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Der Diktator ist tot, aber die Demokratie kommt nicht überall gleich schnell an. Auf wahren Begebenheiten beruhend, erzählt „Prison 77“ von Insassen, die aus einem Gefängnis heraus um ihre Rechte kämpfen.

Prison 77 - Flucht in die Freiheit (2022)

Eine Filmkritik von Mathis Raabe

Amnistia, Libertad!

Wenn eine Diktatur endet, können verkrustete Institutionen dem Umbau des Systems noch lange hinterher hängen. Dieses Thema interessiert Regisseur Alberto Rodríguez Librero. Schon sein Film „La isla mínima – Mörderland“ beschäftigte sich mit den Nachwehen der Franco-Diktatur in einer Kleinstadt und ihrem Polizeiapparat. Im neuen Film geht es um das Gefängniswesen.

Prison 77 beginnt in einem Gefängnis in Barcelona, drei Monate nach Francos Tod. Protagonist Manuel (Miguel Herrán) wird eingecheckt – ein adrett gekleideter junger Mann, der in der rauen Umgebung besonders fehl am Platz wirkt. Er weigert sich, den korrupten Gefängniswärtern seinen Anzug zu verkaufen, und seine Auflehnung gegen die Umstände besteht zunächst darin, dass er ein Beschwerdeformular ausfüllen oder mit der Direktion sprechen will. Zur Antwort gibt es Prügel. Derlei bürgerliche, bürokratische Mechanismen funktionieren in dieser Welt nicht. Und das Gefängnis ist eine kleine Welt: Die Häftlinge organisieren sich in Gruppen und richten sich ihre Zellen ein. Manuels Zellengenosse Pino (Javier Gutiérrez) liebt zum Beispiel seine Science-Fiction-Romane. Als ihr dritter Zellengenosse einmal vor Traurigkeit nicht einschlafen kann, wird ihm vorgelesen.

Es bildet sich eine Gruppe, die für die Rechte der Insassen kämpfen will. „Wie eine Gewerkschaft“, sagen sie. Manuel wird einer der wichtigen Köpfe dieser Gruppe, die an die realhistorische Organisation COPEL angelehnt ist. Anhand des Kampfes für „Amnistia“ und „Libertad“ spielt der Film nun den Lebenszyklus vieler politischer Bewegungen durch. Die Außenwelt freut sich auf Demokratie und auf die ersten freien Wahlen. Die Gefängniswärter währenddessen lachen noch über dieses Wort und zücken dann den Schlagstock. Um ihren Anliegen Gehör zu verschaffen, probieren die Gefängnisinsassen verschiedenste politische Aktionsformen aus: Manuel verteilt Flugblätter, Transparente werden gehisst, Sitzstreiks und Hungerstreiks werden als Druckmittel eingesetzt und schließlich auch gefährliche Selbstverletzung. Als die Bewegung wächst, wollen auch die Insassen aus Block sechs daran teilhaben, die einen besonders schlechten Ruf haben. Eine komplizierte Angelegenheit: Sollte nicht für die Rechte aller Insassen gleichermaßen gekämpft werden? Je größer der Kreis der Eingeweihten, desto größer ist aber auch die Gefahr, dass ein „Chivato“ (Verräter) dabei ist.

Schließlich zeigt der Film auch den Zerfall der politischen Bewegung durch innere Zerwürfnisse. Protagonist Manuel wird davon desillusioniert. Ist einen Tunnel zu graben vielleicht doch die bessere Chance auf Freiheit als politischer Aktivismus? Eine bittere Erkenntnis, wenn man die Filmhandlung sinnbildlich auf andere politische Kämpfe übertragen will. 1978 war ein Rekordjahr für Gefängnisausbrüche in Spanien, erfährt man von einer Texttafel. Das deutet wohl nicht darauf hin, dass die Einführung der Demokratie schnell zu fairen Prozessen führen konnte.

Der Film macht nicht deutlich, ob seine Handlung übertragbar sein soll, und enthält auch keine klaren Verweise darauf, dass es auch heute noch und auch in demokratisch organisierten Gefängnissystemen Missstände gibt. Für ein spanisches Publikum wird derart offensichtliche Symbolik nicht nötig sein: Die Nachwirkungen der Franco-Ära sind noch politisches Tagesgeschäft. Erst vor drei Jahren wurde der Sarg des Diktators aus einem glorifizierenden Mausoleum nahe Madrid entfernt. Eine Aufarbeitung der Morde an Tausenden, die in anonymen Gräbern liegen, wurde erst 2022 beschlossen und wird bei den diesjährigen Wahlen wieder auf der Kippe stehen.

Auf internationaler Bühne wirkt der Film ein bisschen konventionell und wird vor allem von der Beziehung zwischen den Hauptfiguren Manuel und Pino getragen. Die sind gegensätzlich gezeichnet: der eine jung und zum ersten Mal im Gefängnis, der andere abgebrüht, weil er schon sein ganzes Leben hinter Gittern verbracht hat. Durch den gemeinsamen Kampf entwickeln sie aber eine berührende Solidarität miteinander.

Prison 77 - Flucht in die Freiheit (2022)

Spanien 1977, kurz nach dem Ende der Schreckensherrschaft von Diktator Franco: Manuel, ein junger Buchhalter, der wegen Unterschlagung inhaftiert ist, wartet im Gefängnis auf seinen Prozess. Während im ganzen Land demokratische Bewegungen zu spüren sind, herrscht in Spaniens Zuchthäusern nach wie vor die Diktatur der Wärter. Manuel und sein Zellengenosse Pino schließen sich mit anderen Knastinsassen zusammen und kämpfen gemeinsam für bessere Haftbedingungen. Da sie aufgrund ihres Widerstandes immer wieder schwer bestraft werden, planen Manuel und Pino einen lebensgefährlichen Ausbruch.

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