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Der Mauretanier wartet mit großen Stars auf, gibt ihnen aber leider nicht genug Platz für ihre Ideen.

Der Mauretanier (2021)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Gegen das Guantanamo-Vergessen

Über Donald Trumps Twittereskapaden hat man so manches Gräuel aus den Augen verloren, das dem amerikanischen Präsidenten noch von seinen Vorgängern überlassen worden war. Wann zum Beispiel hörte man das letzte Mal etwas über Guantanamo? Das amerikanische Gefängnis auf Kuba, also außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets, war nach den Anschlägen vom 11. September 2001 für ein paar Jahre medial ähnlich präsent wie dieser Tage Corona. Einige Geschichten von Menschen, die dort gefangen gehalten wurden und ewig auf ihre Anklage warteten, gingen um die Welt. Darunter auch jene von Mohamedou Ould Slahi, der noch aus der Gefangenschaft sein Guantanamo Tagebuch veröffentlichte. Diese Aufzeichnungen hat der Film „Der Mauretanier“ zur Vorlage genommen, der in diesem Jahr die Sommerberlinale eröffnete und nun in den deutschen Kinos zu sehen ist.

Slahi, gespielt vom Franzosen Tahar Rahim (Ein Prophet), wird kurz nach den Anschlägen auf das World Trade Center während einer Hochzeit in Mauretanien festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, mit Vertrauten bin Ladens Kontakt gehabt zu haben. Seine Mutter verabschiedet sich von ihm schon, als wüsste sie, dass sie sich nie wiedersehen werden. Nach Zwischenstops in Gefängnissen in Jordanien findet sich Slahi auf Kuba in Guantanamo wieder. Sein Fall wird erst drei Jahre später einer Anwältin zu Ohren kommen. Diese Anwältin ist Nancy Hollander, eine Kämpferin für Menschenrechte, die sich bereits während des Vietnamkrieges mit der amerikanischen Regierung anlegte. Jodie Foster gibt ihr in diesem Film ein Gesicht und stellt gleich beim ersten Auftritt der Figur die Frage, die „ihre“ Nancy Hollander definiert: „Seit wann sperren wir Menschen in diesem Land ein, ohne dass sie eine Gerichtsverhandlung erhalten?“

Diese Frage ist der eigentliche Kern des Films: Wie konsequent hält die westliche Demokratie sich an ihre eigenen Grundsätze, wenn sie angegriffen wird? Wie lange arbeiten die Anwälte selbst unter der Prämisse der Unschuldsvermutung, bis das Gegenteil belegt ist? Und wann scheitert man an den hehren Vorstellungen von Gerechtigkeit?

Shailene Woodley spielt Hollanders junge Assistentin, die Anfangs fest daran glaubt, Slahi sei unschuldig. Sie gibt ihrer Rolle einen guten Schuss Naivität, wirft Slahi beim ersten Treffen in Guantanamo einen Blick zu, der ihn halb irritiert, halb geschmeichelt abtastet, als er subtil mit ihr zu flirten beginnt. Slahi weiß, dass diese Anwältinnen seine einzige Chance ist, aus dem Gefangenenlager zu kommen – sein Versuch, sie mit Schmeichelei für sich einzunehmen, ist nachvollziehbar. Doch, und das ist der Schwachpunkt des Films, wird aus all den Ideen, die die Schauspieler hier an ihre Rollen herantragen, nicht viel gemacht.

Sollte man einen Menschen nur verteidigen, wenn man von dessen Unschuld überzeugt ist oder hat in einem modernen Staat nicht jeder das Recht auf einen Anwalt und eine Verteidigung, weil die demokratischen Verfassungen seit den bürgerlichen Revolutionen es so vorsehen – dieser Konflikt liegt allein auf Shailenes Schultern und sie hat trotz der zwei Stunden Filmlänge nicht genug Zeit, ihn auszuarbeiten, verschwindet einfach irgendwann aus der Handlung.

Auch Benedict Cumberbatch kommt trotz viel Präsenz zu kurz. Er spielt den Navy-Anwalt Stuart Couch, einen konfliktgeladenen Charakter: Sein bester Freund war Pilot, sein Flugzeug gehörte zu jenen, die entführt und in die Türme des World Trade Centers geflogen wurden. Als überzeugter Christ und Patriot sollte er die Chance begrüßen, für den Mann, der mutmaßlich für die Anschläge mitverantwortlich ist, ein Todesurteil zu fordern. Doch Couch ist ebenfalls überzeugt von der Gerechtigkeit, muss sich dieselben Gewissensfragen stellen, wie Hollander und ihre Assistentin und doch werden genau diese Themen dann kaum richtig angegangen. Das ist leider verschenktes Talent, denn die Drehbuchautoren (M.B. Traven, Rory Haines und Sohrab Noshirvani) haben sich irgendwann entschlossen, den Fokus auf die Geschichte des Gefangenen zu legen.

Das geschieht in Rückblenden. Die Kamera setzt diese im 4:3-Format auch formal vom Rest des Films ab, bei dem das Bild wieder auf die volle Breite aufzieht. In den Rückblenden sieht man Slahi als kleinen Jungen in Mauretanien, später in Duisburg, wo er studiert und bei Bekannten erste Kontakte zu den Taliban knüpft („Wir kämpfen mit den Amerikanern gegen die Kommunisten“). Die Verbindung zu den Islamisten bleibt angedeutet, ohne Wertung, wie weit der Mensch, der mit bin Laden persönlich Kontakt gehabt haben soll, nun tatsächlich darin verstrickt ist.

Länger ausgeführt werden die Methoden, mit denen die Wärter auf Guantanamo versuchen, diese Taliban-Verbindungen aus dem Gefangenen herauszuholen. Die Folterszenen erinnern dabei an die Bilder von Abu Ghraib, sie sind der schwächste Punkt dieses Films, da er dem Glauben aufsitzt, die Realität des Grauens zeigen zu müssen und doch nur in der Nachstellung dieses Grauens scheitern kann. Auch hier hätte mehr Vertrauen in die Schauspieler geholfen. Sowohl für Jodie Foster, als auch für Benedict Cumberbatch wäre es eine willkommene Herausforderung gewesen, das Grauen zu beschreiben oder auf Bericht darüber in den Akten zu reagieren, ohne es explizit in Bildern zeigen zu müssen.

Foster, Cumberbatch, Woodley und Rahim geben trotz allem ihr Bestes, genießen die kleinen Duelle, die ihnen das Drehbuch zugesteht. In einer der besten Szenen treffen Foster und Cumberbatch als Anwälte der gegnerischen Parteien zum ersten Mal aufeinander. Es ist in einer Bar auf Kuba. Draußen werfen sich Surfer in die Wellen, drinnen blendet die Äquatorsonne die Szene surreal hell aus und schiebt den Gedanken unter: Wie absurd, dass unweit dieses Touristenortes Menschen gefoltert werden. Und da Cumberbatch und Foster beide herausragende Schauspieltalente sind, bereitet es das größte Vergnügen den beiden beim Abtasten des Gegners, beim Ausloten der Abgründe und Gemeinsamkeiten zuzusehen. Hätte sich Regisseur Kevin MacDonald getraut, ihnen mehr solcher Duelle zuzugestehen, wäre Der Mauretanier eine große Erzählung über Moral und Ethik geworden.

Der Mauretanier (2021)

Mohamedou wird nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in Mauretanien festgenommen und ohne formelle Anklage ins Internierungslager der Guantanamo Bay Naval Base verschleppt. Dort trifft er auf zwei Anwälte, bei denen Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Inhaftierung aufkommen.

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