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Aaron Sorkins „The Trial of the Chicago 7” erzählt von einem Prozess aus dem Jahr 1969, in dem politischer Protest auf eine manipulative Regierung trifft. Zeitgemäßer kann ein historischer Justizfall kaum sein.

The Trial of the Chicago 7 (2020)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Nixon vs. Counter Culture

Eine clevere Eröffnungsmontage wirft einen direkt in die 1960er Jahre, in denen Aaron Sorkins „The Trial of the Chicago 7“ spielt: Zu sehen sind Lyndon B. Johnson, der immer mehr Soldaten nach Vietnam schickt, die Auslosung der Geburtstage, die über die Einberufung entscheiden, Bilder von Protesten, von den Tagen nach der Ermordung Martin Luther Kings. Vermischt werden sie mit Bildern der Protagonisten dieses Films: Acht Männer, die im November 1968 nach Chicago zum Parteitag der Demokraten fahren, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren. Über 15.000 Demonstranten werden sich im Grant Park in Chicago versammeln – und im Verlauf von fünf Tagen kommt es mehrfach zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. 

Sorkins Film indes beginnt mit der juristischen Auseinandersetzung im Jahr 1969. Kurz nach Nixons Wahl zum Präsidenten werden acht Männer vor Gericht gestellt. Obwohl sie einander teilweise noch nicht einmal kennen, wird ihnen vorgeworfen, dass sie sich verschworen haben die Unruhen in Chicago anzuzetteln. Diese acht Angeklagten stehen für die Vielseitigkeit der Counter Culture: Bobby Seale (Yahya Abdul-Mateen II) ist Mitbegründer der Black Panther; die strebsam-straighten Tom Hayden (Eddie Redmayne) und Rennie Davis (Alex Sharp) sind Anführer der Students for a Democratic Society, die Hippies Abbie Hoffmann (Sacha Baron Cohen) und Jerry Rubin (Jeremy Strong) sind Mitglieder der Youth International Party — kurz Yippies. Der Pazifist David Dellinger (John Carroll Lynch) hat immer wieder an Anti-Kriegsbewegungen teilgenommen, John Froines (Daniel Flaherty) und Lee Weiner (Noah Robbins) haben gegen den Krieg demonstriert und sind im Vergleich zu den Mitangeklagten gemäßigter. Sie stehen vor einem Richter, der offensichtlich befangen ist. Die Anklage zweifelt zumindest in Sorkins Filmversion selbst an dem Vorgehen; Polizisten, das FBI, die CIA werden immer wieder Einfluss auf das Gerichtsverfahren nehmen. Es ist ein Schauprozess, den Nixon gegen die Counter Culture führt.

Sorkins Film liegt ein wahrer Fall zugrunde, der wie gemacht scheint für insbesondere seine Stärken als Drehbuchautor. Er steckt voller Männer, die clevere Dialoge in schnellem Tempo führen. Dabei sind Sorkins Figuren immer ein wenig schlauer als Menschen im normalen Leben, hier aber passt die Eloquenz insbesondere zu Tom Hayden und Abbie Hoffmann. Frauen spielen in dem Film kaum eine Rolle. Es gibt Bilder, die Frauen zeigen, die bei Antikriegsprotesten ihre BHs verbrennen, die kaum mehr als pflichtschuldiges Zeitkolorit im Hintergrund sind; eine Sekretärin und fiktive FBI-Agentin, die einen der Angeklagten in eine verführerische Falle gelockt hat. Aber sie sind alle sind kaum mehr als ein ziemlich schwacher Versuch davon abzulenken, dass hier Männer von Männern erzählen. 

Inszenatorisch ist The Trial of the Chicago 7 ein erstaunlich braver Film ausgerechnet über wichtige Personen der Counter Culture der 1960er Jahre. Es gibt keine überraschenden Einstellungen, keine Bilder, die man nicht in ähnlicher Weise schon einmal gesehen hat. Sorkin orientiert sich an dem Gerichtsprozess, durch dessen Verlauf immer wieder Rückblenden eingeleitet werden. Das ist gutes, gewohntes Storytelling, bei dem allerdings wirklich jede Montage allzu deutlich mit Musik unterlegt ist. Dabei braucht gerade Sorkin diese Mittel nicht, um mehr Tempo und Dramatik zu erzeugen. Dafür reichen seine Dialoge und Schnitte aus, die gewohnt häufig auf Schnelligkeit und Pathos abzielen. 

