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In „Im Herzen jung“ schildert Carine Tardieu die Liebe zwischen einer Frau in ihren Siebzigern und einem Mann in seinen Vierzigern, verkörpert von Fanny Ardant und Melvil Poupaud.

Im Herzen jung (2021)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

„Du überwältigst mich!“

Um die erste Begegnung der beiden Hauptfiguren eines Liebesfilms herbeizuführen, kommt es oft zu einem sogenannten Meet cute: einem zufälligen Zusammenprall zweier Fremder, bei dem sofort die Funken sprühen. Auch in Carine Tardieus „Im Herzen jung“ ereignet sich eine derartige Situation, die allerdings direkt den melancholischen, leisen Ton der Erzählung vorgibt.

Shauna (Fanny Ardant) hält sich im Dezember 2006 in einem Krankenhaus in Lyon auf, um ihrer im Sterben liegenden besten Freundin beizustehen. Der verheiratete Pierre (Melvil Poupaud) ist dort als Arzt tätig – und zudem ein Freund von Georges (Sharif Andoura), dem Sohn der todkranken Frau. Nur wenige Minuten dauert die erste Begegnung zwischen diesen beiden Menschen, deren Altersunterschied fast drei Dekaden beträgt – und doch gelingt es der Inszenierung und dem Schauspielduo, die Besonderheit dieses Moments, die unverhoffte Nähe und Vertrautheit zwischen Shauna und Pierre unter diesen traurigen Umständen einzufangen. Kurz darauf ist Shauna verschwunden.

Nach einem Zeitsprung um 15 Jahre erhalten wir Einblick in Pierres Alltag: Der erfolgreiche Onkologe führt ein zuweilen stressiges, aber insgesamt harmonisches Ehe- und Familienleben mit seiner Frau und Kollegin Jeanne (Cécile de France) sowie den beiden Kindern, der 18-jährigen Rosalie (Sarah Henochsberg) und dem elf Jahre jüngeren Marcel (Martin Laurent). Als er für eine Konferenz nach Dublin reist, besucht Pierre dort mit seinem Kumpel die Ferienhütte von Georges’ verstorbener Mutter in Cork – und begegnet Shauna wieder, die gelegentlich Zeit in dem Haus am Strand verbringt.

Die Anziehung zwischen der 70-jährigen Frau und dem Mann in seinen Vierzigern stellt sich rasch wieder ein. In Paris sucht Pierre Shauna erneut auf; die beiden verlieben sich ineinander. Bald erfahren sowohl Pierres Frau als auch Shaunas erwachsene Tochter Cécilia (Florence Loiret-Caille) von der Affäre. Die zwei Liebenden müssen eine schwere Entscheidung treffen.

„Alles Wohlwollen der Welt kann nicht verhindern, dass wir anderen Menschen wehtun“, erläutert die Regisseurin Carine Tardieu in einem Interview. Diese Ambivalenz bringt sie in Im Herzen jung überzeugend zum Ausdruck. Weder ist Shauna eine Verführerin, die es darauf anlegt, die Ehe ihres Geliebten zu zerstören, noch ist Pierre ein rücksichtsloser Fremdgeher, der vom Eheleben einfach nur gelangweilt ist. Hinzu kommt, dass auch die Nebenfiguren differenziert gezeichnet sind – etwa Jeanne, die betrogene Gattin, oder Cécilia, die Tochter von Shauna, die beim ersten Aufeinandertreffen mit Pierre nicht ahnt, dass dieser ein Verhältnis mit ihrer Mutter hat. Der Film ist durchweg stimmig besetzt. Fanny Ardant lässt uns die Unsicherheiten von Shauna ebenso intensiv spüren wie Melvil Poupaud die Überwältigung, die Pierre erfasst.

Tardieu hat das Projekt von der isländisch-französischen Filmemacherin Sólveig Anspach übernommen, die 2015 verstarb, ehe es zur Realisierung kommen konnte. Das ursprüngliche Drehbuch von Anspach basierte auf Erlebnissen von deren Mutter. Tardieu hat daraus eine sehr wahrhaftige Liebesgeschichte gemacht, die allen Beteiligten gerecht wird. Die sinnlichen Bilder der Kamerafrau Elin Kirschfink, die etwa in der Darstellung der irischen Landschaft zu Beginn von David Leans Melodram Ryans Tochter (1970) inspiriert sind, vollziehen die Emotionen der Figuren einnehmend nach. Eben diese tragen dazu bei, dass Im Herzen jung durch seinen stillen Aufruhr Eindruck bei uns zu hinterlassen vermag.

