädoyer für eine andere Handhabe mit diesen Menschen zu sein. Seine vermittelnde Art findet sich nicht nur innerhalb der Workshop-Gruppe, die sich alsbald erlaubt ganz dezidiert die vier großen Gefühle Wut, Trauer, Angst und Freude zu erarbeiten, zu fühlen und vor allem zu zeigen. Nein, sie schwappt auch auf den Zuschauer über. Kurzum, der Film schafft menschliche Bezüge und damit Empathie in einer seelenlosen, kalten Welt. Welche Auswirkungen dies haben kann, erstaunt. Bevor man sich versieht, freut man sich über jede Regung dieser Männer und über jeden Moment, in dem sie sich öffnen und sich mit sich selbst und ihrem Leben erstmalig in einer Art auseinandersetzen, die nicht nur Wut und Abschottung in sich trägt. Wie weit diese einfachen Übungen letztendlich tragen, zeigt sich als die Truppe ihr Können am Ende ihren Familienangehörigen zeigt. Dann sitzen da plötzlich die Kinder, die ihre Väter nur noch selten sehen und die Frauen und Mütter, die draußen im echten Leben die Scherben aufsammeln müssen und irgendwie durchkommen und deren Zugang zu ihren Lieben nicht nur durch Besuchszeiten, sondern vor allem durch die harte Schale, die man sich im Knast zulegt, beschränkt ist. 

Und dann: Menschliches, allzu Menschliches. Lachen und Tränen, Emotionen und Entschuldigungen und hier und ein kleiner Moment Hoffnung, dass man das Leben, was man da versaut hat, vielleicht doch ändern kann. 

Einen klugen, ruhigen Film hat Robbins da gemacht, der nicht verurteilt, lieber zeigt und in dem sich Robbins selbst angenehm zurückhält, anstatt sich als Retter zu inszenieren. Viel mehr gibt er der Schauspielkunst als Therapie, den mitunter arg einfachen und doch so hilfreichen Methoden viel Raum und schafft damit ein Werk, das sehr eindeutig und überzeugend zeigt, wie einfach es doch wäre, auch diese Menschen zu rehabilitieren, wenn man es nur wollen würde.

45 Seconds of Laughter (2019)

Eine Gruppe von Häftlinge am Calipatria State Prison nehmen an einem Workshop der Theatertruppe The Actors‘ Gang von Tim Robbins teil. Trotz und neben Rassengrenzen und Gang-Rivalitäten entdecken die Männer tief vergrabene Gefühle, die lange Zeit in ihnen zu schlummern schienen und formen so enge Beziehungen zu anderen, die kurz zuvor noch ihre erbitterten Feinde waren. 

 

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