Die Lincoln Verschwörung

Eine Filmkritik von Lida Bach

Der Prozess

Robert Redfords neuer Film Die Lincoln Verschwörung ist der erste in einer ganzen Reihe von geplanten Werken der neu gegründeten The American Film Company (TAFC), die 2008 mit dem Ziel ins Leben gerufen wurde, historisch fundierte Filme über die US-amaerikanische Geschichte auf die große Leinwand zu bringen. Dass nun ausgerechnet Robert Redford als Ikone des unbequemen und politisch engagierten Independent-Kinos den Anfang macht, ist ein Coup für die Initiatoren um Joe Ricketts und Brian Peter Falk und sichert ihrem ehrgeizigen Unternehmen ein Maximum an Aufmerksamkeit. Zwar gibt es schon immer ein großes Interesse des Kinos an historischen Stoffen, doch der Umgang mit den geschichtlichen Fakten wird allzu häufig den Anforderungen der Dramaturgie geopfert. Auch Redfords Film ist nicht gänzlich frei von bekannten Formeln und Bezügen (vor allem zum Gerichtsdrama und gegen Ende hin auch zum Western). Dass der Regisseur es aber immer wieder schafft, Gegenwartsbezüge zur aktuellen politischen Lage der Nation einzuflechten, macht aus der auf den ersten Blick spröden Geschichtsstunde eine beachtliche Parabel über Wahrheit und Lüge, Macht und Ohnmacht, Recht und Gerechtigkeit und über die Notwendigkeit, gerade in Krisenzeiten an den Werten einer demokratischen Gesellschaft festzuhalten.
Am Anfang steht das Attentat auf Abraham Lincoln, dem der 16. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika am 15. April 1865, wenige Tage nach der Kapitulation der Südstaaten und dem Ende des Sezessionskrieges zum Opfer fiel. Um dem Chaos Herr zu werden, sollen die Attentäter schnellstmöglich vor ein Gericht gestellt und verurteilt werden. Unter den Angeklagten befindet sich auch Mary Surratt (Robin Wright), deren Pension zu einem Treffpunkt der Verschwörer geworden war. Angeheizt durch den Kriegsminister Stanton (Kevin Kline) bemühen sich Justiz und Staatsanwaltschaft um ein rasches und mit aller Härte geführtes Verfahren, das einzig und allein dem Zwecke dient, möglichst schnell zu einem bereits vorher feststehenden Urteil zu gelangen, dass alle angeklagten Verschwörer für schuldig befindet. Um der Pflicht Genüge zu tun, wird der Angeklagten der junge und unerfahrene Anwalt Frederick Aiken (James McAvoy) zur Seite gestellt, der ebenso wie die Anklage keinerlei Zweifel an Surratts aktiver Beteiligung an dem Mordkomplott hegt. Doch als Aiken miterleben muss, wie in diesem Prozess Zeugen und Beweise manipuliert werden, regt sich sein Gerechtigkeitssinn und er beginnt verzweifelt zu kämpfen – und wenn schon nicht um die Unschuld seiner Mandantin, dann doch zumindest um einen fairen Prozess. Durch sein Eintreten aber isoliert sich Aiken immer mehr und wird schließlich selbst zum Geächteten…

Sicher: Robert Redfords neuer Film Die Lincoln Verschwörung ist weitaus mehr ein politisches Werk als ein Film, der in erster Linie unterhalten will. Im Vergleich zu dem streckenweise doch recht zähen Von Löwen und Lämmern aber wirkt das Geschehen auf der Leinwand und Redfords solide Inszenierung ohne große Mätzchen durchaus fesselnd und wirft zudem Schlaglichter auf die jüngste Vergangenheit der USA, in der unter dem Stichwort „war on terror“ grundlegende Bürgerrechte beschnitten und außer Kraft gesetzt wurden.

Dass Redford seiner Hauptfigur auf den ersten Blick scheinbar so wenig Interesse entgegenbringt, liegt indes vermutlich weniger an seinem prinzipiellen Desinteresse an Mary Surratt als vielmehr daran, dass er diese weniger als historische Persönlichkeit, sondern vielmehr als metaphorische begreift. Vielleicht ist sie ja wirklich mitschuldig am Tod Abraham Lincolns, vielleicht aber auch nicht – der Film jedenfalls lässt diese Frage unbeantwortet im Raume stehen. Weil es im Gegensatz zu vielen anderen Gerichtsdramen hierbei nicht um die Schuldfrage geht, sondern – und hier werden die Gegenwartsbezüge zum „war on terror“ augenfällig – darum, wie weit ein Staat gehen darf, gehen muss, um sich selbst gegen Feinde im Inneren zu wehren. Und so verbirgt sich hinter Aikens mutigem Eintreten für seine spröde Mandantin auch ein flammender Appell des linksliberalen Regisseurs, dass gerade in Zeiten des Krieges Gesetze nicht außer Kraft gesetzt werden dürfen, sondern umso strikter bewahrt werden sollten. Eine Geschichtslektion, die nicht nur in den USA gerne mal in Vergessenheit gerät.