Daher ist The Trial of the Chicago 7 im Grunde genommen ein solides Gerichtsdrama über eine unglaubliche wahre Geschichte. Es gibt jedoch etwas, was diesen Film darüber hinaus hebt: Obwohl er eine Geschichte aus den 1960er Jahren erzählt, wirkt er ungemein aktuell. Wie damals sterben gerade unzählige Amerikaner, wirkt die politische Führung gleichgültig und gibt es verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen, die um Einfluss ringen. Und wie damals fallen Polizei und staatliche Organe vor allem mit Gewalt und Verletzungen jeglicher Rechtsstaatlichkeit auf. Es ist ein unmittelbarer Bezug zur Gegenwart, der manchmal kaum zu ertragen ist. Beispielsweise wird Bobby Seale, der einzige Schwarze Angeklagte, dem anwaltlicher Beistand sowie das Recht auf eigene Verteidigung mehrfach vom Richter verweigert (!) wird, auf Geheiß des Richters von US Marshals verprügelt. Anschließend wird er gefesselt und geknebelt in den Gerichtssaal zurückgeführt.

Das hat wirklich stattgefunden, mehrere Tage musste Seale so an dem Prozess teilnehmen. Hier ist es ein Tag, da der im Film wohl deutlich milder gezeichnete Staatsanwalt Richard Schultz (Joseph Gorden-Levitt) ebenfalls empört ist über die Behandlung und einen „Fehlprozess“ für Seale beantragt. (So wurden auch aus den Chicago 8 die Chicago 7). Es ist erschütternd zu sehen, wie Schwarze US-Amerikaner Ende der 1960er Jahre in einem Gericht in Illinois behandelt wurden – und wie sie immer noch behandelt werden. Dazu hätte Sorkin noch nicht einmal die überdeutlich auf die Gegenwart bezogene, besorgte Nachfrage des Anwalts, ob Seale noch atmen könne („Can you breathe“) einfügen müssen. Viel besser wäre es gewesen, in einem späteren Dialog zwischen Hayden und Abbie Hoffman über die Frage, wer von ihnen zukünftig Counter Culture verkörpert, auf die Black Panther hinzuweisen. 

Sorkin ist schon immer linksliberal gewesen, jedoch steckt in seinen Arbeiten immer auch der grundsätzliche Glaube an das System der USA. In The West Wing ist es die Überzeugung, dass das Land vorankommt, wenn der Präsident seine Arbeit gut macht. In The Trial of the Chicago 7 sind es die mehrfach angedeuteten Zweifel des Staatsanwalts und das Auftreten von Johnsons Justizminister Ramsey Clark (Michael Keaton), die ausdrücken, dass es noch Hoffnung für das US-Justizsystem gibt. Nixons Justizminister John Mitchell (John Doman) und Richter Julius Hoffman (Frank Langhella) erscheinen dann als Ausrutscher, als Fehler in einem funktionierenden System. Das ist die hoffnungsvolle Botschaft, die am Ende steht – und leider nicht die Frage, wie es auch über 50 Jahre nach dem Prozess noch immer dieselben Ungleichheiten in den ach so fortschrittlichen Vereinigten Staaten von Amerika geben kann.

The Trial of the Chicago 7 (2020)

Was 1968 als friedliche Demonstration anlässlich des Parteitags der Demokratischen Partei geplant war, führte zu blutigen Auseinandersetzungen mit der Polizei und der Nationalgarde. Die Organisatoren der Demonstration, unter anderem Abbie Hoffman, Jerry Rubin, Tom Hayden und Bobby Seale, wurden der Anstiftung zu einem Volksaufstand angeklagt, und die darauf folgende Gerichtsverhandlung ging als einer der berüchtigtsten Prozesse in die US-Geschichte ein.

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