 

Im Herzen jung (2021)

Eigentlich hat die 70-jährige Shauna (Fanny Ardant), eine unabhängige Frau, mit ihrem Liebesleben abgeschlossen. Doch das Wiedersehen mit Pierre (Melvil Poupaud), jenem 45-jährigen Mann, dem sie vor Jahren begegnete, bringt sie durcheinander. Wider Erwarten sieht Pierre nicht nur eine ältere Dame in ihr, sondern eine Frau, die begehrenswert ist und in die er sich Hals über Kopf verliebt. Wäre er nur nicht Ehemann und Vater.

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Meinungen

Gesine · 29.08.2023

Ein wundervoller Film, ja, so ist Leben! Wieviele dieser Glücksmomente, des Schmerzes, der Krankheitsschicksale, der Sehnsucht, auch der Trauer, der Verzweiflung und des Jubels hat man nicht selbst schon gesehen und erlebt? Dass Pierre sich in Shauna verliebt: natürlich! Bei ihr kann er sich fallen lassen, sich völlig hingeben, er muss weder stark sein noch Stärke zeigen wie zu Hause und im Job. Sie hat selbst ein starkes Leben erfolgreich gemeistert, nur fehlte die Liebe eines Mannes. Sie fordert nichts von ihm, er ist ihr Wunder genug. Das wird einfühlsam gezeigt. Einziger Negativpunkt: Die Kamera inszeniert Fanny Ardents Gesicht und Ausdruck zu aufdringlich, zu oft. Und mit 70 ist frau ja erst 70…, alte Frau? Aber guter Sex mit 70 ohne Anlauf… das ist wishful thinking… war vielleicht nur ein Traum?

Amelie · 27.08.2023

Ich selbst habe genau so eine Liebesgeschichte erlebt, waren wir 12 Jahre jünger und der Altersunterschied zwischen meinem Liebsten und mir „nur „ 15 Jahre.
Der Film hat mich sehr berührt .
Er zeigt ganz feinfühlig diese Diskrepanz, wenn sich 2 Menschen mitten im Leben in den unterschiedlichsten Lebenssituationen begegnen und sich ineinander verlieben.
So etwas plant man ja nicht, das passiert einfach..

Habe mich sehr angesprochen gefühlt und mich in vielem wiedererkannt.
Schöner, emphatisch dargestellter Film!
Absolut sehenswert !

Sabine Breitbart · 07.08.2023

Gerne würde ich schwärmen von diesem Film! Ich habe ihn gerne gesehen, aber gut finde ich ihn leider nicht. Vielleicht bin ich die Einzige, die das so sieht?! Fanny Ardant ist eine wundervolle Schauspielerin, aber davon allein bekommt man noch keinen guten Film. Die Kamera ist wundervoll. Was stimmt nicht? Die Liebesgeschichte ist nicht glaubwürdig. Was Pierre an Shauna liebt und sie an ihm, ist nicht stimmig nachvollziehbar. Wenn es erlaubt ist, das mal nicht nur vordergründig zu betrachten. Der Regisseurin ist dieses Problem durchaus bewusst und so lässt sie Pierre dazu dieses und jenes mal kurz sagen, aber das einzige, was zwischen den beiden knistert, könnte eingepacktes Knäckebrot sein. Seine knopfäugigen Blicke zu ihr ändern an meinem Eindruck leider auch nichts. Und dann werden auch so einige Klischees über's moderne Familienleben bedient, die sich allesamt in Wattewölkchen auflösen. Nein, liebe Franzosen, das war mir nicht tiefsinnig und glaubwürdig genug. Meine Maßstäbe für gute Filme liegen allerdings auch echt hoch. Zuletzt großartig: Return to dust...

wignanak-hp · 14.08.2023

Ja, leider haben Sie Recht. Die Geschichte wirkt konstruiert und ist unnötig mit den ganzen Krankengeschichten aufgeladen. Schade!

Kaya · 07.08.2023

Selbst wenn es nur auf der Leinwand war, es ist wundervoll zu sehen, dass eine 70-jährige Frau noch wahrgenommen, beziehungsweise besser noch, geliebt wird. Ein Wahnsinnsfilm - wunderschön - er gehört jetzt schon zu meinen Favoriten und reiht sich in die Reihe meiner Lieblingsfilme ganz oben ein. Diesen Film müsst ihr sehen - für junge Frauen natürlich weniger geeignet.