(Joachim Kurz)

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Robert Redfords filmische Exkursion in die amerikanische Geschichte beginnt zwischen Toten und Verwundeten. Einer der letzteren ist der Unions-Captain Frederick Aiken (James McAvoy), der im Angesicht des Todes ein Mitglied seiner Kompanie tröstet. Die erste Sequenz läutet die Geschichte eines Kriegshelden ein, die zweite beendet die des Präsidenten: Abraham Lincoln wird erschossen. Der Doppelprolog, der die Doppelstunde in Justizgeschichte eröffnet, stellt beide Männer als Kampfgefährten für die Verfassung nebeneinander. Lincolns Schlachtfeld war die Politik, Aikens ist der Gerichtssaal. Doch die Titelfigur von The Conspirator (so der amerikanische Originaltitel des Films) ist eine Unbekannte, zu Beginn ebenso wie am Ende des engagiertem Gerichtsdrama.

Die Pensionsbesitzerin Mary Surratt (Robin Wright) wird als Mitverschwörerin angeklagt, weil ihr Sohn der Rechtsverfolgung entgeht. Stoisch rollt Redford die Verstrickungen von Recht und Unrecht auf, ähnlich beherrscht blickt Surratt der drohenden Hinrichtung entgegen. Das Recht auf Selbstverteidigung wird ihr vor einem Militärtribunal verweigert. Der anfängliche Widerwille ihres Verteidigers Aiken wird zu glühendem Engagement angesichts der Verfassungsverletzungen von Kriegsminister Edward Stanton (Kevin Kline), Ankläger Joseph Holt (Danny Huston) und Gerichtspräsident General Hunter (Colm Meaney) im Prozess gegen Surrat, in deren Pension das Attentat auf Lincoln geplant wurde.

Mit Die Lincoln Verschwörung beweist Redford sich als filmischer Historiker und zeigt zudem, wie schwierig es sein kann, Geschichte und Geschichten miteinander zu vereinen. Redfords achte Regiearbeit markiert das cineastische Debüt der American Film Company, deren erklärtes Ziel unterhaltsame und historisch korrekte Filme über die Landesgeschichte sind. Das Scheitern der ersten Aspekte scheint unmittelbar dem Gelingen des letzten geschuldet. So nüchtern der Ton, den Die Lincoln Verschwörung für den Vortrag aus dem Geschichtslehrbuch wählt, so brisant ist das Kapitel, welches er darin aufschlägt.

Die Geschichte ist über Mary Surratt hinweggegangen, in mehrfacher Hinsicht. Ihren Ruf, ihr Leben und zuletzt ihre historische Signifikanz hat sie zertreten. Ihr letztere zurückzugeben vermag Die Lincoln Verschwörung nur teilweise. Das Fahle ihrer Züge scheint durchgedrungen von ihrem blassen Wesen, dem selbst Robin Wrights konzentrierte Darstellung keine Kontur verleiht. So didaktisch geht Redford an die Figur heran, dass die biografische Akkuratesse nur wenig Platz für die emotionalen Facetten Mary Surrats lässt. In den in Sepia-Töne getauchten Innenszenen scheinen die Charaktere zu vergilben, während sie noch ihre Dialoge sprechen, die gewichtig klingen und in ihrem Sprachduktus fast ein wenig an Gerichtsakten gemahnen. Dabei ist gerade das Gefasste und das Beherrschte von Mary Surratt und ihrer Tochter Anna (Evan Rachel Wood) der Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Der stumme Widerstand der Frauen kontrastiert mit der lautstarken Aggressivität der Öffentlichkeit, die den Schauprozess duldet. Der öffentliche Schrei nach Gerechtigkeit verhindert diese, weil er in seiner Vehemenz sachliche Argumente übertönt. Im Namen des Rechts nehmen Staat und Gesellschaft Rache. Surratt ist das Bauernopfer des gerichtlichen Schachspiels, das Redford Zug um Zug rekreiert.

Eine ebenso bittere wie wichtige Lektion lehrt das Gerichtsdrama trotz mancher konzeptionellen und inszenatorischen Schwächen: Geschichte wird gemacht. Von Mächtigen und Reichen, die fast immer weiße Männer sind, nicht nur zur Zeit Surrats. In gewisser Weise steht Redfords Film selbst in der Tradition dieser Geschichtsschreibung, die er energisch kritisiert. Die Titelfigur wird der Dramaturgie geopfert, wie einst Mary Surratt den Umständen. Die unangenehme Auseinandersetzung mit den Überzeugungen einer gewöhnlichen Bürgerin bleibt dem Publikum erspart, um stattdessen die Ideale zweier außergewöhnlicher Männer in den Fokus zu rücken: des amerikanischen Präsidenten und des Gründers der Washington Post, als der Aiken bekannter wurde als seine Klientin. Relevant wird sie dennoch, weil ihr Fall eine Parabel zur Gegenwart liefert: zu Abu Ghraib, Rechtsbeugung und Verfassungsverletzung.

Die Lincoln Verschwörung

Robert Redfords neuer Film „Die Lincoln Verschwörung“ ist der erste in einer ganzen Reihe von geplanten Werken der neu gegründeten „The American Film Company“ (TAFC), die 2008 mit dem Ziel ins Leben gerufen wurde, historisch fundierte Filme über die US-amaerikanische Geschichte auf die große Leinwand zu bringen. Dass nun ausgerechnet Robert Redford als Ikone des unbequemen und politisch engagierten Independent-Kinos den Anfang macht, ist ein Coup für die Initiatoren um Joe Ricketts und Brian Peter Falk und sichert ihrem ehrgeizigen Unternehmen ein Maximum an Aufmerksamkeit.
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