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Was waren die wilden 60er doch für Zeiten! Der neue Spielfilm von Sydney Sibilia erinnert an eine private Staatsgründung, die für Wirbel sorgte: 1968 proklamiert der freiheitsliebende Ingenieur Giorgio Rosa die Unabhängigkeit seiner Insel, die er vor der Küste von Rimini erbaut hat.

Die unglaubliche Geschichte der Roseninsel (2020)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Der utopische Staat eines Ingenieurs

Im nicht gerade ereignisarmen Jahr 1968 sorgt eine touristische Attraktion in der Adria vor Rimini für Schlagzeilen. Für einige italienische Zeitungen wird die 400 Quadratmeter große Inselplattform mit der Freiluftdisco zeitweise wichtiger als die Studentenunruhen in Paris und der Vietnamkrieg. So behauptet es die köstliche Komödie von Regisseur Sydney Sibilia („Morgen ist Schluss-Trilogie), welche die in der Tat unglaubliche, aber wahre Geschichte der Gründung eines unabhängigen Inselstaates nacherzählt. 

Zwar gab es 2009 einen Dokumentarfilm mit dem Titel Insulo de la Rozoj – La liberta fa paura über die bald in Vergessenheit geratene historische Begebenheit. Aber die fiktionale Version von Sibilia baut das schalkhaft provokante Ereignis genüsslich zur Persiflage der damaligen Gesellschaft aus. Der Ingenieur Giorgio Rosa (Elio Germano) erklärt im Mai 1968 seine selbst konstruierte Inselplattform sechs Seemeilen vor Rimini zum unabhängigen Staat unter seiner Präsidentschaft. In dieser Entfernung von der Küste beginnen damals internationale Gewässer. Nicht nur aus Italien, sondern aus aller Welt flattern Anträge auf Staatsbürgerschaft ein. Den Kundschaftern der perplexen italienischen Regierung bietet sich vor Ort im Wesentlichen das Bild einer Tanzparty mit Barbetrieb. Im Abspann wird betont, dass die Politik aus diesem Schelmenstück gelernt habe. Die internationalen Gewässer beginnen mittlerweile erst zwölf Seemeilen vor der Küste.

„Wir sind frei!“, jubeln Giorgio und sein Baupartner und früherer Studienkollege Maurizio (Leonardo Lidi), kaum dass die Insel steht. Endlich haben die beiden einen Ort, an dem sie einfach leben können, wie es ihnen gefällt! Maurizio möchte nicht länger in der Firma seines Vaters arbeiten, sondern Poker spielen und trinken. 

Und Giorgio? Dessen Ambitionen sind ein bisschen vielfältiger und diffuser. Die Zuschauer*innen lernen den Mann als zur Rechthaberei neigenden Eigenbrötler kennen. Biedere Ingenieursjobs interessieren ihn nicht. Er kurvt in einem selbstgebauten Automobil durch Bologna und erklärt einer Polizeistreife, dass er dafür ja wohl keine Fahrzeugpapiere und keinen Führerschein brauche. Das beschert ihm und seiner mitfahrenden Ex-Freundin, der Anwältin Gabriella (Matilda De Angelis), einen kurzen Arrest. Gabriella fühlt sich in ihrer Meinung bestätigt, dass es richtig war, sich einem solideren Mann zuzuwenden. Aber der verrückte Giorgio lässt sich nicht so leicht aus ihrem Kopf und Herzen vertreiben.

Zu Giorgio und Maurizio gesellen sich noch drei weitere ständige Inselbewohner*innen, die wie sie mit der Gesellschaft und ihren Regeln irgendwie über Kreuz liegen. Da sind der schweigsame Pietro (Alberto Astorri) und die junge Franca (Violetta Zironi), die wegen einer Schwangerschaft auf dem Festland keine Arbeit bekommen würde. Mit dieser fröhlichen Person, die es gar nicht interessiert, wer alles als Vater des Kindes infrage käme, lässt die sexuelle Revolution grüßen. Und da ist noch der staatenlose Deutsche Wolfgang Rudy Neumann (Tom Wlaschiha), der mit Sinn für PR und Geschäfte die Insel zur Touristenattraktion macht. Konflikte, Eifersüchteleien und Kursstreitigkeiten bleiben in diesem Grüppchen natürlich nicht aus. 

Aber von außen dominiert das Bild eines lustigen Partyvolks, das auf der kleinen Plattform im Meer nur das Freisein genießen will. Diese staatliche Utopie, die sich Roseninsel nennt und als Amtssprache Esperanto einführt, trifft einen Nerv des rebellischen Zeitgeists. Der Tausendsassa Giorgio und sein Grüppchen beweisen allen, dass auch ein aberwitziger Traum mit Mut und Tatkraft gelebt werden kann. Wenn Musik von Jimi Hendrix und anderen Pop-Ikonen der 1960er erklingt, wird die Energie und Aufbruchstimmung der Ära, die den ganzen Film so fühlbar durchzieht, nostalgisch aufgeladen. 

Der Regisseur, der mit Francesca Manieri das Drehbuch schrieb, erweist sich als wahrer Meister der gesellschaftlichen Satire. In den immer wieder witzigen Dialogen werden italienische Verhältnisse und Mentalitäten mit nahezu zeitloser Treffsicherheit aufs Korn genommen. Sehr amüsant werden die Bemühungen der Regierung geschildert, das Problem mit der Insel ohne Aufsehen aus der Welt zu schaffen. Und was die Regierung nicht alles befürchtet! Kommunistische Umtriebe, sexuelle Freizügigkeit, Steuerhinterziehung, Glücksspiel und nicht zuletzt das Schreckgespenst einer schleichenden internationalen Anerkennung, das sie der Lächerlichkeit preisgeben würde. Man bietet den Insulanern praktisch auf dem Silbertablett andere unternehmerische Aktivitäten an – auch mit dem Hinweis, in Rimini würde ja ebenfalls kaum jemand Steuern zahlen. 

Aber ein Idealist wie Giorgio ist nicht käuflich! Auch im ernsten Showdown, auf den die Geschichte zuläuft, bleibt der beschwingte Witz zum Teil noch spürbar. Leichtigkeit und Gewalt liegen im Jahr 1968 nahe beieinander und bilden auch Anfang und Ende der Roseninsel. Diese reale Posse bringt Sibilia filmisch noch einmal richtig zum Funkeln. Mit ihrer Lust an ironischer Zuspitzung und Ausschmückung bietet seine gelungene Komödie ein ganz und gar nicht alltägliches Filmvergnügen.  

Die unglaubliche Geschichte der Roseninsel (2020)

Dieser Film erzählt die wahre Geschichte eines idealistischen Ingenieurs, der vor der italienischen Küste seine eigene Insel konstruiert, sie zum Staat erklärt und mit dieser Freiheitsliebe weltweit Aufsehen erregt. Als die Insel immer mehr an Beliebtheit gewinnt, erklärt die italienische Regierung sie kurzerhand zum Feind. Das stellt die Werte der Mikronation auf eine harte Probe.

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