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In seiner ersten Regiearbeit erzählt Viggo Mortensen von einer höchst dysfunktionalen Vater-Sohn-Beziehung. Während Lance Henriksen als konservativ-wütender, demenzkranker Patriarch neue schauspielerische Seiten zeigen darf, ringt Mortensen als liberaler, schwuler Familienvater um dessen Anerkennung. 

Falling (2020)

Eine Filmkritik von Arabella Wintermayr

Keine Erlösung

Willis (Lance Henriksen) verachtet Frauen, hasst Schwule, verteufelt liberale Werte und blickt auf alle herab, die nicht weiß sind. Gegenüber seinen Mitmenschen zeigt er sich grundsätzlich herrisch. Nicht einmal die zeitweise entwürdigenden Folgen seiner Demenz ringen ihm Demut ab. Bereits vor seiner Erkrankung trat er dem Leben mit finsterem Ärger entgegen, bereits in jungen Jahren (Sverrir Gudnason) entlocken ihm nur archaische Genüsse – Unmengen an Bier, das Kettenrauchen und zweckdienlicher, ordentlicher Hetero-Sex –  gelegentlich ein kleines Lächeln.

In seinem Debüt erzählt Viggo Mortensen von dieser Figur in Gegenüberstellung zu Sohn John, dessen Rolle Mortensen selbst übernimmt. Mehr noch als für die Charaktere, interessiert sich Falling jedoch für die Vater-Sohn-Dynamik selbst, die sich zwischen ihnen entspinnt. Da John das blanke Gegenteil seines Vaters repräsentiert, ist ihre Beziehung derart belastet, dass sie eigentlich schier unmöglich scheint.

Zumindest John bemüht sich trotzdem um sie und holt Willis aus dem konservativen Mittleren Westen in seine Wahlheimat, das kosmopolitische Kalifornien. Dort lebte der Vater zuletzt einsam auf einer abgeschiedenen Farm, nachdem sich die zwei maßgebenden, mittlerweile verstorbenen, Frauen in seinem Leben von ihm getrennt hatten. Wie in Rückblenden erzählt wird, verließ Gwen (Hannah Gross) ihn gemeinsam mit Tochter Sarah (später gespielt von Laura Linney) und Sohn John, als dieser etwa zehn Jahre alt war. Dem waren fortwährende Erniedrigungen und Ausbrüche vorangegangen, die ein konstantes Klima der Angst erzeugten.

Der Kontakt blieb jedoch durch regelmäßige Besuche, die vor allem für John zum Spießrutenlauf wurden, aufrechterhalten. Zu langes Haar, zu verweichlicht, zu aufsässig – irgendetwas vermochte immer, den Zorn des leicht zu reizenden Familienpatriarchen zu wecken. Auch aufgrund dieser permanenten Ablehnung, die der Sohn augenscheinlich schon zeitlebens von seinem Vater erfährt, wundert man sich über seine enorme Aufopferungsbereitschaft.

Kaum angekommen, schlägt diese Ablehnung immer wieder in offene Beleidigungen um. Johns Ehemann Eric (Terry Chen) ermahnt der herrische Patriarch, ihn gefälligst nicht zu duzen und begegnet ihm aufgrund seiner hawaiianisch-chinesischen Herkunft auch noch mit Misstrauen. Einzig ihre Adoptivtochter Monica (Gabby Velis) kann Willis‘ Herz erweichen, sie behandelt er mit nahezu rührender Einfühlsamkeit. Ihre Beziehung ist es, die die Figur des Vaters davor bewahrt, zum Monster zu verkommen, das zu nichts als Verletzungen fähig ist.

Ein paar dieser Fehltritte lassen sich zweifelsohne mit seiner Krankheit entschuldigen, der Großteil jedoch ist schlicht Teil seines Charakters. Etwa dann, wenn sich John eigentlich über den Hauskauf beratschlagen möchte. Da der Vater zusehends gebrechlicher wird, möchte er ihn in der Nähe wissen und hat sich extra eine Woche Urlaub von seinem Beruf als Pilot genommen. Keine Chance entgegnet Willis, Kalifornien sei ein Staat für „Flaggenanzünder und Schwuchteln“. Und außerdem: Ob er damals bei der „US Air Force“ schon gewusst hätte, dass er eine ist? Was auch immer, die Homosexualität des Sohnes ließe sich in jedem Fall mit nichts aufwiegen, was er bereits für das Land geleistet hätte.

Die Schimpftiraden des alten Mannes setzen sich über einen Großteil des knapp zweistündigen Films fort. Sie erreichen einen ersten Höhepunkt, wenn Johns Schwester Sarah mit ihren Kindern zu Besuch kommt, die sogleich ebenfalls Opfer seiner Attacken werden. Wichtig ist diese Episode vor allem deswegen, weil sie eine knappe Erklärung für Willis Wesen andeutet: einen noch viel herrischeren, wohl tatsächlich auch im physischen Sinne gewalttätigen Vater. Eine wohlfeile Entschuldigung für sein Verhalten spart sich der Film hingegen.

Natürlich muss Johns Entladung wider besserer Vorsätze, nicht auf die Provokationen seines alten Herrn einzugehen, früher oder später kommen. Und sie stellt einen schauspielerischen Höhepunkt dar – sowohl für Viggo Mortensen, dessen Spiel bis zu diesem Zeitpunkt gerade von subtil dargebrachten Reaktionen auf die Stresssituation lebte, als auch für den 80-jährigen, hauptsächlich für Action- und Sci-Fi-Rollen bekannten Henriksen.

Immerhin einen Vorwurf, der während des unbeschönigten Ausbruchs zur Sprache kommt, muss sich Willis genau genommen nicht gefallen lassen. Niemals hätte er sich entschuldigt, kein einziges Mal in seinem Leben gesagt, dass ihm irgendetwas leidtue. Tatsächlich aber fällt ein antizipierendes „Entschuldigung“ in der ersten Szene des Films: Als das junge Paar mit Baby John im Korb ins Haus tritt und der Vater einen Moment allein mit ihm ist, bittet er um Verzeihung dafür, ihn in die Welt gesetzt zu haben, um letztlich doch nur zu sterben.

Feinsinnige Verknüpfungen wie diese sind es, die den Film in seiner durchdachten Menschenfreundlichkeit – wenngleich ein Misanthrop im Fokus steht – sehenswert machen. Trotz allem Poltern ist Falling ein feinsinniges Drama über das Unvermögen, zueinander zu finden. 

Am Ende ist es kein Film, der das Publikum mit einem klaren Abschluss oder gar einem Diktum, was mit dem Wissen um dieses Unvermögen anzufangen sei, entlässt. Das macht ihn umso authentischer, schließlich obliegt es allen Leidtragenden letztlich allein, ihre Misere nutzbar zu machen. Man könnte meinen, Viggo Mortensen hat das getan: Seine persönlichen Erfahrungen einer belasteten Vater-Sohn-Beziehung (und die seiner beiden Brüder, denen der Film gewidmet ist) hat er mit seiner ersten Regiearbeit in Kunst verwandelt.  

Falling (2020)

Der nach dem Verlust von zwei Ehefrauen verbitterte Witwer Willis Peterson zieht von seiner Farm auf dem Land nach Los Angeles, um bei der selbstgewählten Familie seines Sohnes John, dessen Ehemann und ihrer Tochter, zu leben. Als John und seine Schwester Sarah zusammenkommen, um die Pflege ihres Vaters zu organisieren, müssen sie sich mit dem Einfluss ihres Vaters auf ihre Leben, in der Vergangenheit und im Heute, auseinandersetzen.

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